Amazonasbecken und das Feuchtbiotop Pantanal brennen – mehr und länger als jemals zuvor. Was für das globale und das brasilianische Ökosystem eine Tragödie ist, verursacht in der deutschen Wirtschaft allerhöchstens Sorgen um Imageprobleme. Die staatliche Entwicklungszusammenarbeit stellt es vor die schwierige Frage, wie unter der aktuellen Regierung überhaupt noch kooperiert werden kann – und wem das am Ende dann nutzt. Auf eine Anfrage der Mitglieder der Grünen-Bundestagsfraktion zu diesem Thema hat die Bundesregierung Ende September endlich geantwortet.
Nein, Jair Bolsonaro hat in Deutschland wirklich keine gute Presse. Der brasilianische Präsident gilt als Tropentrump, als Zündler am Amazonaswald und obskurer Waffenfanatiker. Seit den wiederholten Bränden im Regenwald sind auch verharmlosende Stimmen, nach dem Motto „Alles wird nicht so heiß gegessen…“, weitgehend verstummt. Aber hat das auch Konsequenzen? Wie mit dem Brasilien Bolsonaros umgehen? Diese Frage muss sich sowohl die deutsche Wirtschaft wie die Entwicklungszusammenarbeit (EZ) stellen. Denn Brasilien ist nichts weniger als strategischer Partner, für das BMZ gilt Brasilien als „globaler Entwicklungspartner“ und „Gestaltungsmacht“.
Schaut man auf die Zahlen, hat sich nicht viel verändert. Zwar sind die Exporte aus Brasilien in die EU und nach Deutschland leicht zurückgegangen. Dafür haben sich aber die Importe aus der EU und Deutschland erhöht. Nach wie vor bleibt Brasilien der wichtigste Wirtschaftspartner in Lateinamerika und der Bundesverband der deutschen Industrie betont: „Heute sind in Brasilien über 1.600 deutsche Unternehmen aktiv. Sie erwirtschaften ca. zehn Prozent der industriellen Wertschöpfung. Allein in São Paulo befinden sich über 800 deutsche Unternehmen, die mehr als 250.000 Arbeitsplätze geschaffen haben. São Paulo ist damit der größte deutsche Industriestandort außerhalb Deutschlands.“
Bekannt ist inzwischen, dass Vertreter*innen der deutschen Industrie den Wahlsieg Bolsonaros geradezu enthusiastisch begrüßten. Die Töne sind leiser geworden, aber grundsätzlich hat sich nichts geändert. Das wurde auf den Deutsch-Brasilianischen Wirtschaftstagen, die im September 2019 in Natal stattfanden, nur allzu deutlich. Dort erklärte der VW-Vertreter Andreas Renschler: „Die Agenda von Brasiliens Wirtschaftsminister Paulo Guedes scheint in die richtige Richtung zu gehen: Dringend benötigte Reformen wie im Rentensystem werden angegangen, die Infrastruktur soll modernisiert, der Markt sukzessive geöffnet und der Staat entbürokratisiert werden. All das fordern wir als deutsche Wirtschaft seit Jahrzehnten. Wenn mehr Marktwirtschaft gewagt wird, kann nachhaltiges Wachstum entstehen. Davon werden nicht nur die deutschen Unternehmen profitieren, sondern auch die Brasilianer selbst.“ Damit wird ein Grundsatz in der Bewertung durch die deutsche Wirtschaft zum Ausdruck gebracht: Die Absetzung der neoliberalen Wirtschaftspolitik als „vernünftig“ von den Verrücktheiten des Präsidenten.
Einen bemerkenswerten Auftritt auf der Tagung hatte übrigens Eduardo Bolsonaro, einer der Söhne des Präsidenten, als er verkündete: „Die besten Pistolen stellt nun mal Deutschland her.“ Man kann sich vorstellen, wie die Wirtschaftsbosse zusammenzuckten. Denn über Waffengeschäfte redet man so nicht, gedeihen sie doch am besten außerhalb der Scheinwerfer der Öffentlichkeit. Und da gibt es keinen Grund zu klagen. Im März 2020 erhielt ThyssenKrupp Marine Systems (TKMS) den Zuschlag für vier Korvetten für die brasilianische Marine. Wert des Deals: 1,8 Milliarden Euro.
Die schlechten Meldungen aus Brasilien mögen für die Wirtschaft zwar ein Imageproblem schaffen, haben aber den Beziehungen bisher nicht geschadet. Vor diesem Hintergrund muss wohl die überraschende Unterzeichnung des EU-Merco-sur-Abkommens im Jahre 2019 gesehen werden. Weder die EU noch die Bundesregierung schreckten davor zurück, mit der Regierung Bolsonaros das Abkommen auszuhandeln. Seitdem ist das EU-Mercosur-Abkommen in die Kritik geraten und Kampagnen dagegen zeigen Wirkung.
Dennoch hält die Bundesregierung an dem Abkommen fest, wie in der Antwort auf eine Anfrage von Mitgliedern der Grünen-Bundestags- fraktion im September 2020 deutlich wird: „Die Bundesregierung unterstützt Geist und Intention des EU-MERCOSUR-Abkommens weiterhin, da es nach ihrer Ansicht aufgrund seiner politischen Bedeutung, seiner wirtschaftlichen Relevanz und auch seiner verbindlichen Nachhaltigkeitsbestimmungen mit entsprechenden Überprüfungs-, Beschwerde- und Reaktionsmechanismen – unter anderem zur wirksamen Umsetzung des Pariser Klimaabkommens, zur nachhaltigen Forstwirtschaft und zum Vorgehen gegen illegale Entwaldung – grundsätzlich im Interesse Deutschlands und der EU ist.“ Zwar räumt sie danach ihre Besorgnis wegen des Amazonas ein – aber was muss denn noch passieren, damit Besorgnis Konsequenzen hat?
Solch konsequenzenlose Besorgnis ist das Leitmotiv. Die Regierung kann schlecht behaupten, dass ihr nicht bekannt sei, was in den Medien mit Quellen dokumentiert ist. Aber symptomatisch ist, wie auf die Frage nach der Gefährdung der Demokratie geantwortet wird: „Die Föderative Republik Brasilien verfügt über ein mit zahlreichen Kompetenzen ausgestattetes Parlament, aufgeteilt in Abgeordnetenhaus und Senat, sowie über eine unabhängige Justiz. Derzeit bestehen aus Sicht der Bundesregierung keine Gründe, an der Funktionsfähigkeit der Gewaltenteilung zu zweifeln.“
Aber die Frage zielte gar nicht auf die Gewaltenteilung ab, die Regierung drückt sich vor der Antwort. Noch klarer wird das beim nächsten Punkt der Anfrage: „Kennt und wie bewertet die Bundesregierung Analysen, in denen Expertinnen und Experten die zunehmende Gefahr einer Außerkraftsetzung demokratisch-parlamentarischer Rechte sowie eine Militarisierung von Politik und Gesellschaft in Brasilien diagnostizieren?“
Antwort: „Die Bundesregierung nimmt Analysen Dritter zur Kenntnis.“ Dabei war doch ausdrücklich auch nach der Bewertung gefragt.
In vielen Teilen zeugt das Dokument von Chuzpe, die Fragen einfach zu ignorieren oder nur teilweise zu beantworten. Aber das hat wohl System. Deutlich wird auch, dass die Bundesregierung auch an der Entwicklungszusammenarbeit (EZ) mit Brasilien festhalten will. Hier wird es nun aber brenzlig. Denn Schwerpunkt der EZ mit Brasilien war und ist der Umweltbereich und insbesondere der Schutz Amazoniens. Es ist aber nicht zu leugnen, dass unter Umweltminister Ricardo Salles eine systematische Demontage des Umweltbereichs stattgefunden hat. Das betraf auch die internationale Kooperation direkt: Einseitig hat Salles den milliardenschweren Amazonasfonds suspendiert, nur bereits bewilligte Projekte werden noch weitergeführt. Verbunden ist dies mit verbalen Ausfällen gegen NGOs, die wichtige Partnerinnen des Amazonasfonds und der internationalen Kooperation waren und sind. Bolsonaro bezeichnete diese jüngst als Krebsgeschwür.
Hier helfen nun auch Verharmlosungen nicht mehr weiter, mit diesem Umweltministerium ist keine Kooperation möglich. Stattdessen baut die Bundesregierung die Kooperation mit einzelnen Bundesstaaten und mit dem Agrarministerium aus. Letzteres ist besonders bedenklich. Das Agrarministerium ist in Brasilien eindeutig die Interessenvertretung des Agrobusiness und wird von einer Vertreterin desselben, Tereza Cristina, geleitet.
Mit selbiger Tereza Cristina hat nun die deutsche Landwirtschaftsminsterin Julia Klöckner die Einrichtung des Kooperationsvorhabens Deutsch-Brasilianischer Agrarpolitischer Dialog (APO) vereinbart. Das Treffen dazu fand während der Grünen Woche 2020 in Berlin statt. „Die Landwirtschaftssektoren von Brasilien und Deutschland rücken näher zusammen“, kommentierte die brasilianische Presse. Diesem neuen Honeymoon mit dem brasilianischen Agrobusiness liegt eine strategische Bewertung zugrunde: Dass nämlich so verantwortlichere, nachhaltigere Methoden der Landwirtschaft zu fördern seien. Das Agrobusiness nachhaltiger zu gestalten, scheint die Absicht zu sein, nachhaltige Lieferketten und auch Bioökonomie sind die Schlagwörter. Hier wird aber völlig von der politischen Bedeutung des Agrobusiness abstrahiert. Es ist ein treuer Unterstützer der Regierung Bolsonaro und profitiert letztendlich vom Abbau der Umweltgesetzgebung in Brasilien. Jenseits der Sinnhaftigkeit einzelner Projekte – diese Kooperation ist politisch ein fatales Signal, nur vergleichbar mit einem Projekt zum Müllrecycling mit der Mafia.
Aber was tun? Die Forderung, unter den gegebenen Umständen den EU-Mercosur-Vertrag nicht zu ratifizieren, ist in der Zivilgesellschaft weitgehend Konsens. Sie zielt auch anders als etwa offene Briefe von Investor*innen, mit der Aufforderung die Entwaldung in Amazonien zu stoppen, auf klare Konsequenzen ab. Tatsächlich wäre die Nicht-Ratifizierung ein deutliches und wahrnehmbares Signal.
Aber eine Forderung, die gesamte Entwicklungszusammenarbeit mit Brasilien einzustellen, ist es nicht – das wird auch von der brasilianischen Zivilgesellschaft nicht gefordert. Immer noch besteht die Hoffnung, dass über existierende Programme auch Sinnvolles gefördert werden kann und etwa der Amazonasfonds wiederbelebt werden könnte – und damit auch die Unterstützung indigener Völker. Auch schließt die Förderung des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Gelder für die kirchlichen Hilfswerke, die politischen Stiftungen und zahlreiche NGOs ein, die mit der brasilianischen Zivilgesellschaft zusammenarbeiten. Diese Förderung will, gerade in finsteren Zeiten, niemand einstellen. Die Frage ist eher, inwiefern Unterstützung der brasilianischen Zivilgesellschaft in Zukunft überhaupt noch möglich sein wird. Die Meldungen über bürokratische Hürden und Schikanen häufen sich. Eine Forderung könnte deshalb sein, unter der Präsidentschaft Bolsonaro keine weiteren Kooperationen mit der brasilianischen Bundesregierung und insbesondere nicht mit dem brasilianischen Agrarministerium einzugehen.
Autor: Thomas Fatheuer
Der Artikel ist zuerst in den Lateinamerika Nachrichten erschienen.