Die Verantwortung der Bundesrepublik Deutschland durch die Ratifikation der ILO-Konvention 169
In Mexiko setzen sich Indigene gegen das auf über 1.500 Kilometern fünf Bundesstaaten durchquerende Bahnprojekt „Tren Maya“ zur Wehr, da es indigene Gebiete durchschneidet und Auswirkungen auf diese befürchtet werden und die Indigenen nicht angemessen konsultiert wurden. An dem Projekt ist u.a. die DB Engineering & Consulting GmbH beteiligt. Zusammen mit zwei anderen Unternehmen, den staatlichen spanischen Unternehmen Renfe Operadora und Ingeniería y Economía del Transporte (Ineco), übt dieses Dreier-Konsortium die Rolle des „shadow operator“ des „Tren Maya“ aus. Die Vertragslaufzeit läuft von Dezember 2020 bis Dezember 2023.
Die DB Engineering & Consulting GmbH gehört zu 100 Prozent der Deutschen Bahn AG. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags weist in einer Stellungnahme aus dem Jahre 2008 auf die Weisungsbefugnis der Bundesrepublik Deutschland in Bezug auf die Deutsche Bahn und alle ihre Subunternehmen hin:
„Die Bundesrepublik Deutschland ist Inhaberin aller Anteile am Grundkapital der Deutschen Bahn AG, bei der es sich aufgrund der Eigentümerstruktur um ein privatrechtlich organisiertes Staatsunternehmen handelt. Bei privatrechtlich ausgestalteten öffentlichen Unternehmen gelten die allgemeinen Vorschriften des Zivil-, Handels- und Aktienrechts, wie sie auch auf nicht-öffentliche Unternehmen ihre Anwendung finden. Durch die Entsendung weisungsgebundener Vertreter (Beamte) in die Hauptversammlung und in den Aufsichtsrat der Deutschen Bahn AG kann der Bund als juristische Person des öffentlichen Rechts Einfluss auf die Entscheidungen der AG nehmen.“ Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages (WD 3 – 3000 – 313/08)
Durch die Ratifizierung der Konvention Nr. 169 der Internationalen Arbeitsorganisation ILO zum Schutze der Rechte indigener Völker hat sich die Bundesrepublik Deutschland einschließlich aller ihrer Ministerien und Behörden verpflichtet, die Rechtsgrundsätze der Konvention 169 – die Rechte der indigenen Völker – zu achten. Aus dieser Achtungsverpflichtung erwächst die politische Verantwortung der Deutschen Bundesregierung dafür Sorge zu tragen, dass der Schutz indigener Rechte – spätestens ab Inkrafttreten der ILO 169 für Deutschland und die Deutsche Bundesregierung am 23. Juni 2022 – in ihrem Einflussbereich gewährleistet wird. Diese Achtungsverpflichtung ist keine politische „Kann“-Bestimmung, sondern eine „Muss“-Bestimmung. Wenn es also zu Sorgfaltspflichtverletzungen durch im weisungsgebundenen Einflussbereich des Bundes stehende Institutionen oder Organe jedweder Art kommt – und dies trifft im konkreten Fall des „Tren Maya“-Projektes in Mexiko, an dem sich die DB Engineering & Consulting GmbH als „shadow operator“ beteiligt, nach bisherigem Kenntnisstand und nach Ansicht indigener Gruppen zu – , so hat die Bundesrepublik Deutschland durch das dafür zuständige Ministerium – das Bundesministerium für Digitales und Verkehr – als weisungsbefugte Instanz dafür politische Sorge zu tragen, dass die von Seiten der Bundesregierung in die Gremien der Deutschen Bahn entsandten Vertreter:innen gegen diese Rechtsverletzung indigener Rechte innerhalb ihres zuständigen Verantwortungsbereichs unmittelbar aktiv werden und Abhilfe schaffen.
Christian Russau, FDCL – Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika / Dachverband der Kritischen Aktionär:innen, Januar 2022