Studien

EIN ANDERES AGRARMODELL IST MÖGLICH!

Agrarökologie als Gegenpol und Alternative zur industriellen Landwirtschaft im `Cono Sur´ Lateinamerikas

„Grüne Revolution“ war der Name, den die Rockefeller Foundation und die Ford Foundation, beide aus den Vereinigten Staaten, wählten, um die Initiative, landwirtschaftliche Forschung aus dem Labor rasch auf den Feldern anzuwenden, zu beschreiben. Ziel war eine höhere Produktion pro Hektar, um damit die wirtschaftliche Profitabilität zu steigern. Diese Initiative begann in den 1950er Jahren und war der Startpunkt einer technisierten Landwirtschaft mit mehr Maschinen und dem Einsatz einer Art von Hybridsaatgut. In den 1960er und 1970er Jahren steigerte sie die Ernteerträge, führte aber auch dazu, dass die Landwirte zunehmend von teuren Chemikalien abhängig wurden. Eines der Argumente war, damit „den Hunger in der Welt zu beenden“.
Ende der 1980er Jahre begann die so genannte „zweite grüne Revolution“, die von Biotechnologieunternehmen vorangetrieben wurde. Die indigenen Völker und bäuerlichen Gemeinschaften erlebten in diesem Prozess den Verlust der sozialen und wirtschaftlichen Macht der ländlichen Gemeinschaften, die Verschlechterung der Bodenqualität, die umfassende Vertreibung der Bauern von ihrem Land und die gigantische Zunahme von Elendsvierteln in den Großstädten.
Der ländliche Raum ist weltweit und vielleicht wie nie zuvor in eine neue Phase eingetreten, die durch die Transnationalisierung des Kapitals, den Einsatz neuer Technologien und die Ausblendung der sozialen und ökologischen Auswirkungen gekennzeichnet ist. Der neue Name war (und ist) „Agrobusiness“ oder „industrielle Landwirtschaft“, und wieder einmal lautete das Versprechen, „den Hunger in der Welt zu beenden“ (was nie geschah). Kennzeichnend für das derzeitige Modell ist die Kontrolle durch transnationale Unternehmen in allen Phasen, von der Produktion bis zur Vermarktung, vom Verkauf von Saatgut und Chemikalien bis zum Vertrieb.

Auf dem globalen Markt der Agrarindustrie gilt Argentinien als Musterschüler: Der Vormarsch der Sojamonokulturen fand in den 1990er Jahren statt, als die neoliberale Regierung von Carlos Menem die Aussaat von gentechnisch verändertem Saatgut und den intensiven Einsatz von Agrargiften genehmigte. Heute ist Argentinien der weltweit drittgrößte Exporteur von Sojabohnen (nach Brasilien und den USA). Die Ausweitung des Anbaus ist auf die hohen internationalen Preise, die staatliche Unterstützung, große Unternehmen und die Nachfrage aus Europa und China zurückzuführen, die zu den größten Abnehmern von Soja geworden sind, das dort als Tierfutter (Rinder, Geflügel und Schweine) verwendet wird. Argentinien war der „Brückenkopf“ für den Vormarsch von gentechnisch verändertem Soja (und der Agrarindustrie) im `Cono Sur´ Lateinamerikas. Von Argentinien aus gelangte es nach Brasilien, dann nach Paraguay, Uruguay und schließlich nach Bolivien.

Diese Publikation setzt sich kritisch damit auseinander, wie Argentinien zu einem „Referenzland“ der Agrarindustrie geworden ist. Deren Agrarmodell wurde trotz all seiner negativen sozialen, ökologischen und gesundheitlichen Auswirkungen von den jeweils amtierenden Regierungen immer unterstützt. Gleichzeitig wird aber auch der große Widerstand gegen die industrielle Landwirtschaft in den Blick genommen. In diesem Sinne ist der Vormarsch der Agrarökologie von besonderem Interesse. Sie ist ein Grundpfeiler der Ernährungssouveränität, eine Produktionsweise, die das überlieferte Wissen wieder aufgreift, die sich um das Land sorgt (und damit natürlich auch um die Menschen, die dort leben) und die zeigt, dass andere Produktions- und Lebensweisen möglich sind.

Das erste Kapitel gibt einen Überblick über die Entstehung und Konsolidierung des argentinischen Agrobusiness-Modells: Welche Akteure von grundlegender Bedeutung waren, die staatliche Politik, die Art und Weise, wie Teile der Wissenschaft zu Verbündeten und Partnern der Unternehmen wurden, die Zulassung (ohne unabhängige Studien einzubeziehen) einer großen Zahl von genetisch veränderten Organismen („GMO“). Auch die Folgen werden erörtert: Entwaldung, Konflikte im ländlichen Raum, Vertreibung von Bauernfamilien, die Konzentration von Land in den Händen einiger weniger und die Auswirkungen von Agrochemikalien auf Gesundheit und Umwelt.
Der zweite Abschnitt konzentriert sich auf die Arbeit der bäuerlichen, indigenen und genossenschaftlichen Organisationen. Es wird auf die große Zahl von Vorschlägen (einschließlich Gesetzesentwürfen) eingegangen, die von der Landbevölkerung unter den Stichworten Agrarökologie und Ernährungssouveränität konzipiert, diskutiert und ausgearbeitet wurden. Es werden offizielle Zahlen zur bäuerlichen, agrarökologischen und ökologischen Produktion genannt und die Vielfalt der Akteure auf dem Lande erläutert.
Im dritten Kapitel wird ausführlich auf zwei konkrete agrarökologische Erfahrungen mit ihren Schwierigkeiten und Erfolgen eingegangen, die zeigen, wie es ist, Lebensmittel ohne Gifte und mit Respekt für die Umwelt und die Menschen zu produzieren.
Abschließend wird im Anhang zu diesem Text die Entwicklung und Situation der Agrarökologie in den argentinischen Nachbarländern Paraguay und Uruguay skizziert.

Inhalt

Einleitung     5
1. Sojaland Argentinien      6
1.1. Agrobusiness, Gentechnik, Agrargifte und Landkonflikte     6
1.2. Land in wenigen Händen      7
1.3. Gentechnisch veränderter Weizen      9
1.4. Wissenschaftliche Korruption      10

2. Bäuerliche, indigene und genossenschaftliche Organisationen     11
2.1. Bäuerliche Produktion      11
2.2. Runder Tisch Agrar- und Ernährungswirtschaft      12
2.3. Gesetze für den bäuerlichen Sektor      12

3. Agrarökologie in Argentinien      14
3.1. Die Gewerkschaft der Landarbeiter*innen (UTT) und die agrarökologische Produktion      15
3.2. Agrarökologie ohne staatliche Unterstützung      16
3.3. Agrarökologie – eine offene Debatte      16
3.4. Die “Granja Naturaleza Viva”      17
3.5. Guaminí und seine 5.000 Hektar      18

4. Schlussbemerkung      22
5. Anhang: Agrarökologie in Paraguay und Uruguay      23
5.1. Paraguay      23
5.2. Uruguay      24

Quellennachweise      26

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Autor: Darío Aranda (Agencia TierraViva | https://agenciatierraviva.com.ar/)
Redaktion/Lektorat: Jan Dunkhorst (FDCL)
Übersetzung (Spanisch>Deutsch): David Rojas Kienzle
Titelbild: Buenos Aires – 07.05.2023: Karawane und Mobilisierung bäuerlicher Organisationen des „Runden Tisches
für Agrar- und Ernährungswirtschaft Argentinien“ zur Vorstellung des Agrarprogramms für Ernährung
Foto: Das Titelbild wie auch alle weiteren Fotos in dieser Publikation zum Thema „Praxis der Agrarökologie in
Argentinien“ wurden von der Cooperativa SubCoop (https://www.sub.coop/) zur Verfügung gestellt, wofür wir
uns herzlich bedanken!
Layout: Ingrid Navarrete | www.ingrid-navarrete.de
Druck: Hinkelsteindruck, 10997 Berlin
Redaktionsschluss: 01.12.2023

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