Dossier

ALLES RECHTENS?

Konzernklagen gegen lateinamerikanische Staaten

Unternehmen können gegen Staaten klagen, wenn ihnen ein Gesetz oder eine Entscheidung einen Strich durch die Gewinnrechnung macht. Das ist seit den Verhandlungen zu den Handelsabkommen zwischen der EU und den USA (TTIP) und Kanada (CETA) allgemein bekannt geworden. Kritik daran kommt nicht allein von Organisationen aus der internationalen Zivilgesellschaft. Der UN-Sonderberichterstatter für die Förderung einer demokratischen und gerechten internationalen Ordnung, Alfred de Zayas, kritisiert die Investor-Staat Streitschlichtungsverfahren (ISDS) scharf: „Ich bin sehr besorgt über den bisherigen und künftigen Einfluss von ISDS auf die Menschenrechte, insbesondere die Regel, die es Investoren erlaubt gegen Gesetze und Beschlüsse zu klagen, wenn diese ihre potentiellen Gewinne gefährden.“
Mit Schlichtung haben solche Verfahren relativ wenig zu tun: Tatsächlich verbergen sich hinter dem Zungenbrecher knallharte juristische Prozesse, in denen Konzerne Staaten auf Millionen und Milliarden verklagen. Grundlage dieser Klagen sind bilaterale Investitionsschutzabkommen (BIT), also Verträge, welche die Investitionen international agierender Unternehmen absichern sollen. Diese Abkommen erlegen den Unterzeichnerstaaten einseitig Pflichten auf, um die Interessen ausländischer Investoren zu wahren.
Durch diesen besonderen Schutz für ausländische Investoren kann die Regulierungsautonomie der Staaten maßgeblich eingeschränkt werden. So müssen sie bei Änderungen des Arbeitsrechts oder Maßnahmen zum Verbraucher*innen- und Umweltschutz damit rechnen, von den Unternehmen vor einem internationalen Schiedsgericht auf Schadensersatz für bereits getätigte Investitionen, aber auch für zukünftig entgangene Gewinne, verklagt zu werden. Umgekehrt geht das aber nicht: Staaten haben mit diesem Verfahren keine Handhabe, um internationale Konzerne, zum Beispiel wegen Umweltzerstörung oder Menschenrechtsverstößen, zu verklagen.
Mit diesem Dossier möchten wir die Diskussion auf die Länder und Abkommen mit Lateinamerika erweitern. Denn auch in Lateinamerika sorgen Investoren-Klagen seit Jahren für große Unruhe. In diesem Dossier wollen wir verschiedene Fälle vorstellen und die zweifelhafte Schiedsgerichtsbarkeit thematisieren. Denn die Auswirkungen auf die politische Entscheidungsfreiheit der Staaten und der Bevölkerung der jeweiligen Länder sind enorm. Andererseits wächst die Skepsis. Einige Staaten verteidigen sich durchaus erfolgreich gegen Investoren, kündigen ihre BIT oder entwickeln alternative Abkommen. Auch solche Beispiele wollen wir benennen. Die Versuchung ist groß, bei Begriffen wie „Investor-Staat-Streitschlichtungsverfahren“ von vornherein auf Durchzug zu stellen. Doch angesichts der Intransparenz und Politik der geschlossenen Türen bei solchen Verfahren ist es notwendig, diese Prozesse und ihre Auswirkungen – auch auf die Länder des globalen Südens – öffentlich zu diskutieren. Denn solche Schiedsgerichte sind „Schietgerichte“ und gehören, wie auch Alfred de Zayas bemerkte, in Zukunft abgeschafft.

Inhalt

ÜBERBLICK
5 Eine deutsche Erfindung geht um die Welt // Lateinamerika im Visier des internationalen
Investitionsschutzes
9 Abgezockt // Die geheime Welt von Anwaltskanzleien, Schiedsrichter*innen und
Prozessfinanzierern
ARGENTINIEN
10 Viel Feind, viel Ehr // Die Kirchner-Regierungen wurden öfter verklagt als alle anderen
PERU
12 Die Marionetten von Doe Run // Nach jahrelangen Auseinandersetzungen um den
Umweltschutz, knickt die peruanische Regierung vor dem Bergbauunternehmen ein
EL SALVADOR
15 El Salvador vs. OceanaGold // Von der Schiedsgerichtsklage zum gesetzlichen
Bergbauverbot
MEXIKO
18 Hintertür für Gewinne // Wie das spanische Unternehmen Abengoa über 40 Millionen USDollar
vom mexikanischen Staat einklagte
BOLIVIEN
20 Wasserhahn auf, Geldhahn zu // In Bolivien verhinderten Proteste nicht nur die
Wasserprivatisierung, sondern auch eine 50 Millionen-Dollar-Klage vor dem Schiedsgericht
VENEZUELA
22 Leichter gesagt als getan // Venezuela ist zwar aus dem Weltbank-Schiedsgericht ICSID
ausgestiegen, hat dort aber mehr Klagen laufen als jedes andere Land
URUGUAY
24 Sieg für David // Uruguay konnte seine Tabakkontrollmaßnahmen gegen Philip Morris
international verteidigen
KOLUMBIEN
26 Kolumbien scheut das Schiedsgericht // Gegen die geplante Preissenkung eines Medikaments
läuft das Pharmaunternehmen Novartis Sturm
ALTERNATIVEN
28 Verträglicher Investitionsschutz? // Versuch eines „Light Modells“ à la brasileira
30 Ansage zum Abgang // Ecuador kündigte kurz vor den Wahlen alle bilateralen
Investitionsabkommen
32 Menschenrechte vor investorenschutz // Warum wir globale Unternehmensregeln
brauchen

Impressum

// ALLES RECHTENS? KONZERNKLAGEN GEGEN LATEINAMERIKANISCHE STAATEN Erscheint als Dossier Nr. 16 innerhalb der LN 519/520 (Sep./Okt. 2017)
// Herausgeber und Verlag Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika (FDCL e.V.) & Lateinamerika Nachrichten e.V. // Druck Hinkelsteindruck, 10997 Berlin // Redaktion Redaktionskollektiv der LN und FDCL e.V. // V.i.S.d.P. Thorsten Schulz, Caroline Kassin, Robert Sowboda // Redaktionsschluss 07.09.2017

// MIT FREUNDLICHER UNTERSTÜTZUNG DER LEZ BERLIN UND GEFÖRDERT VON ENGAGEMENT GLOBAL IM AUFTRAG DES BMZ
// Für den Inhalt dieser Publikation ist allein das FDCL e.V. verantwortlich; die hier dargestellten Positionen geben weder den Standpunkt der LEZ Berlin oder von Engagement Global gGmbH und dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit wieder.

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