Bolsonaro-Regierung ermuntert illegale Goldgräber und schafft so ein Narrativ der Gewalt
06.02.2021 | von Christian.russau@fdcl.org
Die Morddrohung kam per Whatsapp-Nachricht und auch über die lokalen Radiowellensender, mit denen die Bewohner:innen der abgelegenen Region am Tapajós, in Amazonien, miteinander kommunizieren. Die Botschaft war dabei eindeutig: Die Geduld sei erschöpft und man werde diejenigen nicht länger tolerieren, die sich der Goldsucherei entgegenstellten. Man werde sie töten.
Die Empfängerin der Morddrohung: Kabaiwun Munduruku, 33 Jahre alt, früher bekannt unter dem Namen Leusa Munduruku, heute bekannt unter dem Namen Kabaiwun Munduruku, Mutter von fünf Kindern. Die Täter: Goldsucher, die illegal in der Terra Indigena Munduruku und der Terra Indígena Sai Cinza nach Gold suchen, mit schwerem Gerät, mit Quecksilber, zum Trennen des Goldes, was die Flüsse derart verschmutzt, dass es mittlerweile kaum noch Flussanwohnende Indigene gibt, deren Quecksilberwerte im Körper nicht alarmierend hohe Werte aufweisen würde, mit Millionenschwerer Ausrüstung, bezahlt durch die wohlhabenden Hintermänner in den Städten. Und die, die die Maschinen vor Ort bedienen, die Bäume illegal roden, den Boden aufwühlen, Boden und Gewässer vergiften und Mondlandschaften hinterlassen, stets mit Gewehr oder Pistole zur Hand, die die Morddrohungen aussprechen und von denen alle wissen, sie würden ebenfalls nicht zögern, ihre Waffen einzusetzen, die sind auch Indigene Munduruku. Die Taktik der Spaltung hat funktioniert.
Ähnlicher Bedrohungslage ist auch Alessandra Munduruku ausgesetzt. Alessandra war im September 2019 als Gast der ASW und des FDCL in Berlin, nahm an der Berliner Klimastreik-Demo von „Fridays for Future“ am 20.9.2019 Teil, sprach vor zigtausenden Schüler:innen am Brandenburger Tor. Nun musste auch sie, genauso wie Kabaiwun fliehen, mit Familie an geheimen Ort, denn die Morddrohungen haben überhand genommen, Autos mit verdunkelten Scheiben verfolgten sie, sie wurde ostentativ gefilmt, wie Partnerorganisationen berichten.
Es ist zu gefährlich für die beiden Frauen dort zu bleiben, wo sie leben. Nur in der indigenen Dorfgemeinschaft der Aldeia können sie nicht bleiben, denn der Weg raus und rein wäre zu gefährlich, in der Stadt zu bleiben ist auch kein Thema, ebenfalls zu gefährlich. So blieb für beide Frauen nur die Möglichkeit, mit Hilfe befreundeter Organisationen für eine Weile samt Familie in eine andere Gegend zu ziehen. An geheimen Ort vorrangig nur Eines: überleben.
Beide Frauen befinden sich in akuter Lebensgefahr, wegen ihrer Rolle als Anführerinnen der Indigenen im Widerstand gegen die zahllosen Angriffe auf das Gebiet ihres Volkes. Der mächtige und gefährliche Gegner: Garimpo, die Goldgräberei. Die Munduruku sind eine der größten ethnischen Gruppen des Landes, mit Territorien entlang des Tapajós, dem Becken, das den Amazonaswald mit dem Cerrado verbindet. Das Großgebiet umfasst drei Bundesstaaten, Pará, Amazonas und Mato Grosso. Die Region leidet nicht nur unter illegaler Holzgewinnung und großen Regierungsprojekten wie Staudämmen, Soja, Monokulturen jeder Art und den damit zusammenhängenden Pestiziden, sondern ist heute auch eines der Hauptziele der Goldgewinnung im Land. Kabaiwuns und Alessandras in Medien und vor Gericht und Parlament vorgebrachten Klagen zur Verhinderung all dieser die Munduruku-Gemeinschaft in ihrer Existenz bedrohenden Projekte provozierten die Empörung einer Munduruku-Gruppe, die Garimpo auf indigenem Gebiet befürwortet. Es geht ums Geld, wie so oft.
„Jetzt zeigen diejenigen, die den Garimpo verteidigen, ihr wahres Gesicht“, erklärt Kabaiwun gestern gegenüber dem Hintergrundportal von Repórter Brasil. „Zuvor versteckten sie sich noch, um so zu tun, als würden sie dem Volk keinen Schaden zufügen. Nun aber haben sie keine Angst mehr“, klagt Kabaiwun. „Einige Angehörige sind bereits getäuscht worden, verseucht von der pariwat-[weißen]-Ideologie, dass man das Territorium zusammen mit ihnen ausbeuten muss, um einen Anteil zu bekommen.“ Für Kabaiwun jedoch ist klar, dass es sich um eine Minderheit handelt, die hauptsächlich von Männern gebildet wird: „Es ist eine kleine Gruppe von Indigenen, die von den Unternehmern angelockt werden, die unser Gebiet ausbeuten. Wir Frauen sind hier, um zu sagen, dass das nicht passieren darf, denn es ist das Leben unserer Kinder, das auf dem Spiel steht“. Und sie bekräftigt: „Ich denke, wenn die Frauen nicht im Kampf wären, würden alle Männer da sein und das Gebiet verscherbeln, leider“.
Obwohl sie als Minderheit betrachtet wird, hat die pro-garimpo indigene Gruppe offene Unterstützung von der Bundesregierung erhalten. Im August 2020 empfing Umweltminister Ricardo Salles in Brasilia eine Gruppe von sieben Munduruku-Bergleuten, die mit einem Flugzeug der brasilianischen Luftwaffe aus Jacareacanga (PA) in die Hauptstadt gebracht wurden. Nach einem Gespräch hinter verschlossenen Türen setzte das Verteidigungsministerium sogar Operationen zur Bekämpfung des illegalen Garimpo in der Region aus. Die Bundesstaatsanwaltschaft des Bundesstaates Pará (MPF/PA) leitete eine Untersuchung über den Einsatz der Militärflieger des FAB zum Transport der Gruppe ein, bisher ist niemand dafür zur Verantwortung gezogen worden. Von den Goldsuchern ganz zu schweigen. „Es war ihre Strategie, die Munduruku [nach Brasília] zu bringen, die über das Territorium verhandeln wollten. Sie sind wirklich gekommen, um unser Volk zu spalten“, sagt Kabaiwun.
Heute gehören diese beiden Frauen, Kabaiwun und Alessandra, zu den wichtigsten Wortführerinen bei der Verteidigung des Munduruku-Territoriums. Vor Jahren gründeten sie die Frauen-Widerstandsorganisation Wakoborun, die die Frauen organisiert, bildet und so enorme Empowermentprozesse unter den Frauen in Gang gebracht hat. Das schürt natürlich Hass, Hass bei einigen der Männer. Die internen Konflikte zwischen den mehr als 14.000 Indigenen Munduruku – aufgeteilt in mehr als hundert Dörfer – um das Garimpo im Gebiet sind alt. Die aktuelle politische Situation unter einer Bolsonaro-Regierung, der Umweltzerstörung egal ist und die den illegalen Bergbau in Amazonien voranbringen möchte, hat jedoch der Gruppe der Indigenen, die sich von der Goldgräberei Reibach erhoffen, Auftrieb gegeben. Während auf den Weltmärkten der Goldpreis historische Rekorde erreicht, treibt die Bolsonaro-Bundesregierung weiterhin den Bergbau auf indigenem Land voran. Im Februar letzten Jahres schickte Präsident Jair Bolsonaro den Gesetzentwurf 191/2020 in den Kongress, der diese Tätigkeit legalisieren soll.
Kabaiwun ist in Alto Tapajós geboren und aufgewachsen, wo sie das Fieber nach Gold bei einigen Männern aufflammen sah. „Junge Leute wollen heute nur noch Gold. Es ist sehr traurig, und es wird jeden Tag mehr.“ Sie sagt, dass die Gier immer mehr Menschen in den Gemeinden ergreift und sie bedauert, dass die Kultur ihres Volkes verloren geht. Deshalb widmet sie sich der Aufklärung über die Auswirkungen von Garimpo. Nun aber musste Kabaiwun Munduruku ebenso wie Alessandra Munduruku sich erstmal in Sicherheit bringen. Zu gefährlich wäre es für die zwei Frauen im Moment, vor Ort den Kampf fortzuführen, ohne hinreichend Schutz, für den der Staat eigentlich zuständig wäre.