In Ecuador stimmt die Bevölkerung zehn Jahre später doch noch über den Yasuní ab

Vor fünfzehn Jahren zog der Andenstaat Ecuador mit einer historischen Initiative die internationale Aufmerksamkeit auf sich: Das Erdöl im Nationalpark Yasuní würde im Boden bleiben, wenn die Weltgemeinschaft Ecuador für den Einnahmenverlust entschädigte. Zu gewinnen gab es für alle die Einsparung von CO2. Die Weltgemeinschaft zahlte nicht und 2013 begann ein zähes Ringen um das Erdöl und die Landrechte von isoliert lebenden indigenen Gemeinden. Das Kollektiv YASunidos (heute YASunidxs) versuchte, eine Volksbefragung durchzusetzen, um das Öl im Boden zu lassen, doch ein großer Teil der Stimmen wurde für ungültig erklärt. Zehn Jahre später entschied das Verfassungsgericht: Das war unrechtmäßig. Im August soll nun die ecuadorianische Bevölkerung über die Zukunft des Yasuní entscheiden.

von Fernando A. Muñoz-Miño

Am 20. August dieses Jahres wird die ecuadorianische Bevölkerung an die Urnen gehen, um zu entscheiden, wer in der Übergangsperiode bis 2025 die Exekutive und die Legislative führt. Inmitten von Hektik, Improvisation und politischen Manövern, die bei den Wähler*innen tiefes Misstrauen und Argwohn hervorrufen, haben die Parteien Kandidat*innen aufgestellt und Wahlkampfprogramme verabschiedet, die auf die ihrer Meinung nach dringendsten Probleme Ecuadors eingehen, darunter Sicherheit, Korruptionsbekämpfung, Stärkung der Institutionen und Wiederbelebung der Wirtschaft.

Diese vorgezogenen Wahlen sind wichtig in Anbetracht der aktuellen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Krise im Land, die durch zunehmende Unsicherheit und Gewalt verschärft wird. Und die Wahlen fallen mit einem in der demokratischen Geschichte Ecuadors noch nie dagewesenen Prozess zusammen: der Volksbefragung zum Nationalpark Yasuní. Bei diesen Wahlen werden die mehr als 13 Millionen ecuadorianischen Wähler*innen darüber entscheiden, ob das Erdöl im Boden gelassen werden soll, um so einen Beitrag zum Kampf gegen den Klimawandel zu leisten und den Übergang zu einer Wirtschaft ohne Erdöl einzuleiten, oder ob die Ausbeutung der fossilen Brennstoffe fortgesetzt werden soll, wodurch die wirtschaftliche Abhängigkeit vertieft und die Menschen sowie die Pflanzen- und Tierarten, die in diesem Gebiet heimisch sind, dauerhaft gefährdet werden.

Zum ersten Mal haben die Bürger*innen eines Landes die Möglichkeit, sich für den Erhalt des Lebens, die Rechte der Völker in freiwilliger Isolation und die ökologische Transformation weg von der Erdölausbeutung auszusprechen. Das allein ist schon historisch. Aber die Volksbefragung ist auch das Ergebnis eines zehnjährigen Kampfes und des anhaltenden Widerstands sozialer Organisationen, insbesondere des Kollektivs YASunidxs. Das Kollektiv versucht seit 2013, dass dieser Mechanismus der direkten Demokratie eingesetzt wird. Warum ist diese Volksbefragung so entscheidend? Das zeigt ein Blick auf die Geschichte des Yasuní.

Yasuní bedeutet in Wao Tededo, der Sprache der Waorani-Nationalität, „heiliges Land“ und bezieht sich auf ein traditionelles Territorium zwischen den Flüssen Napo und Curaray im ecuadorianischen Amazonasgebiet. Aufgrund seiner biologischen Bedeutung und weil er die Heimat indigener Völker und Nationalitäten ist, deklarierte ihn der ecuadorianische Staat 1979 zum Nationalpark. Die UNESCO erklärte ihn dann 1989 zum Biosphärenreservat und 1999 zum unantastbaren Schutzgebiet, um die Völker in freiwilliger Isolation zu schützen. Trotzdem wurden hier inzwischen mehr als 15 Ölprojekte durchgeführt. Block 43, auch Yasuní ITT genannt, ist das jüngste – und es liegt im am meisten gefährdeten Gebiet.

Die Region wurde im Pleistozän, der letzten Eiszeit, als Zufluchtsort genutzt, da es eine der wenigen grünen und blühenden Vegetationsinseln war. So kam es dort zu einer ungewöhnlich hohen Konzentration von Pflanzen und Tieren, die bis heute erhalten geblieben ist. Es wurden bis heute im Yasuní mehr als 165 Säugetierarten, 630 Vogelarten, 130 Amphibienarten, 540 Fischarten pro fünf Flusskilometer, 72 Reptilienarten, mehr als 100000 Insektenarten pro Hektar und mehr als 1130 Pflanzenarten entdeckt – das sind mehr Pflanzenarten als in ganz Nordamerika.

Diese Biodiversität ist wichtig für Ecuador, den Kontinent und die Welt, da sie Bestäubungsprozesse in Gang setzt, die Erneuerung von Wasserkreisläufen ermöglicht und grundlegende biotechnologische Ressourcen schafft. Es gibt keinen Zweifel, dass die Bestäubung dank der Arbeit von Insekten, Vögeln und Säugetieren unverzichtbar für die Erzeugung von Nahrungsmitteln für Mensch und Tier ist. Sie beeinflusst den Kreislauf des Lebens nicht nur in diesem Gebiet, sondern in der gesamten Region. Die vielen Pflanzenarten tragen dazu bei, Regenfälle anzuziehen, die die Flüsse und Lagunen des Amazonasbeckens speisen, Kohlendioxid binden und Trinkwasserquellen erneuern. Außerdem ist die biologische Vielfalt wesentlich für die Herstellung neuer Medikamente und Biotechnologien. So wurde im Yasuní der Pilz Pestalotiopsis microspora endeckt, der in der Lage ist, bestimmte Kunststoffarten abzubauen und damit eine Alternative im Kampf gegen die Plastikverschmutzung darstellt.

Im Yasuní leben zahlreiche Gruppen von Menschen wie die mestizischen Siedler*innen, die amazonischen Kichwas, die Shuar und die Waorani. Die Tagaeri und Taromenane sind besonders zu erwähnen, da sie die letzten indigenen Völker sind, die in Ecuador freiwillig isoliert leben.

Rohstoffförderung wird immer als Chance für die Entwicklung angepriesen, dabei hat sie in der Vergangenheit zahlreiche Umweltprobleme verursacht: Abholzung, Wasserverschmutzung, Verlust der biologischen Vielfalt. Zudem gibt es soziale Folgen: Ungleichheit und Gewalt nehmen zu, soziale Gefüge werden erschüttert und Gemeinschaften werden zunehmend wirtschaftlich abhängig vom Erdöl, weil andere lokale Wirtschaftsbereiche zum Erliegen kommen. Im Fall der Völker in freiwilliger Isolation ist die Erdölausbeutung sogar noch gravierender: Sie könnte zum Ethnozid führen.

In der Hoffnung, diese Probleme zu bekämpfen, und mit dem Willen, eine konkrete Alternative zu schaffen, wurde die Yasuní-ITT-Initiative ins Leben gerufen. Die Initiative war ein von der Zivilgesellschaft vorangetriebenes Projekt, das 2007 vom ecuadorianischen Staat angenommen wurde. Es zielte darauf ab, das Öl im Yasuní-Block 43, der in Anlehnung an die Ölfelder Ishpingo, Tiputini und Tambococha als ITT bezeichnet wird, im Boden zu lassen. Im Gegenzug sollte die internationale Gemeinschaft Ecuador finanziell entschädigen – als Anerkennung, wie wichtig es im Kampf gegen den Klimawandel wäre, das Öl nicht zu fördern. 407 Millionen Tonnen CO2 könnten so eingespart werden. Im August 2015 gab die Regierung jedoch das Ende der Initiative bekannt, da die erwarteten Fördermittel nicht erzielt werden konnten, und leitete den Prozess zur Aufnahme der Erdölförderung in dem Gebiet ein. Sie versprach minimale Eingriffe und die Anwendung der besten verfügbaren Technologie, um Umweltprobleme zu vermeiden.

Während der Staat also die Transformation begrub, organisierte sich die Zivilgesellschaft, um zu fordern, dass das Öl im Boden bleibt. Sie entschied sich, einen in der Verfassung verankerten Mechanismus der direkten Demokratie zu nutzen. So entstand das Kollektiv YASunidos als Plattform sozialer Organisationen und Einzelpersonen, deren Hauptziel es war, eine Volksbefragung durchzusetzen, bei der die ecuadorianische Bevölkerung ihre Meinung zum Yasuní äußern konnte.

Die Herausforderung war enorm, denn die wichtigste verfassungsrechtliche Voraussetzung für die Durchführung einer Volksbefragung durch eine Bürger*inneninitiative war, dass die Unterschriften von mindestens fünf Prozent der Wähler*innen gesammelt werden mussten. Etwas, das in der Geschichte des Landes noch nie zuvor in Angriff genommen, geschweige denn erfüllt wurde. So reichte YASunidos am 12. April 2014, weniger als sechs Monate nach Beginn der Unterschriftensammlung, mehr als 750000 Unterschriften bei der Wahlbehörde ein und damit mehr, als nötig waren. Doch die damalige Wahlbehörde annullierte willkürlich und ungerechtfertigt die Mehrheit der Unterschriften, um den Abstimmungsprozess zu stoppen und den Weg für den Beginn der Ölförderung zu ebnen. Die begann dann auch 2016.

Trotz dieser vermeintlichen Niederlage setzte sich das Kollektiv YASunidos für die Verteidigung des Referendums ein, durch gewaltfreie Widerstandsaktionen und eine Reihe von Beschwerden, unter anderem beim Verfassungsgericht, beim Gericht für Wahlstreitigkeiten, beim Büro des Bürgerbeauftragten und anderen öffentlichen Einrichtungen sowie bei internationalen Gremien wie der Interamerikanischen Menschenrechtskommission. Diese beharrliche Arbeit ebnete nach und nach den Weg für die Befragung. So wies 2018 eine Kommission unabhängiger Expert*innen nach, dass die gesammelten Unterschriften gültig waren. Das führte 2022 dazu, dass die Wahlbehörde die Bescheinigung über die demokratische Legitimität der von YASunidos vorgeschlagenen Befragung ausstellte. Schließlich kam das ecuadorianische Verfassungsgericht in diesem Jahr zu der Entscheidung, dass die vor zehn Jahren gestellte Frage verfassungskonform war, und legte somit fest, dass die Befragung unverzüglich durchgeführt werden sollte.

Der Wert des zehnjährigen Kampfes und Widerstands für den Yasuní liegt nicht nur darin, dass die lang erwartete Volksbefragung zustande gekommen ist. Die politische Auseinandersetzung wirkte sich auch auf die Demokratisierung der ecuadorianischen Gesellschaft aus. So hat der Kampf um die Yasuní-Befragung den Weg für andere lokale Prozesse der demokratischen Willensbildung zum Schutz der Natur geebnet, wie die Volksbefragungen zum Bergbau im Páramo Quimsacocha (2019), im Kanton Cuenca (2021) und im Chocó Andino der Metropolregion Quito, die parallel zur Yasuní-Befragung stattfinden werden.

Die Befragung zum Yasuní ist eine Gelegenheit, eine ernsthafte demokratische Debatte über die Notwendigkeit und Dringlichkeit einer verantwortungsvollen ökologischen Transformation zu eröffnen. Nicht nur für Ecuador, das in den letzten 50 Jahren wirtschaftlich vom Erdöl abhängig war, sondern für alle Länder der Welt, die jeden Tag mit den traumatischen Auswirkungen des sich beschleunigenden Klimawandels zu kämpfen haben. In diesem Sinne stellt die Möglichkeit, Ja zum Yasuní zu sagen, eine historische Chance dar, die den Weg öffnet, von konkreten Utopien und realisierbaren Alternativen zu träumen.

So sollte der Yasuní nicht nur die ecuadorianischen Bürger*innen ansprechen, die im kommenden August wählen werden, sondern auch alle, die erkennen, dass in dieser sich eröffnenden Zukunft eine gemeinsame und unausweichliche Verantwortung liegt. Die einfache Frage heißt: Auf welcher Seite der Geschichte wollen wir stehen?

Fernando A. Muñoz-Miño ist Historiker an der Katholischen Universität in Quito (PUCE) und Spezialist für Kindheit und Jugend im Lateinamerikanischen Rat der Sozialwissenschaften (CLACSO), Mitglied in den Kollektiven YASunidxs und El Colectivo. Kontakt: famunozmino@hotmail.com / consulta@yasunidos.org

Übersetzung: Fynn Eberle

Der Artikel ist zuerst in der ila 467 erschienen