Interview mit Arlen Ribeira, Präsident der Vereinigung der Grenzgemeinden des Putumayo
Wenn Regierungsvertreter*innen und Unternehmen darüber reden, mit indigenem Wissen den Klimawandel aufzuhalten, entwischt Arlen Ribeira ein müdes Lachen. Ribeira ist Uitoto und kommt aus der Gemeinde Mairidicai im peruanischen Amazonastiefland. Als Präsident der „Federación de Comunidades Fronterizas del Putumayo“ (Vereinigung der Grenzgemeinden des Putumayo), die 23 indigene Gemeinden aus dem Grenzgebiet zwischen Ecuador, Kolumbien, Peru und Brasilien versammelt, war er gerade in Bonn – bei den Vorverhandlungen zur UN-Klimakonferenz COP28. Ribeira kritisiert, wie schwierig es für indigene Gemeinden ist, Gelder aus internationalen Klimaschutzabkommen zu beantragen. Und er will von der deutschen Entwicklungsbank wissen, warum sie indirekt Regenwaldabholzung mitfinanziert. Denn Klimaschutz ist auch eine Landfrage.
Bis jetzt kommt man nur mit dem Boot von Iquitos nach El Estrecho. Jetzt soll eine Straße gebaut werden, ihr wollt das verhindern. Wann habt ihr von dem Projekt erfahren?
Wir indigene Gemeinden wurden nie konsultiert, sondern haben vor drei Monaten über Facebook davon erfahren. Wir fürchten, dass diese Straße große Auswirkungen auf unser Leben, unsere Kultur und unsere Territorien haben wird. Es wird zu einer Invasion unserer Territorien mit massiver Abholzung kommen. Wenn wir uns dagegen nicht wappnen, wird das ein Attentat auf unsere Bevölkerung.
Wie konkret könnte sich das Projekt auf das Leben der Gemeinde auswirken?
Kein Bauprojekt im Amazonasgebiet hat den indigenen Gemeinden je Entwicklung gebracht. Wir würden nie irrational unsere Ressourcen ausbeuten. Deswegen entscheiden Regierungen über unsere Territorien, oft ohne Konsultationsprozess. Sie werden eine Waldpolitik entwickeln, und das bedeutet einen Eingriff in unsere Territorien mit massiver Abholzung. Außerdem bringen Straßen immer andere Lebensweisen mit sich, die unseren Gemeinden aufgedrängt werden. Unser Leben ist abhängig vom Zusammenleben mit dem Urwald mit seiner reichen Flora und Fauna. Das ist unsere Subsistenzquelle. Eine Straße bringt Migration, illegale Abholzung, Ausbeutung unserer Ressourcen.
Was meinst du mit Zusammenleben mit dem Wald?
Als Indigene leben wir vom ersten Tag an mit dem Wald zusammen. Der Wald ist alles für uns. Der Staat versorgt die Gemeinden nicht mit Medikamenten, Bildung, Landwirtschaftsförderung. Deswegen leben wir vom Wald. Der Wald ist unsere Apotheke, unser Markt, unser alles. Während der Corona-Pandemie haben wir keine Medikamente oder Nahrungsmittel vom Staat bekommen. Das war eine schlimme Zeit, aber dank unseres traditionellen Wissens über Heilpflanzen konnten wir uns gegen das Virus wehren. Bis heute haben wir keine Unterstützung vom Staat gesehen. Deswegen sagen wir: Wenn wir unseren Wald verlieren, bedroht das unsere ganze Existenz als indigene Völker des Amazonas.
Und wie wird der Bau dieser Straße gerechtfertigt?
Es geht vordergründig um Entwicklung, Infrastruktur, Integration der indigenen Gemeinden. Aber dahinter liegen wirtschaftliche Interessen der Politiker*innen und Unternehmen. Wir werden von unseren Territorien vertrieben, um legal oder illegal Holz zu fällen und damit Geld zu machen. Es ist kein Geheimnis, dass es bei Großprojekten in Peru jede Menge Korruption gibt. Wir erleben häufig, dass Großprojekte nie fertiggestellt werden, weil das Geld dafür in irgendwelchen Taschen verschwindet. Bei Krankenhäusern passiert das leider oft. Aber eben auch bei dem Bau von Straßen. Der dient den Interessen der Bauunternehmen, aber bringt uns Indigenen gar nichts.
Ist bekannt, welche Unternehmen an dem Ausbau beteiligt sind und wer ihn finanziert?
Der Bau wurde grade erst angefangen, deswegen wissen wir dazu noch zu wenig, haben aber Informationen angefragt. Sorgen macht mir, dass die Lokalregierung von Loreto von der deutschen Entwicklungsbank KfW Fördermittel „zur Bewahrung der Wälder“ bekommt. Das ist doch ein Widerspruch: Sie sollen Wälder schützen, treiben aber die Abholzung voran. Darüber werde ich am 22. Juni mit der KfW sprechen. Sie sollen mir erklären, wie sie kontrollieren, dass ihre Gelder wirklich zum Schutz der Umwelt eingesetzt werden. Im Putumayo-Becken gibt es mindestens 34 Holzfälllizenzen, was aber wiederum auch die illegale Abholzung antreibt. Ich fordere alle Entwicklungsinstitutionen und die deutsche Regierung und das Parlament auf, die indigenen Gemeinden zu Rate zu ziehen, wenn sie Projekte zum Schutz des Regenwalds machen. Sie sollten ihre Projekte mit uns besprechen und abstimmen, denn wir sind diejenigen, die die Wälder schützen, nicht die Regierungen. Die Regierungen eignen sich vielmehr unsere indigenen Territorien an, um dann auf den UN-Konferenzen zu Klimawandel sagen zu können, dass sie sie schützen. Dabei werden unsere Rechte ignoriert, und wir haben keinen Zugang zur Finanzierung nachhaltiger Projekte, die wir gerne umsetzen würden. Deutschland hat das ILO-Abkommen 169 zur Anerkennung indigener Rechte unterzeichnet. Das verpflichtet Deutschland dazu, genau hinzuschauen und unseren Beitrag zum Kampf gegen die Erderhitzung anzuerkennen und auch finanziell zu unterstützen.
Könnte der Bau der Straße neben den befürchteten negativen Auswirkungen auch Vorteile für die Gemeinden bringen?
Was für Vorteile sollen das sein? Wir können uns nicht gegen die Folgen wehren, wir sind in einer sehr ungleichen Situation. Wir indigene Gemeinden bräuchten Geld für alternative Entwicklungsprojekte, wir brauchen Geräte und Technologie. Haben wir aber nicht, und deswegen ist ein Projekt, das den Wald zerstört, keine Alternative für uns. In 50 Jahren vielleicht, wenn wir als indigene Gemeinden stärker sind, wenn unsere Lebensentwürfe und unsere Kosmovision respektiert werden.
Putumayo liegt in der Grenzregion mit Kolumbien. Peru und Kolumbien sind die beiden größten Kokainproduzenten. Ist der Straßenausbau nicht auch riskant, weil die Straße zur Drogenschmuggelroute werden könnte?
Wir haben Angst, darüber zu sprechen, das bringt unser Leben in Gefahr. Die Präsenz des Drogenhandels, die FARC-Guerilla und die illegale Abholzung sind drei Elemente, die unser Leben massiv gefährden. Wir wurden schon bedroht, weil wir unsere Territorien verteidigen. Sie haben einige Leute aus den Gemeinden vertrieben, auch lokale Autoritäten. Wir müssen dringend etwas gegen diese Bedrohung tun. Ich lade deswegen gerade die Gemeindeautoritäten zu einem Kongress ein, um einen Aktionsplan zur Verteidigung unserer Territorien zu machen. Vor allem die Jugendlichen sind in Gefahr. Die Narcos und die Guerillas haben es auf sie abgesehen, um sie zu rekrutieren. Das ist die aktuelle Situation im Putumayo, aber niemand traut sich, darüber zu sprechen.
Könnte das mit dem Straßenausbau schlimmer werden? Gibt es da eine Verbindung oder eher nicht?
Ich weiß es nicht. Aber eine Straße ist schwer zu kontrollieren, man weiß nicht, was passieren kann. Die Situation an der Grenze ist schon jetzt sehr schwierig für unsere Gemeinden.
Kaufen die Narcos auch Land im Putumayo?
Nein, aber sie zwingen die Indigenen dazu, auf indigenem Land Koka anzubauen. Kaufen können sie es nicht, weil in indigenen Territorien Land in gemeinsamem Besitz ist und nicht verkauft werden kann. Wir passen sehr auf, dass indigenes Land nicht zur Ware werden kann.
Wenn die Gemeinden jetzt konsultiert würden, wie es sich gehört – wäre dann eine Mehrheit gegen den Straßenbau? Denn oft befürwortet ja auch ein Teil solche Projekte, wegen der Entwicklung und der Arbeitsplätze, die versprochen werden.
Die Unternehmen erzählen immer viel von den Vorteilen, die solche Projekte uns bringen werden, und viele indigene Brüder und Schwestern glauben das. Aber in der Realität gibt es diese Vorteile nicht. Irgendwann kommt immer die Desillusionierung, das Bereuen, die Traurigkeit. Deswegen muss dieses Projekt breit diskutiert werden unter uns indigenen Gemeinden, mit Jugendlichen, Männern und Frauen. Welche Vor- und Nachteile bringt uns das, welche Folgen hat das, auch auf lange Sicht: Was passiert in zehn, zwanzig Jahren mit unseren Wäldern, unserer Kultur?
Und stellt ihr grundsätzlich fest, dass es jetzt mit dem Klimawandel ein größeres unternehmerisches Interesse an amazonischen Territorien gibt, werden die im kapitalistischen Sinne „wertvoller“, weil ihr „Potenzial“ im Kampf gegen den Klimawandel erkannt wurde?
Wir haben mithilfe einer Institution berechnet, wie viel CO2 unsere Territorien speichern: 600000 Tonnen! Aber paradoxerweise kriegen wir nicht einen Cent dafür, dass wir das erhalten. In den UN-Klimaverhandlungen höre ich, wie viele Gelder es für den Klimaschutz gibt, allein im Grünen Klimafonds. Aber für uns Indigene ist es extrem schwierig, an diese Gelder zu kommen. Niemand weiß, wo und wie man die beantragen kann. Das ist eine große Klimaungerechtigkeit. Profitieren tun nicht die Indigenen selbst, sondern große Institutionen, Staaten und Entwicklungsdienste, die sich Umweltschutz auf die Fahnen geschrieben haben. Sie geben dem Wald einen Preis, verhandeln über ihn, aber wir sehen davon keinen Cent. Stattdessen werden in unseren Territorien, wo wir jagen und fischen, Naturschutzgebiete eingerichtet und uns der Zutritt verweigert. Sie nehmen uns einen Teil unserer Wälder weg – und wo sollen wir dann leben? Wir bekommen ja im Gegenzug kein Alternativland zur Verfügung gestellt. Wir fordern deswegen, dass unsere Rechte vollumfänglich anerkannt werden und wir Zugang zu diesen Fördermitteln bekommen, als Kompensation für das, was uns durch die Naturschutzgebiete genommen wurde.
In internationalen Institutionen wie der UNO, der Weltbank oder jetzt auch bei der Pre-COP in Bonn ist immer wieder die Rede davon, dass indigenes Wissen beim Kampf gegen den Klimawandel genutzt werden soll. Aber nach dem, was du mir erzählst, klingt das ziemlich paradox.
Ich habe einige Texte gelesen, wo es genau darum geht, um indigenes Wissen und welchen Beitrag es gegen den Klimawandel leistet. Das sind theoretische Diskussionen, die weit weg sind von der Realität. Es verletzt indigene Rechte, dass wir keinen Zugang zu Geldern haben, um eigene nachhaltige Projekte aufzubauen: Aufforstung, Agroforstsysteme, Restaurierung. Meiner Meinung nach müssen die entwickelten Länder unseren Beitrag anerkennen, und zwar auf direkte, monetäre Weise. Es ist ja so, dass ein Staat sich nicht mit einem anderen Staat anlegt. Die entwickelten Staaten wissen sehr gut, dass wir Indigenen uns sehr wohl mit den Staaten anlegen, aber aus diplomatischen Gründen verhandeln sie nur untereinander und nicht mit uns direkt. Ich fordere von den Staaten, dass sie unser Recht auf Zugang zu den Klimafonds anerkennen, wegen des Beitrags, den wir gegen den Klimawandel und zum Erhalt der Biodiversität leisten. Wir Indigenen erhalten den Planeten, ohne etwas als Gegenleistung zu bekommen. Unser Amazonasgebiet ist die große Klimaanlage, mit der wir die Welt umsonst mit sauberer Luft versorgen. Wenn wir den Klimawandel nicht sehr ernst nehmen und alles dafür tun, ihn aufzuhalten, werden wir die schrecklichen Folgen zu spüren bekommen. Entwickelte Länder interessieren sich oft nur für ihr Bruttoinlandsprodukt. Uns aber geht es darum, der Menschheit ein gutes und langes Leben auf diesem Planeten zu ermöglichen. Wir denken an die Menschheit, aber das Kapital und die entwickelten Länder denken, dass sie mit mehr Ressourcenausbeutung und Umweltverschmutzung besser leben können. Wir Indigene haben immer gesagt: Wir brauchen einen lebendigen Amazonas, dann sind wir für vieles gewappnet.
Das Interview führte Mirjana Jandik im Juni in Bonn.
Der Artikel ist zuerst in der ila 467 erschienen.