Lateinamerika hat in den letzten Jahren seine traditionelle Rolle als Rohstofflieferant ausgebaut. Überall sind dort Exporte von Erdöl, Kohle, Gas, Metallen oder Soja gestiegen. Dahinter steht das weltweite neoliberale Wirtschaftssystem mit einer ständig steigenden Nachfrage nach Rohstoffen in den europäischen, nordamerikanischen und inzwischen verstärkt in den asiatischen Industrieländern. Dieser Extraktivismus in Lateinamerika mit seinen offensichtlichen sozialen und ökologischen Konsequenzen wird dort und weltweit diskutiert, heftig kritisiert, aber auch gerechtfertigt.
In dem geplanten Seminar sollen die Argumentationsstränge der Diskussion skizziert und an zwei Ländern überprüft werden. Die beiden Nachbarländer Venezuela und Kolumbien, die in ihrer Politik und Wirtschaft sehr unterschiedlich sind, haben doch etwas gemeinsam. Die Regierungen beider Länder setzen auf den Rohstoffexport als Entwicklungsmotor.
Die Regierung des Präsidenten Santos in Kolumbien hat den Bergbau als „Lokomotive des Fortschritts“ entdeckt. Für die Steigerung der Fördermengen bei Erdöl, Gas, Steinkohle, Gold und Alliminium sollen 50 Milliarden US-$ in zehn Jahren investiert werden. Als Fortschritt gilt dabei volkswirtschaftliches Wachstum, d.h. Steigerung des BIP. Die Folgen liegen inzwischen klar auf der Hand. Gewachsen sind vor allem die Menschenrechtsverletzungen, wobei besonders Teile der indigene Bevölkerung betroffen sind. Auch die Umweltschäden haben stark zugenommen.
Ganz anders stellt sich das Bemühen Venezuelas dar, seinen Reichtum an Erdöl für die Entwicklung zu nutzen. Hier ging und geht es zuerst darum, die Gewinne aus dem Erdölexport für soziale Gerechtigkeit einzusetzen. Damit ist das Land ein markantes Beispiel für den sogenannten Neo-Extraktivismus. Die damit erzielten Erfolge bei der Armutsbekämpfung sind eindrucksvoll. Aber viele weitergehende Hoffnungen haben sich nicht erfüllt: Vor allem die extreme Abhängigkeit von dem einen Exportprodukt Erdöl ist sogar in den letzten Jahren noch gestiegen.
Weiterhin ist geplant, die Rolle, die der globale Norden bei den Rohstoffen spielt, durch einen Beitrag zu ergänzen, der sich beispielhaft und kritisch mit dem Schweizer Rohstoffgiganten Glencore auseinander setzt.
Die konkrete Beschäftigung mit den Ländern Kolumbien und Venezuela soll als Grundlage dienen für eine Diskussion zum Thema (Neo-)Extraktivismus: Wie wird das Thema in Lateinamerika diskutiert? Welche konkreten Möglichkeiten haben die Länder des globalen Südens weg zu kommen von der Rolle der Rohstofflieferanten? Welche globalen Alternativen zur „imperialen Lebensweise“ gibt es?
Referenten:
Kolumbien: Jochen Schüller, Hamburg; Alejandro Rodríguez, Frankfurt
Venezuela: Wolfgang Ecker, München
Glencore: Stefan Suhner (Multiwatch, Bern), Autor des Buches „Milliarden mit Rohstoffen“
Extraktivismus und Alternativen: Sebastian Matthes, Kassel