20 Jahre durchlief der Gesetzesvorschlag PL 6299/2002 unzählige Ausschüsse und Kommissionen des brasilianischen Abgeordnetenhauses. Nun hat die Mehrheit der ruralistas-Fraktion im Abgeordnetenhaus für die bei den Nichtregierungsorganisationen als „pacote do veneno“ („Gesetzespaket des Giftes“) bekannte Gesetzesänderung gestimmt.
Auf einmal ging alles sehr schnell. 20 Jahre durchlief der Gesetzesvorschlag PL 6299/2002 unzählige Ausschüsse und Kommissionen des brasilianischen Abgeordnetenhauses, bei den Nichtregierungsorganisationen als „pacote do veneno“, „Gesetzespaket des Giftes“, bekannt. Es wurde über das Gesetzespaket des Giftes debattiert und gestritten, gefeilt und verschärft, entschärft und wieder radikalisiert. 20 lange Jahre lang. Die widerstreitenden Kräfte von Befürworter:innen auf Seiten der ruralistas-Fraktion der pestizidliebenden Großgrundbesitzenden und die Gegner:innen des Gesetzespakets auf Seiten eines gegen den in Brasilien seit Jahren massiv Überhand nehmenden Einsatzes von Agrarchemikalien blockierten die Anliegen der gegnerischen Fraktion immer wieder gegenseitig, die Medienmeinung spielte auch immer wieder, in Abhängigkeit der konjunkturellen Situation der gesellschaftlichen Debatte, eine Rolle, wie es mit der PL 6299/2002 weiter gehen sollte.
Gestern aber ging es ganz schnell: Mit 301 zu 150 Stimmen hat die Abgeordnetenkammer am Mittwochabend, dem 9. Februar, das „Giftpaket“ PL 6299/2002 angenommen, wobei zwischen der Annahme des Dringlichkeitsantrags und der Abstimmung über den Gesetzentwurf weniger als vier Stunden Debatte lagen. Der Parlamentenspräsident Artur Lira hatte die Dringlichkeit überraschend beantragt und die im Kongress so mächtige ruralistas-Fraktion im Abgeordnetenhaus hat das Thema durchgepeitscht und die PL 6299/2002 verabschiedet. Der Gesetzesentwurf geht nun in den Senat.
Für Alan Tygel, Mitglied der Campanha Permanente Contra os Agrotóxicos e Pela Vida, ist die Verabschiedung des Giftpakets „eine echte Niederlage für die Zivilisation“. Und er fügt hinzu: „Was tun wir hier in einer Zeit, in der die Welt nach weniger Umweltverschmutzung, weniger Verbrauch natürlicher Ressourcen, weniger Verschmutzung und weniger Emissionen von umweltschädlichen und giftigen Produkten strebt? Das Gegenteil: die allgemeine Liberalisierung von Agrargiften“, so Tygel.
Der Gesetzesentwurf PL 6299/2002 macht den Einsatz von Pestiziden im Land noch flexibler und ersetzt den derzeitig noch gültigen Rechtsrahmen, das Gesetz 7.802, das seit 1989 in Kraft ist und das die Grundlagenbestimmung über Produktion, Lagerung, Verwendung und Entsorgung von Agrarchemikalien in Brasilien definiert. Der Gesetzentwurf PL 6299/2002 verstößt nach Ansicht der Campanha Permanente Contra os Agrotóxicos e Pela Vida gegen mehrere Artikel der Verfassung sowie gegen von Brasilien ratifizierte Abkommen und Verträge und sieht zudem die Freisetzung krebserregender Pestizide vor, eine Ausweitung der Befugnisse des Ministeriums für Landwirtschaft und Viehzucht (MAPA) sowie in der Bewertung von Agrarchemikalien die de facto-Abschaffung der Gesundheitsbehörde Anvisa und und der Umweltbehörde Ibama vor und schaffe dergestalt Raum für eine „Industrie“ der befristeten Zulassungen.
Auch Karen Friedrich, Wissenschaftlerin am staatlichen Gesundheitsforschungsinstituts Fiocruz, sagt, dass die in der PL 6299/2002 vorgesehenen Änderungen die Zulassung von noch mehr schädlichen Pestiziden in Brasilien ermöglichen würden. „Pestizide, die ein höheres Risiko für Krebs, Reproduktions- und Hormonstörungen sowie Missbildungen bei Säuglingen bergen, werden leichter registriert werden können. Die Schäden sind unvorhersehbar, sowohl für diejenigen, die in der Nähe der Plantagen oder Industrien leben, in denen sie produziert werden, als auch für diejenigen, die an diesen Orten arbeiten“, so Friedrichs zitierte Stellungnahme auf der Webseite der Campanha Permanente Contra os Agrotóxicos e Pela Vida.
Brasilien, ein weiterer Schritt in Richtung eines „Paradieses der Agrargifte„.
// Christian Russau