Neoliberale Klimapolitik will erreichen, dass alle möglichst so weitermachen können wie bisher.
Von Thomas Fatheuer
Gibt es so etwas wie eine neoliberale Klimapolitik? Zumindest gibt es eine neoliberal geprägte Antwort auf die Klimakrise. Anders als viele rechte Akteure, muss diese Antwort die Klimakrise anerkennen. Ob die formulierten Antworten aber einen wirksamen Beitrag leisten, steht auf einem andern Blatt.
Als ein entscheidender Meilenstein in der Geschichte der internationalen Klimapolitik gilt der sogenannte Stern-Report von 2006. Jeglicher progressiver Tendenzen unverdächtig enthält dieser die bemerkenswerte und viel zitierte Aussage, der Klimawandel sei „der größte Fall von Marktversagen, den die Welt je gesehen hat“. Viele sahen nun die Zeit für einen grundlegenden Paradigmenwechsel gekommen, im Kontext einer großen sozial-ökologischen Transformation schienen Regulation und ein aktiver Staat wieder mehr Gewicht zu erhalten.
Aber es war auch möglich, ganz andere Schlussfolgerungen aus dem Stern-Report zu ziehen. Nämlich dass die Antwort auf das Marktversagen nicht mehr Regulation, sondern mehr Markt sei, verbunden allerdings mit den besseren Anreizen. „Put a price on carbon“ („Gebt Kohlenstoff einen Preis“) entwickelte sich so zu dem globalen Schlachtruf einer marktorientierten Klimapolitik, der über die großen Klimakonferenzen immer mehr auch in die nationalen Klimadebatten durchsickerte. Flankiert wurde diese marktorientierte Perspektive durch eine Beschwörung technologischen Fortschrittes, der allerdings „technologieoffen“ sein müsse.
Politisch relevant macht diese Losungen aber nur ein Versprechen: „Unsere Freiheit, unsere Werte, unser Lebensstil“ stehen nicht zur Disposition, ja, wir können mit einigen Korrekturen so weiter machen wie bisher. Diese Botschaft ist politisch so brandgefährlich wie erfolgreich. Transformation erscheint dagegen als etwas Beängstigendes. Wenn schon, dann soll sie so aussehen wie bei der E-Mobilität, die in Aussicht stellt, dass beim Individualverkehrs alles so bleiben könne, man müsse sich nur an eine neue Energiequelle gewöhnen.
Neoliberale Klimapolitik ist durch zwei große Stränge charakterisiert: zum einen durch die Fixierung auf den CO2-Preis als das zentrale Mittel der Klimapolitik. Zum andern aber auch – und das ist für den globalen Süden relevant – indem ein CO2-Markt geschaffen wird, der Emissionsreduktionen global austauschbar macht und damit auch eine neue Dimension der Ökonomisierung von Natur beinhaltet.
Weltweit existieren zahlreiche solcher CO2-Märkte, die immer auf bestimmte Industriezweige beschränkt sind, der Europäische Emissionshandel (EU-ETS) ist dabei der größte. Eine der Voraussetzungen für diese marktbasierte Klimapolitik ist es, die globale Umweltkrise auf CO2 zuzuspitzen. Als das entscheidende Ziel in der Klimapolitik gilt es, den CO2-Ausstoß zu verringern. Dekarbonisierung der Wirtschaft und Klimaneutralität sind hierbei die wichtigsten Schlagwörter.
Ein seltsamer Preis
Das Treibhausgas CO2 hat einen entscheidenden Vorteil: Es lässt sich gut messen und besitzt bereits einen Preis, allerdings einen seltsamen. Denn natürlich will niemand ein Treibhausgas kaufen, gehandelt werden vielmehr Zertifikate von Emissionsreduktionen. Die Grundidee ist, dass Reduktion da geschehe, wo sie am kostengünstigsten ist. Akteure, die nicht ausreichend reduzieren, müssen Zertifikate dazu kaufen, so erhöhen sich ihre Kosten und es entstehen Anreize zur Verringerung von CO2.
Funktion und Grenzen solcher Märkte lassen sich gut am Beispiel des Flugverkehrs verdeutlichen. Seit 2010 ist der innereuropäische Flugverkehr in den EU-ETS einbezogen. Dabei ist ein Reduktionsziel festgelegt. Fluggesellschaften erhalten kostenlose Gutschriften über 85 Prozent der Emissionen des Reduktionsziels. Was darüber hinaus ausgestoßen wird, muss dazu gekauft werden. Ziel des Emissionshandel ist dabei nicht, den Flugverkehr zu verringern. Der Effekt ist eine allmähliche Erhöhung der Ticketpreise, indem der Anteil zuzukaufender Zertifikate und der CO2-Preis steigen.
Nach Berechnungen der Financial Times würde das eine Erhöhung der Ticketpreise für innereuropäische Flüge von etwa zehn Euro in den nächsten Jahren bedeuten. Steigende CO2-Preise ändern also das bestehende Modell nicht und bleiben insbesondere für Besserverdienende im Bereich von Peanuts. Erhoffte Auswirkungen sind die (erzwungene) höhere Attraktivität von Alternativen (Zugfahrten, Urlaub auf dem Balkon) und steigende Einnahmen durch den Verkauf von Zertifikaten. Diese könnten in die Herstellung synthetischer Kraftstoffe investiert werden, die als langfristige Alternative für den Luftverkehr gelten. Politisch wird nun das Signal gegeben, wir täten ja etwas. Praktisch legitimiert dies ein „Weiter so!“ und marginalisiert Forderungen wie etwa den Flugverkehr zu deckeln (Keine neue Startbahn mehr!) oder Kurzstreckenflüge einzuschränken.
Gravierendere Konsequenzen hat die Klimastrategie für den internationalen Flugverkehr. Die Internationale Zivilluftfahrtorganisation (ICAO) hat 2016 das Carbon Offsetting and Reduction Scheme for International Aviation (CORSIA) beschlossen, bei dem steigende Emissionen durch Kompensationen (offsets) ausgeglichen werden sollen. „Klimaneutrales Wachstum“ lautet das Zauberwort und zeigt an, was marktbasierte Klimapolitik erreichen will.
Woher aber kommen die Kompensationen? Durch den Ankauf von Zertifikaten, die „klimaneutrale“ Projekte erzeugen sollen. Die meisten dieser Zertifikate generieren Projekte im Bereich erneuerbarer Energien und der Reduzierung von Entwaldung. Beides geschieht vornehmlich im globalen Süden. CORSIA verleiht insbesondere dem Handel mit Waldzertifikaten einen enormen Aufschub, die unter dem Namen REDD+ bekannt sind und seit vielen Jahren die Kritik sozialer Bewegungen und kritischer Nichtregierungsorganisationen auf sich ziehen.
Hier zeigt sich nun deutlich, was marktbasierte Klimapolitik leistet: Sie garantiert dem Flugverkehr weiter wachsen zu können und proklamiert zugleich die Klimaneutralität dieses Wachstums. Der globale Süden soll die Reduktionsleistungen liefern, während einem kleinen Teil der Weltbevölkerung der ungestörte Flugverkehr gesichert wird. Die Voraussetzung dafür ist die neue Rolle von CO2 als ein globales Handelsgut, das es ermöglicht, Funktionen der Natur (Speicherung von CO2 in Bäumen) gegen Industrieemissionen auszutauschen.
Neoliberale Klimapolitik schafft somit ganz neue Märkte und transformiert mit einer bemerkenswerten Alchemie Natur dahingehend, handelbare Leistungen – oder services wie es im Englischen heißt – bereitzustellen. Dies wird dann als Win-win-Option verkauft, an der indigene Gruppen, lokale Gemeinschaften oder auch Regierungen des globalen Süden verdienen könnten.
Aber auch hier gilt der Grundsatz „there is no free lunch“. Gemeinschaften im globalen Süden müssen ihre Autonomie verkaufen, sich undurchsichtigen Regeln unterwerfen und geraten in Abhängigkeit von Consultingfirmen. Denn nur die hätten das Know-how, die Lebensweise von Indigenen und Funktionen der Natur in handelbare Zertifikate zu verwandeln. Dafür bleibt auch ein großer Teil der Gewinne bei ihnen hängen. Das Beispiel Flugverkehr zeigt also, dass neoliberale Klimapolitik so einiges bewirken kann – nur mit dem Klimaschutz ist es dabei nicht so weit her.
Für die aktuelle Debatte in Deutschland ist es wichtig, dass marktbasierte Mechanismen eigentlich kaum funktionieren können, wenn es um den Ausstieg aus fossilen Energieträgern geht. Ein weiterer Konsens besteht darin, dass die Klimaziele nur zu erreichen sind, wenn zumindest PKW und die Beheizung von Wohnungen komplett dekarbonisiert, sprich auf andere Energiequellen umgestellt werden. Hier kann das Ziel nicht „klimaneutrales Wachstum“ sein, zumal die Technologien bereitstehen, fossile Energieträger zu ersetzen. Durch die Umstellung wird auch „unsere Lebensweise“ nicht gefährdet, ja statt Verzicht wird sogar „grünes Wachstum“ versprochen.
In den Phantasien von vielen Ökonom*innen und der Rhetorik der FDP könnte auch dies durch einen steigenden CO2-Preis geschehen. Eher über kurz als über lang müsste dies aber zu einem CO2-Preis führen, der den weiteren Einsatz von fossiler Energie in diesen Bereichen verhindert. Bei Pkw müsste der Kraftstoffpreis bei über fünf Euro liegen. Dies ist politisch nicht durchsetzbar und würde außerdem immer noch die Möglichkeit eröffnen, dass Reiche sich weiterhin freikaufen.
Hooligan-Taktik gegen effizienten Klimaschutz
Insofern ist das fest terminierte Ende für den Einsatz fossiler Energien auf jeden Fall die bessere Lösung, wenn es denn um Klimaschutz geht. In der aktuellen Debatte zeigt sich noch ein Aspekt der neoliberalen Klimapolitik: Sie setzt die Marktrhetorik ein, um Nebelkerzen zu zünden, die Debatte zu verwirren und Zeithorizonte zu verschieben. Denn sie suggeriert, dass durch einen CO2-Preis eine sanfte Alternative zum „Heizungshammer“ und dem festgelegten Ausstieg aus der Brennertechnologie zur Verfügung stehe. Das ist aber eine Illusion, wenn der CO2-Preis wirken soll. Die immer wiederholte Beschwörung von CO2-Bepreisung und Technologieoffenheit taugt nur als politische Hooligan-Taktik, um Debatten zu verwirren. Denn wer weiß schon, wie ein CO2-Preis oder gar der Emissionshandel funktionieren. Als Klimastrategie ist das unbrauchbar. Es sei denn, man ändert die Ziele. Dann könnten die fossilen Energieträger in Luxusautos weiterleben nach dem Motto „Wir zahlen ja!“. Doch geht es bei neoliberaler Klimapolitik eben weniger um das Klima, als um eine Strategie, die Klimakrise in eine Business Opportunity zu verwandeln. Und es geht darum, jegliche Debatte um die Nicht-Nachhaltigkeit des herrschenden Wachstumsmodell an den Rand zu drängen.
Thomas Fatheuer ist freier Autor, Mitarbeiter des Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika (FDCL) und im Brasiliennetzwerk KoBra aktiv.
Zuerst veröffentlich im Südlink 205 – Neoliberalismus
https://www.inkota.de/news/suedlink-zum-thema-neoliberalismus-erschienen
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