Was als „Open Access“ bei wissenschaftlicher Literatur und Forschungsdaten aus anderen Forschungsbereichen erstrebenswert sein mag, um Wissen zu teilen und Wissensproduktion zu vereinfachen, kann bei DSI die ursprünglichen Herkunftsgebiete und ihre Bewohner*innen schnell benachteiligen.

[Berlin, 6. Oktober 2020]
FDCL und Gen-ethisches Netzwerk e.V

Am 7. Oktober 2020 will das vom deutschen Ministerium für Forschung und Wissenschaft (BMBF) finanzierte WiLDSI-Projekt politisch-strategische Optionen vorstellen, mit denen die Interessen der Wissenschaft in der Debatte um die Digitale Sequenzinformation (DSI) in der Konvention über biologische Vielfalt (CBD) zur Geltung gebracht werden sollen.

Positionen und Forderungen zur Debatte um „Open Access“ zu Digitaler Sequenzinformation (DSI)
Die Nutzung genetischer Ressourcen hat große und weiter wachsende ökonomische Bedeutung im Rahmen der Bioökonomie, also derjenigen kommerziellen wirtschaftlichen Aktivitäten, die sich aus neuen Produkten und Verfahren der Gen- und Biotechnologie ergeben.
Auch die Forschung im Bereich Bioökonomie, die nicht in Wirtschaftsunternehmen durchgeführt wird, ist in Deutschland stark auf kommerzielle Verwertbarkeit ausgerichtet.
Die drei großen deutschen Forschungsverbände Helmholtz, Max Planck und Leibniz haben eine starke dahingehende Ausrichtung: „Auftrag der Helmholtz-Gemeinschaft ist es, durch die Verbindung von Forschung und Technologieentwicklung mit innovativen Anwendungs- und Vorsorgeperspektiven zur Gestaltung der Zukunft und des Wirtschaftsstandorts Deutschland beizutragen. Dazu gehört auch der permanente Austausch mit der Industrie in allen Phasen von Forschung und Wissensproduktion.“(1) „Max-Planck-Innovation berät und unterstützt Wissenschaftler der Max-Planck-Gesellschaft bei der Bewertung von Erfindungen und der Anmeldung von Patenten. Wir vermarkten Patente und Technologien an die Industrie.“ Zu „Leibniz-Transfer“ heißt es dort: „Die Transferangebote […] reichen […] bis hin zu Technologien, Patenten und Infrastrukturangeboten.“

Verwertbarkeit als zentrales Kriterium für Forschungsförderung
Speziell im Gebiet der Bioökonomie gehört es etwa in der Neufassung der Förderrichtlinie Ideenwettbewerb des BMBF in der „Sondierungsphase“ zu den Kriterien für Ideenbewertung, explizit die „Glaubwürdigkeit der aufgezeigten Verwertungsperspektive“ und in der „Machbarkeitsphase“ dann „Verwertungsperspektive: Wer soll das Produkt herstellen, verkaufen bzw. kaufen?“
Gegenwärtig tritt die Verwendung physisch vorliegender genetischer Ressourcen in den Hintergrund, immer wichtiger wird die Nutzung digitaler Sequenzinformationen (DSI) über diese genetischen Ressourcen. Verursacht wird dies durch die expandierenden Möglichkeiten der Synthetischen Biologie. Der digital-elektronische Zugriff auf den Informationsgehalt genetischer Ressourcen, als DSI in Datenbanken abgelegt, ist vielfach einfacher als der Zugriff auf die genetischen Ressourcen selber. Mit den Methoden synthetischer Biologie kann DSI immer leichter in funktionale Erbeinheiten überführt werden.

Open Access für DSI gefährdet Regelungen zu Zugang und Vorteilsausgleich
In den internationalen Verhandlungsforen der Konvention über biologische Vielfalt (CBD) stehen nun in den kommenden Monaten wichtige Konferenzen an, in denen es um die Einordnung von DSI und den Umgang mit ihr gehen sollte. Im ersten Quartal 2021 soll der Beirat der CBD für technische Fragen tagen, im Mai 2021 dann die Konferenz der Mitgliedsstaaten (COP 15). Allerdings droht die Diskussion über DSI und ihre Regulierung von der Tagesordnung abgesetzt zu werden, was den aktuellen, nahezu rechtsfreien Zustand andauern lassen würde.
Die Souveränität der Nationalstaaten über die auf ihrem Territorium befindlichen genetischen Ressourcen droht untergraben zu werden, wenn die DSI zu diesen Ressourcen in öffentlichen oder privaten Datenbanken eingetragen ist und ohne Bedingungen allen Nutzer*innen des Internet zur Verfügung steht. Was als „Open Access“ bei wissenschaftlicher Literatur und Forschungsdaten aus anderen Forschungsbereichen erstrebenswert sein mag, um Wissen zu teilen und Wissensproduktion zu vereinfachen (2), kann bei DSI die ursprünglichen Herkunftsgebiete und ihre Bewohner*innen schnell benachteiligen.
Forschungsdaten bezüglich genetischer Ressourcen sind nicht das alleinige Ergebnis der Arbeit von Forscher*innen. Diese genetischen Ressourcen und auch Informationen über sie sind oft Ergebnisse der jahrhundertelangen Arbeit und gleichzeitig Teil des Lebens und der Subsistenz bäuerlicher, indigener oder traditioneller Gemeinschaften. Vor allem in Ländern des globalen Südens. Die ohnehin nur schwachen Regelungen zu ABS (Access and Benefit Sharing) bezüglich genetischer Ressourcen, die das Nagoya-Protokoll zugunsten derjenigen Länder festgelegt hat, die eine hohe und ökonomisch interessante Biodiversität aufweisen, können über einen Open Access zu den DSI über diese genetischen Ressourcen leicht ausgehebelt werden.
Gleichzeitig könnten diese Länder von Innovationen nicht nur nicht profitieren, sondern auch geschädigt werden. Beispielsweise dann, wenn es der chemischen Industrie gelingen sollte, kostbare Duft- und Aromastoffe, deren Ausgangssubstanzen in Einkommen schaffender Arbeit hergestellt werden, durch künstliche Organismen in industriellem Maßstab produzieren zu lassen. (3)

Als Organisation(en), die mit bäuerlichen, indigenen oder traditionellen Gemeinschaften, vor allem in Ländern des globalen Südens, solidarisch sind/ist, fordern wir:
1. Alle Nutzer*innen von DSI aus Datenbanken, auch aus solchen mit Open Access, sollten als Abnehmer*innen von Informationen über genetische Ressourcen auf die Bedingungen eines Material-Transfer-Abkommens (MAT) verpflichtet werden. Sichergestellt werden kann dies durch Vereinbarungen beim Zugriff auf Daten sowie bei deren Nutzung:
Bei den Vorbereitungen zu einer kommerziellen oder militärischen Anwendung der DSI muss die Verpflichtung gelten, sich mit dem Herkunftsstaat in Verbindung zu setzen und Abkommen über Benefit-Sharing zu schließen. Dafür muss die vorherige informierte Zustimmung (PIC), auch etwaiger involvierter indigener Völker oder lokaler Gemeinschaften in diesen Staaten eingeholt werden. Die Höhe des monetären Benefit-Sharings kann sich unkompliziert am Preis des Endproduktes orientieren.

2.  Der oftmals vorgebrachte Hinweis, dass ein Open Access zu DSI den Nutzer*innen in aller Welt und so auch in den biodiversitätsreichen Staaten zugutekomme, lenkt ab von monetärem Benefit-Sharing. Zudem kommt ein derartiger freier Zugang zu DSI nur den Wissenschaftler*innen oder den Unternehmen zugute, die damit auch etwas anfangen können. Große Teile der Bevölkerung bleiben bei dieser Art des Benefit-Sharing ausgeschlossen.

3. Wir fordern weiterhin eine verpflichtende Auskunft bei Patentanmeldungen über die Herkunft gegebenenfalls verwendeter genetischer Ressourcen, deren Informationsgehalt für Patentanmeldungen verwendet wird, und die Vorlage von PIC und MAT. Die Weigerung der OECD-Staaten, vor der Gewährung geistiger Eigentumsrechte auf Innovationen im Zusammenhang mit genetischen Ressourcen oder mit DSI zu genetischen Ressourcen die Herkunftsangaben, PIC und MAT verpflichtend zu machen, zeigt deutlich: diese negieren die souveränen Rechte der biodiversitätsreichen Länder und ihrer Bevölkerungen über die genetischen Ressourcen und vor allem deren Informationsgehalt.

4. Bisher blieben ausgerechnet die Themen unerforscht, die dem Interesse der Herkunftsländer genetischer Ressourcen an einer möglichst klar geregelten monetären Vorteils-Aufteilung dienen.
Diejenigen Themen, deren genauere Aufklärung im Interesse der biodiversitätsreichen Länder ist, müssten daher weiter verfolgt werden:
a) die Ermittlung des Wertes von DSI,
b) vorfindliche Verfahren der Vorteils-Aufteilung in anderen Bereichen sowie Verfahren der Vorteils-Aufteilung bei geistigem Eigentum,
c) verschiedene Instrumente zur Vorteils-Aufteilung im Zusammenhang mit DSI.
d) Art und Weise, in der geistiges Eigentum für DSI (Patente, Züchterrechte o.ä.) geltend gemacht wird, welche Auswirkungen dies auf ABS hat und wie es überwacht werden kann.

5. Die Rolle von Fachwissenschaftler*innen der Biologie, Chemie, Medizin und verwandter Fächer als Ersteller*innen von Studien für den politischen Prozess in der CBD sollte problematisiert werden. Sie haben vielfach ein prinzipielles Interesse an möglichst wenig Restriktionen für die Forschung, auch wenn in ihrer aktuellen Position keine direkten Interessenkonflikte bezüglich ihres Studiengegenstandes bestehen. Dieses Interesse kann dem Interesse von biodiversitätsreichen Ländern und ihren indigenen Völkern und lokalen Gemeinschaften nach vorheriger informierter Zustimmung und nach einem gesetzlich und vertraglich geregelten Benefit-Sharing bei der Verwendung ihrer genetischen Ressourcen und ihres damit verbundenen traditionellen Wissens entgegen stehen. Dieser Interessenkonflikt sollten thematisiert und bearbeitet werden.

6. Auch die Unterscheidung von kommerzieller und nichtkommerzieller Wissenschaft ist zu problematisieren. Mitunter werden die Wissenschaftler*innen von den Universitäten, öffentlichen Forschungseinrichtungen oder von Drittmittelgebern darauf verpflichtet, kommerziell verwertbare Forschungsergebnisse als geistiges Eigentum rechtlich schützen zu lassen. Weiterhin ist unklar, wie mit militärischer Forschung in staatlichem Auftrag umgegangen werden soll.

7. Forschung, Entwicklung und Innovationen sind nicht per se gut, sie müssen sich auf ihren Nutzen und ihre Nutznießer hin befragen lassen. Innovationen haben immer auch das Potential, hergebrachte Lebenszusammenhänge zu zerstören und Menschen ins Elend zu stürzen. Umfangreiche Innovationsoffensiven können auf die »schöpferische Zerstörung« (Schumpeter) von Gesellschaften zielen. Wegen dieser möglicherweise verheerenden Folgen ist über die Förderung von Forschung, Entwicklung und Innovationen in partizipativen und demokratischen Prozessen immer wieder neu zu entscheiden.

Fußnoten:
1  Siehe dazu und im folgenden https://www.foerderinfo.bund.de/de/wissens-und-technologietransfer-1036.php
2  Das ZB-Med Publikationsportal Lebenswissenschaften „Publisso“ definiert Open Access als „kosten- und barrierefreie (technische wie rechtliche) elektronische Zugänglichmachung von wissenschaftlichen Publikationen und Forschungsdaten“, siehe https://www.publisso.de/open-access-beraten/faqs/open-access/.
3  Bereits im Jahr 2016 hatte die internationale etc-Group in ihrem Communiqué „Synthetic Biology,Biodiversity & Farmers“ an vielen Beispielen dargestellt, wie neue Produktionsverfahren für Aromen, Duft- und Geschmacksstoffe die Lebensgrundlagen kleinbäuerlicher Bevölkerungen zu zerstören drohen.

Download der Stellungnahme hier!

Kontakt:
Andreas Riekeberg, Mobil: 0170 11 25 76 4, E-Mail: a.riekeberg@jpberlin.de
Jan Dunkhorst, Fon: 030-693 40 29, E-Mail: jan.dunkhorst@fdcl.org
Pia Voelker, Fon: 030 – 685 70 73, E-Mail: pia.voelker@gen-ethisches-netzwerk.de

 

Hintergrundinformationen zum Thema DSI und ABS:
Riekeberg, Andreas (2019): Biopiraterie 2.0 ? Digitale Sequenz-Information (DSI) und ihr Potential für neue Formen der Biopiraterie.
Riekeberg, Andreas (2020): Kaperbriefe für Biopiraterie 2.0 – Worauf zielen die Studien über Digitale Sequenz-Information (DSI) im Vorfeld der 15. Vertragsstaatenkonferenz der Biodiversitätskonvention?
Düesberg, Judith (2020): Biopiraterie 2.0? Die Bereitstellung von genetischen Informationen im Internet stellt die internationale Gemeinschaft vor altbekannte und doch neue Fragen. Wer darf wie genetische Information nutzen? Das aktuelle Beispiel einer gentechnisch veränderten Kartoffel zeigt, wie Tatsachen vor Einigungen geschaffen werden.

Veranstaltungshinweis:
Online-Konferenz am Do, 29.10.2020 / 16:30 – 18:00
Wer profitiert künftig von der biologischen Vielfalt? Digitale Sequenz-Informationen (DSI) und ihr Potential für neue Formen der Biopiraterie