Seminar

Gentechnik - "reloaded": - Neue Gentechniken, "Big Data" - Risiken und Regulierungsbedarf

Seminar für Akteure aus der deutschen Zivilgesellschaft

Die neuen Formen der Gentechnik und die damit eng verbundene Digitalisierung genetischer Informationen sind in Fachkreisen seit einigen Jahren ein Gegenstand intensiver kontroverser Debatten. Nicht nur für eine breitere Öffentlichkeit sind diese komplexen Debatten jedoch oftmals kaum mehr nachvollziehbar, sondern auch für viele Aktive aus der umwelt- und entwicklungspolitischen Szene hierzulande ist es schwierig, diesen Diskussionen zu folgen. Das von der AG-Biodiversität organisierte Seminar soll dazu beitragen, sowohl unsere Kenntnisse und Orientierung in diesem Bereich zu befördern wie auch gemeinsam Strategien zu diskutieren, wie wir in diese eminent wichtigen Debatten und Prozesse politisch intervenieren können. Dabei wollen wir auch die Initiativen zur Regulierung dieser neuen Technologien in den Blick nehmen – insbesondere auf der Ebene der Biodiversitätskonvention (CBD).

Die AG Biodiversität des Forums für Umwelt und Entwicklung in Zusammenarbeit mit dem Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile – Lateinamerika (FDCL) laden ein.

Programm

14:00 Begrüßung der Teilnehmer*innen

14:05 – 15:00 Synthetische Biologie/Neue Gentechnik-Verfahren: Risiken und der Stand der Regulierungsdebatte in der CBD
Ricarda Steinbrecher (ECONEXUS)

15:00 – 15:30 Digital Sequence Information (DSI) – Nagoya-Protokoll auf dem Abstellgleis?
Christine von Weizsäcker (Präsidentin ECOROPA / Vorstand CBD Alliance)

15:30 – 15:45 Kaffeepause

15:45 – 17:30 Strategierunde: Was heißt das jetzt für uns? Wo können wir als deutsche Zivilgesellschaft aktiv werden?
Impulsreferat: Stig Tanzmann (Brot für die Welt)

Moderation: Jürgen Maier (Forum Umwelt & Entwicklung)

17:30 Ende der Veranstaltung

Hintergrund

Als Synthetische Biologie (SynBio) bezeichnet man die nächste Generation von Biotechnologien, die versuchen, Lebensformen – auch auf der genetischen Ebene – zu entwickeln, zu verändern, neu zusammenzusetzen und sogar künstlich zu erzeugen. Die synthetische Biologie geht weit über die erste Generation „transgenetisch“ veränderter Organismen hinaus. Als eine Art ‚extreme Gentechnik‘ isoliert sie nicht nur in der Natur vorkommende Gene und baut sie in andere Organismen ein, sondern schreibt ganz neue genetische Codes. Während eine Genom-Editing-Technik wie CRISPR/Cas mit einer Schere im Genom arbeitet, will Synthetische Biologie Lebensformen wie Legosteine neu zusammensetzten.

Damit einher geht eine konfliktive Debatte um die ökologischen, sozialen, gesundheitlichen Risiken und weiteren Implikationen/Dimensionen dieser neuen Technologien. Dies zumeist in einem ersten Schritt fokussiert auf die grundsätzliche Frage, ob es sich dabei nun um Gentechnik (bezogen auf Verfahren wie Endprodukt) handele oder nicht sowie der damit zusammenhängenden Frage der Regulierung. Während die Industrie alles dafür tut, dass diese neuen Technologien nicht als Gentechnik eingestuft werden, fordern Kritiker, dass diese neuen gentechnischen Verfahren als Gentechnik zu behandeln sind und hier die Regelungen des Cartagena-Protokolls der CBD über Biosicherheit zur Anwendung kommen muss. Dieses regelt vor allem den Handel mit gentechnisch modifizierten Organismen (GMO) und bezieht sich deutlich auf das Vorsorgeprinzip. Die Bestimmungen des Protokolls machen es für nationale Regierungen erforderlich, eine eigene Regulierung für biologische Sicherheit zu entwickeln. Es stellt damit einen internationalen Rahmen und einen Ausgangspunkt für nationale Politiken her, GMO unter dem Aspekt der biologischen Sicherheit zu regulieren.

Die sogenannte Digitale Sequenz Information (DSI) ermöglicht es, vollständige genetische Informationen ganzer Organismen ohne genetisches Material weiterzugeben. Deshalb wird auch von der `Dematerialisierung der genetischen Ressourcen´ gesprochen. Auf Grundlage dieser digitalen genetischen Informationen ist es in Kombination mit den Methoden der synthetischen Biologie möglich, einzelne wichtige Gene auszuwählen, nachzubilden, zu verändern und zu verwenden – ohne irgendwelches Genmaterial physisch transferieren zu müssen respektive das genetische Ausgangsmaterial zu besitzen. Damit hat die DSI das Potenzial, die Vereinbarungen zum Zugang und gerechten Vorteilausgleich zu umgehen und so das Nagoya-Protokoll der CBD auszuhebeln. Diese Regeln sollen auf internationaler Ebene sicherstellen, dass Länder, in denen sich genetische Ressourcen befinden beziehungsweise gefunden werden, für die Nutzung der Ressourcen und das dazugehörige Wissen entschädigt werden.

Die neuen Formen der Gentechnik und DSI sind ein Hoffnungsträger für transnationale Konzerne im Agrar- und Saatgutbereich und ein wesentlicher Transmissionsriemen von Bioökonomiestrategien – und für die Zukunft von Landnutzung, Agrobiodiversität und globaler Landwirtschaft von fundamentaler Bedeutung. Bei der Debatte um die Bewertung der neuen gentechnischen Verfahren stehen bedeutende Forschungs- und Verwertungsinteressen auf dem Spiel, die durch eine Regulierung gemäß den Bestimmungen, die auch bereits für die „klassische Gentechnik“ gelten, beeinträchtigt werden könnten. So hat jüngst ein vom EuGH ergangenes Urteil zu den von der Industrie als „Neue Züchtungstechniken (NZT)“ bezeichneten Genom-Editing Verfahren festgehalten, dass diese als Gentechnik einzustufen seien, die dann auch unter das Vorsorgeprinzip, die Anwendung der EU-Gentechnikgesetze, Risikoprüfung und Kennzeichnung fallen müssen. Doch wenig verwunderlich: aktuell wird nicht nur von der Industrie sondern bspw. auch vom wissenschaftlicher Beirat der EU-Kommission versucht, dieses Urteil sukzessive zu demontieren.

Von besonderer Relevanz sind deshalb die Diskussionen und Beschlussfassungen innerhalb der Biodiversitätskonvention (CBD). Die CBD ist seit Jahrzehnten eine Instanz für den Schutz der Biodiversität und hat sich mit vielen Entscheidungen als eines der progressivsten internationalen Abkommen erwiesen. Seit Jahren gibt es jedoch Versuche von Lobbyisten der Biotechnologie-Industrie die Konvention für ihre Interessen zu benutzen. Dabei sollen Verfahren der synthetischen Biologie gegen den Widerstand großer Teile der Zivilgesellschaft und vieler Regierungen im Globalen Süden salonfähig gemacht werden. Die COP 14 zur Biodiversität wird in diesem Jahr zentrale Entscheidungen bei der Regulierung Neuer Gentechnik treffen, wie über ein Moratorium auf die Freisetzung von Gene Drives. CRISPR-Cas und ähnliche neue Gentechnik-Verfahren werden als Genom Editing bezeichnet, die durch sie ermöglichten beschleunigten Mutationen als Gene Drives. Die Folgen eines Gene Drive sind nicht vorhersehbar und könnten zu langfristigen Änderungen in einem Ökosystem führen.

Veranstalter

Förderer