Einleitung
Als es am 12 Februar vor dem Hintergrund der Ankündigung der Regierung vom 9. Februar, eine Einkommenssteuer von 12,5 % für alle Löhne von über 880 Bolivianos (ca. 120 Euro) zu erheben, zu massiven Protesten und Ausschreitungen kam, lenkte dies den Blick der internationalen Medien dann doch einmal kurz auf Bolivien. Diese füllten ihre Auslandsseiten bis dahin vornehmlich mit dem drohenden Irak – Krieg und wenn dann doch einmal Lateinameika in den Medien thematisiert wurde, dann traten der neue brasilianische Präsident „Lula“, seine Kollegen Chavez in Venezuela und Gutierrez in Ecuador auf. Zudem war die Argentinienkrise wohl ohnehin medientauglicher als die Ereignisse im Nachbarland Bolivien. Dort zählte man die Toten, die Regierung reagierte, indem sie die eben erst erhobene Steuer zurücknahm, wohl um weitere Sachschäden durch Protestierende zu verhindern. Der „Spiegel“ zeigte einen zufrieden dreinblickenden Präsidenten de Lozada, der sich „eine bessere Zukunft für sein Land wünscht“.
Da kann man schon einmal kurz nachfragen, von welcher Zukunft und von was für einem Land der Präsident da spricht. Um seine eigene Zukunft jedenfalls muß er sich finanziell keine großen Sorgen machen. Als einer der reichsten Männer des Landes hat er seine Unternehmerischen Talente unter anderem schon im Öl- und Bergbaugeschäft (welches, besonders was die Arbeitsbedingungen der Mineros angeht, nicht gerade ein traditionell vorbildliches ist -) unter Beweis gestellt. Die Erfogsstorry vom glücklichen Minenchef steht dem harten Alltag der Kumpel gegenüber.
Und von welchem Bolivien spricht der gute Mann? Dem Bolivien einer reichen und zurückgezogenen weißen Elite, der er selbst angehört, oder dem Bolivien der Campesinos, Mineros, Cocaleros, der Landlosen, der Marktfrauen und Straßenhändler oder der Lehrer, die außerdem noch Taxifahrer sind? Spricht er von dem Bolivien der Kinder, die nicht selten stundenlange Schulwege in Kauf nehmen müssen und für deren Zukunft Eltern ihr Leben riskieren, wenn sie für ihre Rechte auf die Straße gehen, wo sie sich dann nicht selten einer übermächtigen Miltärgewalt gegenübersehen? Spricht er etwa von der Zukunft der Studenten, die für bessere Universitäten und aus Solidarität mit den Arbeitern demonstrieren, die Ewigkeiten brauchen um ihr Studium abzuschließen, auch weil die UNIs immer einmal wieder geschlossen werden?
Und die Militärs selbst? Im Februar schossen sie auf Zivilpersonen und Polizisten. Letztere stellten sich auf einmal auf die Seite der Bevölkerung und „verteidigten“ die Zivilbevölkerung dann sogleich mit der Dienstwaffe, gegen die Agression der Militärs! Was ist das für eine katastrophale Ausbildung, die diese Exekutive durchlaufen zu haben scheint? Wem kann man denn nun vertrauen, der Polizei oder dem Militär, das vielleicht ein wenig traurig darüber ist, daß der letzte große Präsident, Hugo Banzer, einer der ihren, im letzten Jahr von ihnen ging und das Ruder nun in der Hand eines „zivilen“ liegt.
Das Erbe Banzers, Jorge Quirogas, der als Übergangspräsident fungierte und seiner selbst durfte Gonzalo Sanchez de Lozada, der bereits von 1993-97 bolivianischer Präsident war, im Juni 2002 antreten. Als „Macher“ strebt er große Reformen an, zweifelsohne ist das Land reformüberbedürftig! Bildungs-, Renten- und Justizsystem sind marode. Nur wenige Straßen sind asphaltiert, was zu erheblichen wirtschaftlichen Einbußen führt, die Infrastruktur weist starke Defizite auf. Bolivien ist so hoch verschuldet, dass die Handlungsspielräume der Regierung wie unter gegebenen Bedingungen stark eingeschränkt sind. Zu hoch ist der Druck der Geldgeber, zu notwendig neue Kredite. Und zu alledem toben da auch noch der Krieg um Koka und Proteste gegen die Privatisierung ehemals staatlicher Unternehmen, gegen die ALCA und gegen noch mehr Fremdbestimmung im Land.
Ziel dieses Readers kann es nicht sein, all diese Probleme in ihren Einzelheiten darzustellen und womöglich auch noch Lösungsvorschläge zu liefern. Es geht vielmehr darum, eine Zusammenschau der Ereignisse seit dem Konflikt um die Privatisierung der Wasserwerke von Cochabamba im Jahre 2000 aufzustellen, dem zweiten Konflikt Boliviens der letzten Jahre der das Interesse der Weltöffentlichkeit auf sich zog, um ausgehend vom Hintergrund der Februarrevolte Texte vorzustellen, die sich entweder direkt mit den Konflikten oder den betroffenen Menschen und deren Lebenssituationen auseinandersetzten. Auch sollen einige Akteure des multikulturellen und multiethnischen Boliviens vorgestellt werden, ebenso wie die beiden Gewerkschafter Felipe Quispe und Evo Morales. Einige aktuelle Konfliktherde, so wie der um die Privatisierung des Wassers, der Minen, des Exportes von bolivianischem Gas und der Kokakonflikt werden beleuchtet. Ein Text widmet sich dem Problem der ungleichen Landverteilung und dem neuen INRA-Gesetz zur Landverteilung, und hebt dabei im besonderen die Situation indigener Gemeinden hervor. Das Konzept der politischen Beteiligung, der sogenannten „Participacion Popular“, wird ebenfalls durch einen längeren Analyseartikel erläutert. Das Problem der institutionalisierten Korruption – Bolivien ist in diesem Punkt lateinamerikanischer Spitzenreiter – wird immer wieder in Artikeln angesprochen. Die Auslandsverschuldung Boliviens und speziell die Auswirkungen der Schuldenerlaß – Initiativen HIPC und HIPC II werden durch zwei kürzere Texte und einen Analysebericht zu den Vor- und Nachteilen dieser Kampagne behandelt. Zuletzt wird auf die Amtszeiten Banzers und Quirogas eingegangen, um vor diesem Hintergrund die Wahlen von 2002 knapp zu präsentieren, nicht ohne vorher noch in einem Hintergrundartikel die Geschichte der beiden Bündnisparteien UCS und CONDEPA zu schildern.
Es scheint, als ob trotz der anhaltenden Unzufriedenheit großer Teile der Bevölkerung mit ihrer Regierung und deren aufgeblähten Verwaltungs- und Exekutivorganen keine großen Alternativen bereitstehen. Ob die Zukunft in den Händen von Evo Morales, dem Führer der Coca- Bauern im Chaparé liegt, wird sich zeigen. So konnte dieser zwar bei den Wahlen im Juni fast ebenso viele Stimmen auf sich vereinen wie der amtierende Präsident, doch ob er sich auch so gut mit dessen amerikanischem Kollegen verstehen würde wie dieser, bleibt fraglich. Außerdem würde er vor den gleichen Problemen wie Lozada stehen, müßte konsensorientiert operieren und liefe so Gefahr, Sympathien zu verspielen.
Auf allzu wissenschaftliche Artikel wurde bewußt verzichtet und der Anteil an spanischen Texten relativ gering gehalten, um den Inhalt nicht durch die Form zu erschweren.
Inhalt
- Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Chronik der Ereignisse in Bolvien vom 03.04.2000 – 19.02.2003
- Die Ereignisse im Februar
- Ausschreitungen im Vorfeld der Februarkonflikte
- Probleme des Militärs
- Die Konfliktherde
- 1. Die Minen/Bergbau
- 2. Erdgas/Energie
- 3. Wasser
- 4. Coca
- 5. Land/Landreform
- Politische und gesellschaftliche Akteure
- Die Participación Popular
- Schulden und Schuldendienst
- Ein Blick in die Geschichte
- Die Wahlen von 2002
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