Pressemitteilung

43. Jahrestag des chilenischen Militärputsches vom 11. September 1973: Gedenken an die Verschwundenen in der Colonia Dignidad

Angehörige besuchen Ausgrabungsstätten und fordern Ende des Tourismus in der Deutschensiedlung. Regionalbeauftragter des Auswärtigen Amts trifft Vertreter der Opfer

Protest am Eingangstor der ehemaligen Colonia Dignidad Foto: AFDD Talca

Protest am Eingangstor der ehemaligen Colonia Dignidad
Foto: AFDD Talca

[Parral, Chile 11.09.2016] Am Vorabend des  43. Jahrestages des
chilenischen Militärputsches vom 11. September 1973 haben mehrere
Dutzend Angehörige von Verschwundenen gestern die ehemalige Colonia
Dignidad besucht. In einem entlegenen Waldstück innerhalb der
Deutschensiedlung gedachten sie ihrer ermordeter Familienmitglieder. An
jener Stelle hatte ein chilenischer Ermittlungsrichter im Jahr 2006
Massengräber gefunden, wo dutzende politische Gefangene nach ihrer
Hinrichtung verscharrt worden waren. Die Leichen der dort begrabenen
Personen waren jedoch einige Jahre nach ihrer Ermordung von Mitgliedern
der Colonia Dignidad wieder ausgegraben und verbrannt worden, so dass
die Opfer bis heute nicht identifiziert werden konnten.  Ehemalige
Mitglieder der Colonia Dignidad hatten dem Richter von den Erschießungen
berichtet, ohne jedoch Namen von Tätern und Opfern zu nennen.
Vor der gestrigen Gedenk-Zeremonie hatten die Angehörigen den
Ermittlungsrichter Mario Carroza um Erlaubnis gebeten, die
Ausgrabungsstätten zu besuchen. Carroza hatte vor einem Jahr neue
Ausgrabungen angeordnet, die nach einer Unterbrechung nun demnächst
fortgesetzt werden sollen.
Myrna Troncoso, Sprecherin der Angehörigenverbände der Region, forderte
in ihrer Rede die chilenische und deutsche Regierung auf, konkrete
Schritte zu unternehmen, um dem Tourismus in der Siedlung ein Ende zu
setzen. „Es ist unerträglich, dass an einem der wichtigsten Mord- und
Folterstätten der Diktatur heute Feste gefeiert werden. Wir kommen seit
Jahrzehnten hierher zur Colonia Dignidad und fragen ‚Wo sind sie?‘ und
möchten, dass  hier eine Erinnerungs- und Bildungsstätte entsteht,
die ein würdevolles Gedenken ermöglicht und wo die hier begangenen
Verbrechen sichtbar gemacht werden“ so Troncoso.
Das Waldstück in dem sich die Gräber befanden gehört zu den 8 Orten
innerhalb des mehrere tausend Hektar umfassenden Colonia-Grundstücks,
die kürzlich von der chilenischen Regierung unter Denkmalschutz gestellt
wurden. Allerdings hat Anna Schnellenkamp, Tourismuschefin der
Siedlung, in der vergangenen Woche Berufung gegen das Regierungsdekret
eingelegt[1]. Die Firmenchefs der Nachfolgeunternehmen der Colonia
Dignidad möchten den Tourismus ausbauen und ein Teil des nun unter
Denkmalschutz stehenden Landes als Parzellen unter den Bewohnern
aufteilen.
Unterdessen setzen die von den verschiedenen in der Colonia Dignidad
begangenen Verbrechen betroffenen Opferkollektive nach der
selbstkritischen Rede von Bundesaussenminister Steinmeier vom
vergangenen April Hoffnung auf konkrete Unterstützungsmassnahmen durch
die deutsche und chilenische Regierung. Der Regionalbeauftragte für
Lateinamerika und die Karibik des Auswärtigen Amts, Dieter Lamlé, wird
in der kommenden Woche erneut nach Chile reisen, um Gespräche mit
Opfervertretern und Repräsentanten der chilenischen Regierung zu führen.
Erstmals wird Lamlé dabei mit Myrna Troncoso auch eine Vertreterin der
Angehörigen der Verschwundenen treffen.
[1] http://www.economiaynegocios.cl/noticias/noticias.asp?id=287491