Veranstaltung

Brasilien nach den Wahlen: Gute Aussichten für Ernährungssicherheit, Agrarökologie und das Weltklima?

Chancen und Grenzen für einen Richtungswechsel in der brasilianischen Agrar- und Umweltpolitik

Lula hat auch die Stichwahl am 30. Oktober gegen Bolsonaro knapp gewonnen – die Herausforderungen, vor denen die neue Regierung stehen wird, sind gewaltig
Foto: Oliver Kornblihtt / Mídia Ninja (CC BY-NC 2.0)

Zeit: Mi, 30.11.2022, 18:30-20:30 Uhr // Horário: Quarta, 30.11.2022, 14:30-16:30 (Brasil)
Ort: Brot für die Welt (Raum0.K.01 Amalie Sieveking), Caroline-Michaelis-Str.1, 10115 Berlin

Gespräch mit unseren brasilianischen Gästen:
Naiara Andreoli Bittencourt (Terra de Direitos)
Carlos Humberto Campos (Caritas Brasilien)
Moderation: António Andrioli

Hybrid-Veranstaltung mit Simultanübersetzung D-PT und PT-D.
In Präsenz mit Pflicht, eine medizinische Maske zu tragen.
Die Teilnahme ist kostenlos.

Die Veranstaltung wird zusätzlich auch in Zoom per Livestream (in Facebook im O-Ton) übertragen.

Anmeldung hier: Anmeldelink-Zoom

Den Link zur Teilnahme wird mit der Buchungsbestätigung versendet!

Download Einladung Deutsch
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O Brasil após as eleições: Perspectivas para a segurança alimentar, a agroecologia e o clima global?

Horário: Quarta, 30/11/2022, 14:30-16:30 (Brasil)
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Brasilien hat gewählt
Mit einem denkbar knappen Vorsprung konnte sich bei der Stichwahl am 30.Oktober Lula da Silva als Präsidentschaftskandidat einer politisch heterogenen Allianz von weit links bis ins konservativ-bürgerliche Lager hinein gegen den amtierenden rechtsradikalen Präsidenten Jair Bolsonaro durchsetzen. Absehbar wird die neue Regierung am 1.Januar 2023 ihr Amt antreten – und sich mit einer ultrakonservativen Mehrheit von Bolsonaro Anhänger*innen in Parlament und Bundesstaaten konfrontiert sehen. Angesichts des Zerstörungswerkes der Regierung Bolsonaro warten auf Lula und die neue brasilianische Regierung vielfältige und große Herausforderungen: Die tiefe politische Spaltung des Landes muss überwunden, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit wieder gestärkt werden. Zudem müssen Armut und Hunger reduziert sowie ein Richtungswechsel in der Ernährungs-, Agrarpolitik wie auch der Umweltpolitik angegangen werden.

Ernährungsunsicherheit und das brasilianische Agrarmodell
Von 2004 bis 2014 sank der Anteil der hungernden Brasilianer:innen auf unter fünf Prozent und das Land verschwand erstmals von der Welthungerkarte der Vereinten Nationen. Seitdem ist die Zahl der hungernden und der von Hunger bedrohten Brasilianer:innen bis 2022 dramatisch angestiegen, insbesondere nach dem Amtsantritt von Bolsonaro. 2022 belief sich die Zahl der Hungerleidenden auf über 33 Millionen (15% der Bevölkerung) – ein Anstieg von 14 Millionen seit der letzten Erhebung 2020. Heute sind insgesamt fast 60% der brasilianischen Bevölkerung von Ernährungsunsicherheit betroffen, d.h. diese Menschen sorgen sich um ihren zukünftigen Zugang zu Nahrung, dieser ist bereits eingeschränkt oder sie hungern. Bei dieser alarmierenden Entwicklung spielen neben den Auswirkungen der Corona-Pandemie der Abbau von Sozialprogrammen und solchen zur Förderung von kleinbäuerlicher Landwirtschaft sowie eine verstärkte Landkonzentration eine wichtige Rolle. Der Schwerpunkt der Politik der Regierung Bolsonaro im Bereich Landwirtschaft ist die massive Förderung des Agrobusiness. Diesen Zweck erfüllte auch die enorme Ausweitung der in Brasilien zugelassenen Pestizide und eine weitestgehende Deregulierung der Anwendung alter und neuer Gentechnik. Das agrarindustrielle Produktionsmodell kann die Ernährung der Bevölkerung nicht gewährleisten, gleichsam ist Brasilien jedoch der weltweit drittgrößte Lebensmittelexporteur – nach den USA und China.

Naturzerstörung und Menschenrechtsverletzungen
Unter Bolsonaro wurde dem Agrarbusiness ein `Freifahrtschein´ ausgestellt. Die Expansion der Viehwirtschaft und der Sojamonokulturen hat zu einer massiven Zerstörung von Naturräumen in Brasilien geführt. Die Entwaldungszahlen in Amazonien haben Rekordzahlen erreicht und bedrohen den größten Regenwald der Erde, der nicht nur für das globale Klima, sondern auch den Erhalt der globalen Biodiversität eine herausragende Rolle spielt. Amazonien wurde zur wirtschaftlichen Ausbeutung freigegeben – dies nicht nur für das Agrarbusiness, sondern auch für Bergbau, Energie- und Infrastrukturprojekte. Behörden, die sich für die Einhaltung von Umweltstandards und den Schutz der Indigenen einsetzen wurden hingegen geschwächt, Verstöße nicht geahndet. Diejenigen, die im und vom Regenwald leben und diesen erhalten wollen sind damit noch mehr ins Fadenkreuz geraten: Indigene und traditionelle Gemeinschaften. Sie werden bedroht, verfolgt, vertrieben und ermordet. Auch die Bedrohungslage für Umwelt- und Menschenrechtsverteidiger:innen hat sich unter Bolsonaro deutlich verschärft.

Grundsätzlich: Wie stehen vor diesem Hintergrund die Chancen für einen Richtungswechsel in der brasilianischen Ernährungs-, Agrar- und Umweltpolitik?
Kann es anknüpfend an die ersten beiden Amtszeiten Lulas wieder gelingen, erfolgreiche Sozialprogramme zur Bekämpfung von Armut und Hunger aufzubauen respektive die unter Bolsonaro ausgesetzten Aktivitäten des Nationalen Rats für Ernährungssicherheit (Consea) zur Koordinierung der Ernährungspolitik wieder aufzunehmen? Gelingt es, mit staatlicher Förderung agrarökologische kleinbäuerliche Alternativen zum agroindustriellen Produktionsmodell zu stärken? Wie können der Amazonas-Regenwald erhalten und die Territorien und Rechte der Bewohner:innen des Regenwaldes geschützt werden? Wie war das Auftreten der brasilianischen Regierung bei der jüngst absolvierten UN-Klimakonferenz und welche Positionen wird sie bei der anstehenden UN-Konferenz der Konvention zu biologischen Vielfalt vertreten, was ist von der neuen Regierung zu erwarten?
Und schließlich: Welche Mitverantwortung und Handlungsmöglichkeiten gibt es hierzulande um einen Politikwechsel in Brasilien zu unterstützen?

Nach der Wahl in Brasilien: Gute Perspektiven für die Stärkung kleinbäuerlicher Landwirtschaft und eines Weges hin zu mehr Ernährungssouveränität? Wird die Landlosenbewegung MST nach Jahren in der Defensive Landbesetzungen zur Durchführung der Agrarreform in Brasilien wieder aufnehmen?
Foto: Mídia Ninja (CC BY-NC 2.0)

Diesen und weiteren Fragen wollen wir gemeinsam mit unseren Gästen aus Brasilien nachgehen:
Naiara Andreoli Bittencourt ist Rechtsanwältin. Sie ist Koordinatorin des Iguaçu-Programms von Terra de Direitos und wirkt in der Kampagne gegen Pestizide und für das Leben, die Nationale Artikulation der Agrarökologie und im Nationalen Netzwerk der Rechtsanwälte mit. Sie befasst sich insbesondere mit den Themen Agrobiodiversität / Agrarökologie, Ernährungssouveränität und den Rechten von Kleinbäuerinnen und Kleinbauern. Sie analysiert und kritisiert das Agieren des Agrarbusiness in Brasilien und legt den Fokus dabei auf den extrem hohen Pestizidverbrauch wie auch die Anwendung/Deregulierung neue Gentechniken.
Carlos Campos ist derzeit der nationale Geschäftsführer von Cáritas Brasileira. Seit über 30 Jahren unterstützt er den Kampf der Kleinbauern, die ohne Land leben, setzt sich ein für die Gewährleistung einer agrarökologischen Produktion und die Einrichtung von kreolischen Saatgutbanken, um transgene Produkte zu bekämpfen und die Familienlandwirtschaft zu stärken. Zusammen mit dem Piauí-Forum bestreitet er einen unermüdlichen Kampf für das Leben in der Halbwüste und den Ausbau von sozialen Technologien zum Auffangen von Regenwasser (Zisternen-Programm) im brasilianischen Caatinga-Biom.
Moderiert wird die Veranstaltung von António Andrioli. Bis vor kurzem war er Direktor und Vizepräsident der Universidade Federal da Fronteira Sul (UFFS) in Santa Catarina (mit Dependancen in Paraná und Rio Grande do Sul). Diese auf Nachhaltigkeit und Agrarökologie spezialisierte Hochschule ermöglichte insbesondere auch Indigenen, Bäuerinnen und Bauern Zugang zum Studium. Seit Anfang August diese Jahres ist er als Gastwissenschaftler mit einem Post-Doc-Stipendium von Brot für die Welt am CSS (Center for Sustainable Society Research) der Universität Hamburg tätig.

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