Stein des Anstoßes: Ferrogrão würde den Jamanxim-Nationalpark in Pará durchschneiden. Grafik: ICMBio (gemeinfrei)

Sollte Ferrogrão Realität werden, so droht durch den Ausbau der Infrastruktur weiter erhöhter Druck auf die vom Extraktivismus bedrohten Territorien und wird in Zukunft noch mehr Sojamehl in die EU und auch für Deutschlands Tiermastanlagen ermöglichen, da die Kostensenkungen das brasilianische Soja noch mehr auf dem Weltmarkt reüssieren lassen.

05.06.2023 | von Christian.russau@fdcl.org

Der für den Fall der „Ferrogrão“-Eisenbahnlinie am Obersten Gericht STF zuständige Richter, Alexandre de Moraes, gab am 31. Mai dieses Jahres einem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft der Union (AGU) statt und genehmigte die schrittweise Wiederaufnahme des Ferrogrão-Bahnstreckenprojekts. Moraes entschied, dass es zunächst Rechtsanalysen und Studien zu den administrativen Prozessen und bisherigen Genehmigungen im Zusammenhang mit dem Bau von Ferrogrão geben müsse und wies dazu das Centro de Soluções Alternativas de Litígios (Cesal) an, eine Kammer des Obersten Gerichtes zur alternativen Streitschlichtung, die der STF im vergangenen Jahr geschaffen hatte, binnen 60 Tagen eine Lösung für den Streitfall zu finden. Moraes hob damit seine von ihm im März 2021 ausgesprochene einstweilige Verfügung zum vorläufigen Stopp des „Ferrogrão“-Bahnlinienprojekts auf. Streitpunkt ist dabei noch immer die Frage, wer in der Exekutive oder Legislative die Kompetenz habe, über die Änderung der Gebietsgrösse des vom Bahnprojekt künftig direkt durchschnittenen Nationalparks Jamanxim in Pará zu entscheiden.

Moraes setzte damals (siehe hier) die Wirksamkeit des Gesetzes 13.452/2017 vorläufig aus, das aus der Provisorischen Maßnahme (MP) 758/2016, einer Präsidialverordnung des damaligen Präsidenten Michel Temer aus dem Jahre 2016, hervorgegangen war und das die Grenzen des 2006 eingerichteten Nationalparkes Jamanxim in Pará um 862 Hektar einfach reduzierte. Diese geographische Reduzierung erfolgte, um im Nationalpark eine diesen durchschneidene Trasse zu ermöglichen, entlang derer dann die neue Eisenbahnlinie Ferrogrão gebaut werden sollte. Der Richter Moraes wies in seiner damaligen Entscheidung darauf hin, dass die Gebietsänderung in einem Naturschutzgebiet höchster Kategorie nicht durch eine einfache vorläufige Maßnahme seitens des Präsidenten hätte vorgenommen werden können. Dazu hätte es, laut Moraes, eines Gesetzes bedurft, eine einfache Präsidialverordnung im Form einer Medida Provisória reiche dazu nicht aus. Damit folgte der Oberste Richter damals einer Beschwerde der Partei für Sozialismus und Frieden, PSOL.

Nun aber wies Richter Moraes in seiner Begründung darauf hin, dass „kein Zweifel besteht an der Bedeutung der strukturierenden Rolle des Ferrogrão-Projekts für den Produktionsfluss von Mais, Sojabohnen, Sojamehl, Sojabohnenöl, Düngemitteln, Zucker, Ethanol und Ölderivaten“, so Moraes und verwies zudem auf die Reduzierung der CO²-Emissionen durch den Betrieb und die Schaffung von Arbeitsplätzen. Deshalb solle nun binnen 60 Tagen eine Lösung für den Streit gefunden werden, zumal – so die Mitteilung des STF – letzten Monat die Bundesegierung selbst den STF auf die Möglichkeit angesprochen habe, das Projekt mit einer noch größeren Umweltsorgsamkeit voranzutreiben. Einmal mehr deutet sich hier die Entscheidung eines Konflikts im Sinne einer Rechtssprecung im sog. „Nationalen Interesse“ an, welches in der Vergangenheit (so bei Belo Monte bspw.) als höherwertig angesehen wird.

Das Eisenbahnprojekt „Ferrogrão“, das die Boom-Region des Soja-Anbaus Mato Grosso mit den Überseeterminals der Häfen des Bundesstaats Pará verbindet, hat ein geschätztes Investitionsvolumen von 21,5 Mrd. Reais (umgerechnet rund vier Milliarden Euro) und eine Länge von 933 Kilometern. Das Ferrogrão-Bahnlinienprojekt ist seit Jahren eines der Lieblingsinfrastrukturprojekte von Brasília als auch der Soja-Farmer:innen in Mato Grosso. Für die derzeitige Boomregion beim Soja – dem zentralbrasilianischen Bundesstaat Mato Grosso – gibt es seit der Regierung von Dilma Rousseff Pläne für weitere Straßen-, Wasserstraßen- und Bahnbauprojekte.

In der Vergangenheit wurde (und wird noch heute) das Soja meist per LKW an die Verladeterminals der Häfen im Südosten des Landes, Santos und Paranaguá, geliefert. Als die Autobahn BR-163 auch gen Norden, Richtung Miritituba und Santarém, asphaltiert wurde, sparten sich die LKWs rund 1.000 Kilometer Strecke, im Durchschnitt eine Ersparnis von zwei Tagen. Als dritten LKW-Transportweg gibt es derzeit noch die Landesstraße MT-235, die gen Westen nach Porto Velho am Rio Madeira führt, wo das Soja bei den Terminals in Schiffe verladen wird, die die Ladung zu den Überseehäfen am Amazonas transportieren.

Für die Soja-Farmer:innen sind die Logistikkosten die entscheidende Stellschraube zur verstärkten Eroberung des Weltmarkts für brasilianisches Soja. 2014 betrug der Logistikpreis je Tonne Soja auf der Strecke Mato Grosso – Paranaguá/Santos 150 US-Dollar pro Tonne, während bei vergleichbarer Transportstrecke der Vergleichswert für US-amerikanische Farmer:innen des Mittleren Westens bei einem Viertel dessen läge, so ein damaliger Bericht bei „Bloomberg“.

Doch diese Straßen erhöhen erwiesenermaßen den Druck auf die Waldflächen in Amazonien. Das Instituto Socioambiental (ISA) sprach bereits 2017 angesichts dieses Amazonien durchziehenden Straßennetzes von dem „zerhackten Amazonien“: Diese Bundes- und Landesstraßen stellen die größte Bedrohung für den Erhalt Amazoniens dar: 80 Prozent aller Rodungen in Amazonien erfolgen Erhebungen zufolge entlang eines 30 Kilometer breiten Streifens entlang der asphaltierten Straßen.

Gebetsmühlenartig beklagen Mato Grossos Farmer:innen die Kosten der mehrtägigen LKW-Fahrten auf der BR-163 gen Südosten sowie die Wartezeiten zur Entladung an den oft ausgebuchten Atlantikhäfen von Santos und Paranaguá, was teils mehrere Wochen Stillstand bei LKW und Fahrer:in verursache. Die BR-163 gen Norden nach Miritituba sei auch immer viel befahren, die derzeitigen Entlade- und Beladekapazitäten nahezu ausgeschöpft, was alles zu Verzögerungen führe, und der Weg nach Westen über die MT-235 sei auch ein geographischer Umweg, wenn das Soja von dort auf Kähnen Richtung Nordosten am Amazonas verbracht werde. Nach Vorstellungen von Politik und Soja-Farmer:innen sollen es Wasserstraßen und eben Bahntrassen richten.

Infolge der Asphaltierung der Bundesstraße BR-163 gen Norden sind die Frachtkosten bereits um 34 Prozent je Tonne Soja gesunken. Bei den geplanten schiffbaren Wasserstraßen an den Flüssen Tapajós, Teles Pires und Juruena werden zukünftig gar Kostenersparnisse von weiteren 41 Prozent je Tonne Soja erhofft, was den Druck auf Landflächen in der Region noch weiter erhöhen wird. Auch gegen diese laufen die Flussanwohner:innen, indigene Völker und andere traditionelle Gemeinschaften Sturm, sie sind gegen diesen geplanten Bau von „Wasserautobahnen“, die „Entwicklung“ bringen sollen, aber meist Zerstörung von Umwelt und Lebenswelt der betroffenen lokalen Anwohner:innen der amazonischen Flüsse bedeuten.

Weitere Pläne sehen also den Bau von Bahntrassen vor. Und hier kommt Ferrogrão (EF-170) ins Spiel. „Ferrogrão“ ist der geplante Süd-Nord-Bahnkorridor von Sinop in Mato Grosso nach Miritituba in Pará am Tapajós, von wo aus über den Amazonas der Atlantikanschluss an den Weltmarkt gewährleistet werden solle. „Ferrogrão“ soll den Planer:innen zufolge dem Transport von Soja und Getreide aus Mato Grosso dienen, aber auch für Erzzüge nutzbar sein. Im Jahr 2021 gab die damalige Bolsonaro-Regierung Schätzungen heraus, nach welchem durch die Fertigstellung der Bahnlinie Ferrogrão der brasilianischen Wirtschaft Einsparungen bei der Logistik in Höhe von 19 Mrd. Reais (umgerechnet rund 3,6 Mrd Euro) jährlich möglich wären.

Egal, ob Straße, Wasserstraße oder Bahn: Die Folgen solches Infrastrukturausbaus wären, dass der Anbau von Soja weiter massiv steigen würde, da dessen kostengünstigere Weltmarktanbindung die Nachfrage weiter steigen lässt. Ein Alptraum für die Savannenlandschaft des Cerrado und Amazonien sowie dessen Bewohner:innen. All dieser Ausbau der Infrastruktur „zerhackt“ Amazonien, erhöht den Druck auf die vom Extraktivismus bedrohten Territorien und wird in Zukunft noch mehr Sojamehl in die EU und auch für Deutschlands Tiermastanlagen ermöglichen, da die Kostensenkungen das brasilianische Soja noch mehr auf dem Weltmarkt reüssieren lassen.