Eine Kurzanalyse von Thomas Fatheuer.
Die Präsidentschaftswahlen in Brasilien werden in einer Stichwahl zwischen Lula und Bolsonaro am 30. Oktober entschieden.
Das war eigentlich in den letzten Monaten immer so erwartet worden, aber im Endspurt des Wahlkampfes kam doch die Hoffnung auf, Lula könnte es im ersten Durchgang schaffen. Lula erzielte mit 48% ein gutes Ergebnis, das auch von den Umfragen so vorhergesehen wurde. Der eigentliche Schock war das unerwartet gute Abschneiden von Bolsonaro. Er lag seit Jahresbeginn in allen Umfragen deutlich hinter Lula und schien mit 35% der Stimmen sein Maximum erreicht zu haben. Nun hat er 43% der Stimmen erlangt und damit durchaus Chancen, in der Stichwahl am 30. Oktober zu gewinnen.
Zu den unangenehmem Überraschungen des Wahlabends gehörte auch das gute Ergebnis des Kandidaten von Bolsonaro in São Paulo, dem bevölkerungsreichsten Bundesstaat Brasiliens. Tarcísio Freitas – Ex-Infrastrukturminister von Bolsonaro – liegt deutlich vor Haddad, dem Kandidaten der PT auf den Gouverneursposten, der alle Umfragen anführte. Daraus ergeben sich einige vorläufige Schlussfolgerungen.
Der „Bolsonarismo“ wird unzureichend verstanden und erfasst. Wieder einmal haben Linke und die liberale Presse ihn unterschätzt, auch weil sie in einer anderen Welt leben.
Der „Bolsonarismo“ geht politisch gestärkt aus den Wahlen hervor, unabhängig von den Präsidentschaftswahlen. In Minas Gerais und Rio de Janeiro haben die Kandidaten Bolsonaros im ersten Durchgang gewonnen. Wenn auch noch São Paulo dazu kommt, regieren Verbündete von Bolsonaro in den drei bevölkerungsreichsten Bundesstaaten Brasiliens. Hinzu kommt, dass wichtige Vertreter*innen des „Bolsonarismo“ in den Senat gewählt wurden. Allen voran die ehemalige Familienministerin Damares, prominente Vertreterin der Evangelikalen, und Tereza Cristina, ex-Landwirtschaftsministerin unter Bolsonaro und Vertreterin des Agrobusiness.
Mit diesem vielköpfigen Erfolg stellt sich aber auch die Frage, ob „Bolsonarismo“ überhaupt noch der richtige Begriff ist. In Brasilien hat sich eine extreme Rechte politisch formiert und jetzt auch gefestigt, die auch ein politisches Ende Bolsonaros überleben kann. Kern dieser extremen Rechten sind tief verwurzelte reaktionäre Einstellungen in der Gesellschaft, die Bereitschaft zur Gewalt und ein politisches Bündnis, das stark von Evangelikalen und dem Agrobusiness getragen wird.
Das Wahlergebnis ist erschütternd, aber keineswegs das Ende der Hoffnung, dass Lula der nächste Präsident Brasiliens wird. Der Vorsprung Lulas ist groß, die Zahlen sprechen für ihn. Klar ist aber auch, dass dies kein Selbstlauf wird, weil das Potential Bolsonaros offensichtlich schwer einzuschätzen ist. Er wird jetzt auf einen Stimmenzuwachs bei den ärmsten Teile der Bevölkerung setzen und weiter Wahlgeschenke verteilen. Leider wird es spannend.
Das elektronische Wahlverfahren war am 2. Oktober ein Gewinner. Das gute Abschneiden des Bolsonaro-Lagers verhinderte die Delegitimierung des Wahlverfahrens. Das wird ein Anzweifeln eines Wahlsiegs Lulas durch Bolsonaro erschweren, wenn auch nicht unmöglich machen.
// Thomas Fatheuer