I. Der Globale Griff nach Land
Anfang 2009 erschütterten massive Proteste den Inselstaat Madagaskar. Die Demonstrationen richteten sich gegen die Entscheidung der Regierung, dem südkoreanischen Konzern Daewoo Logistics insgesamt 1,3 Millionen Hektar Agrarland für 99 Jahre zu verpachten – diese Fläche ist ungefähr die Hälfte der gesamten landwirtschaftlichen Flächen des Landes. Daewoo plante, auf den Pachtflächen Palmöl und Mais für den Export nach Südkorea zu produzieren. Kleinbäuerinnen und -bauern befürchteten, dass sie von ihren eigenen Äckern – für die sie häufig genug keine offiziellen Besitztitel vorweisen können – vertrieben werden; und auch die nicht direkt betroffenen kleinbäuerlichen Betriebe würden unweigerlich durch ein so gigantisches Projekt in Mitleidenschaft geraten – denn riesige Plantagen brauchen riesige Mengen Wasser, das dann den kleinen Betrieben fehlt (vgl.Schneider/von Oppeln 2009).
Derartige Nachrichten erreichen uns aus vielen armen Regionen der Welt. Finanzinstitute, Investitionsfonds und andere Unternehmen investieren gegenwärtig in die Landwirtschaft wie noch nie. Nach Angaben des Internationalen Instituts zur Erforschung von Ernährungspolitik IFPRI wurden von 2006 bis 2009 zwischen 14 und 20 Millionen Hektar Land in als arm geltenden Ländern an ausländische InvestorInnen verkauft (vgl. Moreno/Mittal 2008: 5).
Schon immer war Land ein Wert. Und bereits seit dem 19. Jahrhundert investieren Unternehmen und Finanzinstitute im großen Stil in die Landwirtschaft. Doch während in den vergangenen Jahrzehnten und davor ein Geschäft über 100.000 Hektar als riesig galt, können die Verträge, die in den letzten Jahren geschlossen wurden, zehnmal so große Flächen betreffen. Die neue Landnahme hat riesige Ausmaße erreicht.
Auf dem Treffen der Organisation für Ernährung und Landwirtschaft der Vereinten Nationen FAO am 12. Oktober dieses Jahres in Rom, dem Vorbereitungstreffen für den UN-Welternährungsgipfel im November, stellten die TeilnehmerInnen in ihrer Abschlusserklärung fest, dass insgesamt 83 Milliarden US-Dollar bis 2050 in die Landwirtschaft investiert werden müssten, um die voraussichtlich 9,1 Milliarden Menschen zu ernähren, die dann leben werden. Die Weltbevölkerung wächst, doch die zur Verfügung stehenden Flächen zum Anbau von Nah rungsmitteln wachsen nicht im selben Maß – Land ist eine begrenzte Ressource. Nach Angaben der Koordination für Umweltfragen der Vereinten Nationen UNEP von 1987 standen der gesamten Bevölkerung unseres Planeten etwa 0,28 Hektar Land pro Kopf zur Verfügung; 2003 waren es nur noch 0.22 Hektar pro Kopf – Tendenz sinkend (vgl. Schneider/ von Oppeln 2009). Um mehr Ackerland zu gewinnen, müssen Naturräume – meistens Wälder wie im Amazonasgebiet – in Agrarflächen umgewandelt werden. Doch auch wachsende Anbauflächen infolge solcher Rodungen gleichen langfristig nicht den Bedarf einer weiter wachsenden Weltbevölkerung aus. Hinzu kommen nicht nur die begrenzte landwirtschaftlich nutzbare Erdoberfläche sondern auch noch der Klimawandel. Immer weitere Teile der bewirtschaftbaren Flächen verwüsten oder versalzen in stärkerem Maße. Die ohnehin begrenzten Flächen, auf denen Nahrungsmittel produziert werden können, werden dadurch noch knapper.
Ein weiterer Faktor, der die Nahrungsmittelproduktion unter Druck setzt, ist die Energiekrise. Praktisch die gesamte Weltwirtschaft ist von Erdöl abhängig, doch diese Ressource ist ebenfalls begrenzt. Als Alternative zum Erdöl werden Treibstoffe aus der Agrarproduktion gehandelt. Aus ölhaltigen Pflanzen wie Ölpalmen und Soja oder aus Zuckerrohr und Mais soll der Sprit für das neue Jahrtausend produziert werden. Angeblich sei dies eine Möglichkeit, den Klimawandel zu beherrschen, da die Pflanzen ja Kohlendioxid speicherten. Der ökologische Wert von Agrartreibstoffen ist allerdings sehr stark umstritten, da die Pflanzen in Monokultur angebaut werden und über kurz oder lang die Böden auslaugen. Dennoch bietet dieser Sektor aus rein wirtschaftlicher Sicht enorme Wachstumsraten – zuungunsten der Nahrungsmittelproduktion. Wo Zuckerrohr und Ölpalmen für die Treibstoffproduktion angebaut werden, können keine Nahrungsmittel produziert werden, die Menschen satt machen. Wenn also die Energiegewinnung aus landwirtschaftlichen Erzeugnissen zunimmt, verknappen Nahrungsmittel und steigen ihre Preise.
Viele Finanzinstitute und Investitionsfonds haben diese Faktoren sorgfältig studiert – und sind zu dem Schluss gekommen, dass Investitionen in landwirtschaftliche Flächen auf lange Sicht enorme Profite abwerfen können. Die Preise für Ackerland wachsen enorm und werden es in Zukunft immer weiter tun. Bereits jetzt steigen die Lebensmittelpreise. Und auch Agrartreibstoffe sollen in der Zukunft eine immer wichtigere Rolle spielen. Es ist abzusehen, dass sich diese Situation weiter verschärfen wird. Etliche Finanzinstitute investieren nun Milliardenbeträge in die Landwirtschaft. Daewoo Logistics ist da nur ein Beispiel. Zahlreiche andere Investitionsfonds und Unternehmen kaufen immer größere Flächen auf, um darauf Landwirtschaft betreiben zu lassen – egal ob für Agrartreibstoffe oder um Nahrung zu produzieren. Saudi-Arabien hat mit Agroinvest eine staatliche Gesellschaft geschaffen, die in tropischen Ländern Landflächen aufkauft, um dort Nahrungsmittel zu produzieren. Die Bevölkerung des Landes am Persischen Golf wächst und ist abhängig von Nahrungsmittelimporten. Um eine zu starke Abhängigkeit vom Weltmarkt in der Zukunft – wenn die Nahrungssituation sich deutlich verschärfen könnte – zu vermeiden, soll das Unternehmen Nahrungsmittel für die eigene Bevölkerung produzieren.
Die aktuelle globale Finanzkrise hat den weltweiten Wettbewerb um Landerwerb noch zusätzlich angestachelt. Derzeit sind die Interessen an kurzzeitigen, hochspekulativen Geldanlagen deutlich zurück gegangen. Investitionen in die Landwirtschaft haben zwar keine kurzzeitigen Gewinnaussichten – dafür bieten sie aber, was die meisten Finanzpapiere derzeit kaum bieten können: Sicherheit. Und darüber hinaus die Aussicht auf einen ordentlichen Profit – wenn auch eher auf lange Sicht. Die neue Landnahme – das sind strategische Investitionen, die auf Jahrzehnte, ja für an die hundert Jahre ausgelegt sind. Und so bemühen sich derzeit unzählige multinationale Unternehmen und Finanzinstitute darum, ein Stückchen Land zu ergattern – was auch schon mal so groß wie ein ganzes Land sein kann. Kurz: Landwirtschaft boomt, und die Landnahme – das land grabbing – ist neu vor allem im Hinblick auf die Dimensionen und neue Akteure (vgl. Rinke 18.8.2009).
Inhalt
I. Der Globale Griff nach Land
- I.1 Land Grabbing – ein neues Phänomen?
- I.2 Probleme und Risiken der Landnahme
- I.3 Landnahme in Amazonien
II. Amazoniens Land – Wem gehört es, wer will es?
- II.1 Was ist Amazonien?
- II.2 Wer sind die Amazonier?
- II.3 Wem gehört Amazonien?
- II.4 Wer will Amazonien?
- II.5 Straßen in den Wald – Infrastrukturprojekte in Amazonien – IIRSA et al.
III. Fazit
IV. Bibliografie
Impressum
© FDCL Berlin, 2009
Herausgegeben von:
Forschungs- und Dokumentationszentrum
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Gneisenaustraße 2a
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Fax: +49-(0)30-692 65 90
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Autor: Thilo F. Papacek
Verlag: FDCL-Verlag, Berlin
Layout: Mathias Hohmann
Druck: agit Druck, Berlin
Umschlagfoto: ©Markus Mauthe/Greenpeace/2006 (Im
Bundesstaat Mato Grosso in Brasilien. Regenwald wird für den
Anbau von Soja entlang des Highway 163 niedergebrannt.)
ISBN-13: 978-3-923020-47-8
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