In Rio de Janeiro trafen sich Betroffene des ThyssenKrupp-Stahlwerks mit Vertreter/innen der UN-Arbeitsgruppe über Menschenrechte und transnationale Konzerne und trugen ihre Beschwerden über den deutschen Multi vor.
von Christian Russau
„Die Tragödie geschieht hier und jetzt“. Dies sagte am Internationalen Tage der Menschenrechte, dem 10. Dezember, Oséas Quintanilha, ein Fischer und Bewohner des Staddteils Santa Cruz, rund 70 Kilometer westlich des Stadtzentrums von Rio de Janeiro gelegen, dort, wo seit Juni 2010 Lateinamerikas größtes Stahlwerk in Betrieb ist, das TKCSA-Stahlwerk, das mehrheitlich des Essener Stahlkocher ThyssenKrupp gehört. Seit nunmehr über fünf Jahren ist es in Betrieb, verschmutzt laut Ansicht der Anwohner/innen die Luft, versperrt den Fischer/innen die Durchfahrt durch die Kanäle und die Nutzung der Fischgründe – und läuft bis heute ohne endgültige Betriebsgenehmigung. Oséas Quintanilha und weitere Fischer/innen und Anwohner/innen trafen sich mit den Vertreter/innen der UN-Arbeitsgruppe über Menschenrechte und transnationale Konzerne.
Die Fischer/innen, Anwohner/innen und Menschenrechtsaktivist/innen trafen Pawel Wassiljewitsch Suljandsiga aus der UN-Arbeitsgruppe über Menschenrechte und transnationale Konzerne. Suljandsiga ist ein russischer Aktivist für die Rechte indigener Völker in Russland, bis zum Jahr 2010 war er Mitglied des Ständigen UN-Forums für indigene Angelegenheiten. Für Oséas gibt es angesichts der Schäden für die Bevölkerung, die das Stahlwerk anrichtet, nur eine Lösung: Das Werk müsse geschlossen werden. Dies sieht auch der Kleinfischer Jaci do Nascimento so. „Was ich gelernt habe, ist Fischen, ist Rudern, woher soll ich den Lebensunterhalt für meine Familie beziehen?“, fragte der Fischer die anwesende Presse und beklagte sich bei den UN-Vertreter/innen über ThyssenKrupp. Gabriel Strautman vom Institut PACS aus Rio wies beim Gespräch mit den UN-Vertreter/innen auf die Verstrickung des brasilianischen Staates und der Länder in den Skandal um das Stahlwerk hin. „Die [staatliche Bank für soziale und wirtschaftliche Entwicklung] BNDES hat zwei Milliarden Reais in den Bau der TKCSA investiert, die Anlage operiert auf Basis eines rechtlich äußerst schwachen Instruments, des [sogenannten] TAC[-Vertrags], der durch die [Umweltbehörde] SEA ausgestellt wurde. Wir sehen eine absolute Kumpanei zwischen dem Staat und dem Unternehmen“, so Strautman.
Doch diese schon oft in Brasilien und auch in Deutschland auf den Hauptversammlungen der ThyssenKrupp AG angeprangerte Kumpanei steht letztlich auf wackligen Füssen. Denn der TAC-Vertrag ist gegenwärtig die einzige Rechtsgrundlage, auf der das Stahlwerk betrieben wird. ThyssenKrupp bezeichnet diesen TAC-Vertrag immer gerne als „ergänzte behördliche Vereinbarung“. Nur, dieser Vertrag läuft in wenigen Monaten aus und noch immer hat ThyssenKrupp nicht alle Anforderungen umgesetzt. Somit steht ThyssenKrupp nun vor dem Problem, die definitive Betriebsgenehmigung noch immer nicht erhalten zu können, aber den TAC-Vertrag können sie auch nicht mehr verlängern lassen: die Maximaldauer, die der Gesetzesrahmen bietet, ist in wenigen Monaten ausgeschöpft.
Dann gibt es nun nur drei Möglichkeiten:
1.) Ein technisches Wunder: ThyssenKrupp gelingt es, in weniger als drei Monaten alle technischen Probleme abzustellen und die in den vergangenen fünf Jahren nicht erreichten Auflagen zum Betrieb des Stahlwerks, die die TAC-Verträge von ThyssenKrupp gefordert haben, endlich umzusetzen. Dann könnte ThyssenKrupp die endgültige Betriebsgenehmigung erhalten (aber die Rechtsprozesse der 5.763 Fischer/innen, die auf Millionenentschädigung klagen, liefen ebenso wie die Prozesse der Staatsanwaltschaften wegen Umweltverschmutzung weiter.)
2.) Der normale Rechtsweg: Die Anforderungen des TAC-Vertrags werden von ThyssenKrupp nicht umgesetzt und der TAC-Vertrag läuft im März/April 2016 aus und kann nicht mehr verlängert werden. Die Folge: Das Stahlwerk müsste schließen.
3.) Die politische Entscheidung: Die Landesregierung des Bundesstaats von Rio de Janeiro findet gemeinsam mit den Umweltbehörden eine Rechtslücke, verabschiedet ein neues entsprechendes Dekret und/oder Vertragsmodell über den Betriesbablauf – und findet so ein juristisches Schlupfloch, so dass das ThyssenKrupp-Stahlwerk weiter laufen kann, auch wenn es die Umweltvorgaben nicht erfüllt. Die Folge wären: jahrelange Rechtsprozesse – und die Betreiber des Stahlwerks, ThyssenKrupp und Vale, könnten den Betrieb derweil weiterführen, ihre Pläne zum Verkauf des Stahlwerks an Dritte weiter vorantreiben (die sinkende brasilianische Landeswährung Real spielt dem in die Hände, da das Werk auf dem Weltmarkt nunmehr in die Profitabilitätszone gelangen wird) und letztlich – bei einem Urteilsspruch in mehreren Jahren nicht mehr Rechtseigentümerin des Werkes zu sein, ebenso wie die Gouverneure und leitenden Umweltbeamten von Rio auch nicht mehr die gleichen sein werden. Den Schaden zahlen: die Fischer/innen, die Anwohner/innen und letztlich die brasilianischen Steuerzahler/innen.