Studien

NATUR IM ANTHROPOZÄN

ZWISCHEN ÖKOSYSTEMLEISTUNGEN UND BEWAHRUNG

Im August 2018 veröffentlicht die Zeitschrift Nature einen viel diskutierten Artikel mit dem Titel: „The Battle for the Soul of Biodiversity“. Hinter der suggestiven Formulierung verbirgt sich eine Diskussion um etwas sehr Technisches und Spezifisches. Das IPBES hat entschieden, den Begriff Ecosystem Services (ES) durch Nature´s Contribution to People (NCPs) zu ersetzen – und spätestens hier ist es nur noch für Eingeweihte klar, worum es geht.

Das IPBES (die Akürzung steht für: Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services) ist einer breiteren Öffentlichkeit weitgehend unbekannt. Es ist das Beratungsgremium der Biodiversitätskonvention und wurde nach dem Vorbild des Weltklimarates (IPCC) gebildet. Es ist also eine Art Weltbiodiversitätsrat. Und dieser hat nun vorgeschlagen, das so verbreitete Konzept der „Ökosystemleistungen“ (oft auch „Ökosystemdienstleistungen“) durch ein neues zu ersetzen, das auf deutsch wenig prägnant „Beiträge der Natur für Menschen“ (englisch: nature’s contributions to people – abgekürzt und im folgenden: NCP) genannt wird.

Dies kann für die Zukunft von Strategien des Naturschutzes von großer Bedeutung sein. Denn das Konzept der Ökosystemleistung (englisch: ecosystem services, abgekürzt und im folgenden: ES) hat in den letzten zwanzig Jahre einen beispiellosen Siegeszug angetreten und gleichzeitig hitzige Debatten etwa um die „Monetarisierung von Natur“ provoziert. Der Versuch, einen neuen Begriff zu etablieren ist ein Eingeständnis, dass die Kritik an dem ES Ansatz ernst genommen wird und Ausdruck davon, dass der Ansatz vor allem außerhalb der Wissenschafts- und Forschungsgemeinschaft der Länder des industrialisierten globalen Nordens durchaus umstritten ist.

Jedenfalls markiert der ES Ansatz eine grundlegende Wende im Naturschutz, der nun auch als ökonomisch sinnvoll gerechtfertigt wird. Der Erfolg des ES Ansatzes hat mit dem wirkungsvollen Versprechen zu tun, die Erhaltung der Natur oder das Aufhalten ihrer Zerstörung neu zu begründen, nämlich den Naturschutz aus einer ihm zugeschriebenen romantischen Ecke herauszuholen und im ökonomischen Mainstream neu zu platzieren. Für die Forschung eröffnet der Ansatz ein weites Feld: Ungezählte Ökosystemleistungen wie die Bestäubung durch die berühmten Bienen bis zu solchen von bis dato unbekannteren Pflanzen werden nun untersucht.

Was sich aber so praktisch und einsatzfähig erwies, beruht auf problematischen Grundlagen, nämlich auf einem ganz spezifischen Verständnis der Natur, das diese primär als Dienstleiterin für den Menschen sieht. Anders gesagt, in den Mittelpunkt des Ansatzes rückt ein angenommener Fluß der Natur hin zum Menschen, der mit ökonomischen Instrumenten zu erfassen ist.

Hier wird deutlich, dass der ES Ansatz ein machtvolles Narrativ in die Welt bringt, das aber letztendlich auf einem spezifischen Begriff der Natur beruht, der durch einen fundamentalen Anthropozentrismus, eine Fokussierung auf den Menschen gekennzeichnet ist. Der enorme Erfolg des ES Konzeptes hat dessen Vertreter*innen vielfach ungeduldig, ja sogar unduldsam gegenüber Kritik gemacht. Zu sehr erschien ES als ein Fortschritt der Wissenschaft, der einfach akzeptiert werden müsse, denn als gesellschaftliche Konstruktion mit Voraussetzungen und problematischen Konsequenzen.

In den Debatten rund um IPBES und die Biodiversitätskonvention CBD (Convention on Biological Diversity) haben aber insbesondere Forscher aus dem globalen Süden ihr Unbehagen am ES Ansatz immer wieder artikuliert und letztendlich mit dessen Ersetzung durch den NCP Ansatz eine wichtige Änderung erreicht. Inwieweit sich der neue Begriff allerdings durchsetzt, muss abgewartet werden.

Die Debatte um den ES Ansatz überschneidet sich mit einer weiteren Debatte, die, anders als die Auseinandersetzungen um ES, auch eine breitere Öffentlichkeit erreicht hat: die These, dass wir ein neues erdgeschichtliches Zeitalter erreicht haben, das „Anthropozän“. Unberührte Natur oder Wildnis wird als Mythos entlarvt, auch im letzten Winkel der Erde sind die Spuren des Menschen nachweisbar. Eine vom Menschen nicht beeinflusste Natur gibt es nicht mehr, der Mensch hat die Macht. Die Konsequenz daraus ist, dass der Mensch sich nicht mehr um die Erhaltung einer längst nicht mehr existierenden Natur bemühen soll, sondern die Verantwortung für eine nachhaltige Bewirtschaftung der Erde übernehmen muss. Der Mensch soll wie ein kluger Gärtner handeln, der Wald soll zu einem wilden Garten („Rambunctious Garden“) verwandelt werden, wie es das einflussreiche Buch der Journalistin Emma Marris im Titel fordert.

Die ganze Welt wird in dieser Diktion nun zu einer Breitstellerin von ES, zu einer Dienstleiterin für den Menschen, der nun seinerseits die Verantwortung übernehmen muss, die Kuh, die er unermüdlich melken will, auch gut zu versorgen.

ES und das postulierte Ende der Natur im Anthropozän sind wohl die beiden mächtigsten Narrative der Gegenwart, die Beherrschung der Natur durch den Menschen rechtfertigen und rationalisieren wollen. Sie überschneiden sich, sind aber nicht identisch. So lässt sich mit dem ES Ansatz durchaus auch der Schutz von Wildnis rechtfertigen, da auch sie ES bieten kann: saubere Luft etwa, aber auch die sogenannten kulturellen ES wie ein Landschaftserlebnis. Aber gerechtfertigt werden muss der Erhalt der Wildnis durch „Leistungen“ für den Menschen. Natur ist erhaltenswert, weil sie für den Menschen arbeitet.

Ziel dieser FDCL-Publikation ist es aufzuzeigen, dass diese beiden Narrative rund um die Ökosystemleistungen und das Anthropozän nicht nur auf fragwürdigen Annahmen beruhen, sondern auch bedenkliche und vielleicht sogar gefährliche Konsequenzen für die Strategien zur Bewältigung der globalen Umweltkrise haben können und in diesem Kontext die Debatte um ES und Anthropozän kein akademischer Streit um Begriffe ist, sondern praktische Auswirkungen auf die Perspektiven des Naturschutzes hat.

Inhalt

Einführung: Der Streit um die Seele der Natur 4
1. Natur als Dienstleister? Der Streit um ein Konzept 6
Warum ist Ökosystemleistungen als Konzept so attraktiv ? 6
Ecosystem Services – Kritik und Schwächen 9
Im Gestrüpp der Werte 10
Welche Sprache versteht die Politik? 10
Ecosystem Services – ein okzidentales Konstrukt? 11
Natur anders denken: Humbold, Marx und das Netz des Lebens 12
Von Ecosystem Services zu Nature´s Contrubution to People –
Umetikettieren oder Paradigmenwechsel? 14
2. Naturschutz im Anthropozän 16
Naturschutz nach dem Ende der Natur: New Conservation 17
Die Natur der Natur 18
Der alte Naturschutz schlägt zurück: die Hälfte der Erde 19
Zwischen Anthropozän und Half Earth: Umweltschutz am Scheideweg 20
Anthropozän, Kapitalozän oder gar Anthropo-obcene? 22
3. Schlussfolgerungen 24
4. Weiterführende Lektüre 25

Impressum

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Fon: +49 30 693 40 29 | E-Mail: info@fdcl.org
Internet: www.fdcl.org

Autor: Thomas Fatheuer
Redaktion: Jan Dunkhorst
Foto: Moody Wald Österreich | Daniel J. Schwarz | Unsplash
Layout: Ingrid Navarrete | www.ingrid-navarrete.de
Druck: Druckzuck GmbH | Reichenberger Str. 124, 10999 Berlin
Redaktionsschluss: 01.11.2020
V.iS.d.P.: Jan Dunkhorst / FDCL e.V.

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© FDCL-Verlag Berlin, 2020. ISBN: 978-923020-92-8

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