Veranstaltung

Die Situation der indigenen Völker in Bolivien

Zum Verhältnis der bolivianischen Regierung zu den indigenen Völkern im Kontext des Aufbaus eines "Plurinationalen Staates"

Foto: Eneas De Troya (CC BY 2.0)

Foto: Eneas De Troya (CC BY 2.0)

Referenten:
Hernán Ávila Montaño
Direktor vom Zentrum für juristische Studien und Sozialforschung (Centro de Estudios Jurídicos e Investigación Social/CEJIS)
Iván Égido
Langjähriger Berater des Dachverbandes der indigenen Organisationen (Confederación de los Pueblos Indígenas de Bolivia/ CIDOB)
CEJIS ist eine bolivianische gemeinnützige nicht staatliche Organisation, die im Bereich der Menschenrechte indigene Organisationen begleitet und unterstützt.
Moderation: Carlos Echegoyen, ehemaliger Entwicklungshelfer für das Programm Ziviler Friedensdienst des DED/GIZ Bolivien

Sprache: Veranstaltung auf Spanisch ohne Übersetzung!
Hintergrund:
Die Situation der indigenen Völker in Bolivien
Zum Verhältnis der bolivianischen Regierung zu den indigenen Völkern im Kontext des Aufbaus eines „Plurinationalen Staates“

Seit 2006 regiert in Bolivien Evo Morales von der Partei Bewegung zum Sozialismus („Movimiento al Socialismo“/MAS). Sein ambitionierter Reformprozess („proceso de cambio“) hat in der breiten Bevölkerung viel Unterstützung gefunden. Für viele BolivianerInnen und auch LateinamerikanerInnen ist er zu einem Hoffnungsträger im Kampf gegen Armut und für soziale Gerechtigkeit geworden.
Die Wahlen im Oktober haben ihn zum zweiten Mal im Amt bestätigt. Sie haben auch erneut verdeutlicht, dass das Land trotz der wirtschaftlichen und sozialen Erfolge gespalten ist. Zwar ist die Situation dabei längst nicht mehr so konfliktiv wie zu Beginn seiner ersten Amtszeit, als man im Tiefland als Migrant aus dem Hochland rassistischen Angriffen ausgeliefert war oder die politische Klasse aus dem Tiefland („media luna“) gar mit der Abspaltung des Tieflandes vom Rest Boliviens kokettierte, doch latent bestehen Konfliktpotentiale in Bolivien weiter fort.
Evo Morales hat es geschafft, die ökonomischen Eliten im Tiefland zu besänftigen. So werden einige Reformen nur noch abgeschwächt fortgesetzt (z.B. Landreform) und gleichzeitig Programme zur Stärkung der Agroindustrie ins Leben gerufen. Mit letzterem erhofft die Regierung die Mindereinnahmen aus der Gaslieferung und Erdölförderung zu kompensieren. Die Ausbeutung nicht fossiler Energieträger ist jedoch wirtschaftlich weitaus lukrativer. Die Regierung wird sich daher weiter um die Erschließung neuer Gas- oder Erdölfelder bemühen und versuchen, entsprechende Territorien insbesondere im Tiefland bzw. im Amazonasbecken zu erschließen. Und dies hat Vorrang vor ökologischen Bedenken und indigenen Kollektivrechten.
Noch in der ersten Amtszeit erhielten indigene Völker des Tieflandes Landtitel von teils enormen Territorien. An sie ging der Auftrag diese Gebiete zu verwalten, nachhaltig zu wirtschaften und zu schützen. Es wurde ihnen sogar Autonomierechte zugestanden. Doch in dem Maße, wie die indigenen Völker darauf pochten, ihre Autonomie selbst zu bestimmen und sich der ökonomischen Erschließung ihrer Gebiete zu widersetzen, wurde auch die Kluft zwischen diesen Völkern und der Regierung immer größer.
Diese Kluft manifestiert sich seit 2011 immer stärker. In diesem Jahr plante die Regierung ein Straßenbauprojekt der Regierung, das durch das Indigene Schutzgebiet TIPNIS (Territorio Indigena y Parque Nacional Isiboro Sécure) gehen sollte. Das Projekt führte zum ersten offenen Konflikt zwischen den indigenen Völkern und der Regierung. Dieser Konflikt geriet aus der Kontrolle der Regierung, so dass sie versuchte mit Polizeigewalt die Protestbewegung zu zerschlagen. Dies gelang ihr nicht.
Der TIPNIS Konflikt hat das Verhältnis zwischen Regierung und indigenen Völkern seit dem nachhaltig beschädigt.
Das Misstrauen der Regierung ist gegenüber deren Organisationen sehr groß. Entsprechend ging die Regierung dazu über, diese zu kontrollieren und insbesondere nichtstaatliche Organisationen ins Visier zu nehmen, die den Protest der indigenen Organisationen unterstützt haben. Es sind neue Gesetze zur Kontrolle von NRO verabschiedet worden. Gleichzeitig versucht die Regierung einerseits die indigenen Organisationen zu spalten und auf sie Druck auszuüben und andererseits ihre Präsenz in den Parlamenten zu beschränken.
Bei den vergangenen Wahlen setzte sich der Trend fort, die Zahl der indigenen Direktkandidaten bei der MAS zu reduzieren. Zudem sank die Zahl der indigenen MAS-Kandidaten, die einen Wahlerfolg erzielen konnten, gegenüber dem Jahr 2002. Bei den anderen Parteien war demgegenüber eine leichte Erhöhung der Anzahl indigener Kandidaten aus dem Tiefland zu beobachten.
Gmeinsam mit unseren beiden Gästen wollen wir das konfliktive Feld des Verhältnisses der bolivianischen Regierung zu den indigenen Völkern und deren Organisiationen in den Blick nehmen und die oben beschriebene Entwicklung kritisch reflektieren wie diskutieren.

Kurze Selbstdarstellung von CEJIS (Santa Cruz/Bolivien):
Das Zentrum für juristische Studien und Sozialforschung (CEJIS) wurde 1978 von MenschenrechtsaktivistInnen gegründet. Ihre Arbeit richtete sich in den ersten Jahren auf die Gewährung von Rechtsbeistand an ArbeiterInnen, und BäuerInnen der Einzelgewerkschaft der lohnabhängigen LandarbeiterInnen (CSUTCB) und auf die Forschung und Dokumentation der Ursachen sozialer Ungerechtigkeit.
Ab den 90 er Jahren standen die indigenen Mitgliedsorganisationen der CIDOB im Fokus der Arbeit von CEJIS. Es war ihr Anliegen ihre Rechte in der nationalen Gesetzgebung zu verankern. So trug CEJIS zur Ratifizierung der Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation und zur Verabschiedung wichtiger Gesetzte, die das Recht der indigenen Völker auf eigene Territorien und auf die Nutzung der dort vorhandenen natürlichen Ressourcen sichern sollten (das Agrarreform (INRA) Gesetz und das Forstgesetz u.a.).
Nach dem Sieg der Bewegung zum Sozialismus (MAS) 2005 richtete sich die Arbeit von CEJIS darauf aus, zu einem die indigenen Organisationen vor den Übergriffen der Reformgegner zu schützen und betroffene VertreterInnen und Organisationen vor internationalen Gerichten Rechtsbeistand zu gewähren (CIDH) und zum anderem diese Organisationen bei der Erarbeitung der neuen plurinationalen Verfassung zu unterstützen und sie bei der Umsetzung des Reformprozesses zu begleiten.
Die Arbeit von CEJIS genießt internationale Anerkennung. CEJIS steht mit verschiedenen internationalen Menschenrechtsinstitutionen (CIDH, AI, UN Menschenrechtskommission, UN Ombudsstelle für die Rechte indigener Völker) in engen Kontakt.

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