Ethanol im Tank: Woher kommt der Bio-Turbo - und wer zahlt den Preis? Foto und Montage: Christian Russau

Ethanol im Tank: Woher kommt der Bio-Turbo – und wer zahlt den Preis?
Foto und Montage: Christian Russau

Vom 24.-26. November hat der deutsche Bioökonomierat mehr als 500 Führungskräfte aus Politik, Forschung, Industrie und Zivilgesellschaft nach Berlin eingeladen. Ziel des Global Bioeconomy Summit (GBS2015) war es, erstmals gemeinsam über einen multilateralen Gestaltungsprozess hin zu einer global nachhaltigen Bioökonomie zu diskutieren. Als Referenzrahmen sollten dabei die in Nachfolge der Milleniums-Entwicklungsziele verhandelten Post-2015-UN-Entwicklungsziele (Sustainable Development Goals – SDGs) dienen.

In der Tat stellen die Bioökonomie-Strategien in ihrer vorherrschenden Ausrichtung einen technologischen Lösungsansatz dar, der Antworten auf zentrale Fragen der Zukunftsfähigkeit verspricht: Der Übergang von einer auf fossilen hin zu einer auf biologischen Rohstoffen basierenden Wirtschaft könne so bewältigt, ein Weg aus der globalen Ressourcenknappheit gefunden und auf die Folgen des Klimawandels reagiert werden. Ergänzt werden diese Versprechen mit der Aussicht auf höhere Produktivität, Wachstum und internationale Wettbewerbsfähigkeit. Auch die Länder des Globalen Südens würden profitieren und ein Kurswechsel in Richtung Bioökonomie zu einer global gerechteren Entwicklung, zur Ernährungssicherheit und Armutsminderung beitragen. Moderne Technologien wie grüne Gentechnik, synthetische Biologie und Bioraffinerien sind die designierten Instrumente, um (mehr) Biomasse zu produzieren und neue Produkte für die Agrar-, Lebensmittel-, Energie-, Chemie- und Pharmaindustrie zu entwickeln.

Die Schwerpunktlegung auf Technologien zur Verbesserung der Ressourceneffizienz kann nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass die Umsetzung der Bioökonomie-Strategien von einem drastischen Anstieg der Nutzung von Biomasse abhängig ist, deren Großteil sich – inkl. der Produktionspotenziale wie Land, Böden und Wasser – im Globalen Süden findet. Was als ein „grüner Umstieg“ von fossilen Ressourcen zu Biomasse angekündigt und offiziell vorangetrieben wird, stellt sich als ein großangelegter Zugriff auf natürliche Ressourcen dar, mit dem insbesondere den armen Bevölkerungsteilen im Globalen Süden der Zugang zu Land, Wasser, Fischgründen und anderer Ressourcen entzogen und deren Recht auf angemessene Nahrung gefährdet wird.

Eine steigende globale Nachfrage nach agrarischen Rohstoffen, Holz und anderer von auf dem Land zu findenden Formen von Biomasse, kann eine weitere Ausbreitung von industriellen Monokulturen, genveränderten Pflanzen und Baumplantagen beschleunigen und damit einhergehend Landnahmen, Entwaldung und Verlust der biologischen Vielfalt befördern. Dies ist insbesondere aus der Perspektive der Länder des globalen Südens, die noch immer mit massiver Ernährungsunsicherheit konfrontiert sind, eine bedrohliche Entwicklung. Gerade die armen Länder des globalen Südens müssen sich schon heute mit den schwerwiegenden Konsequenzen auseinandersetzen, die von den zumeist aus dem Norden gesteuerten globalen Wertschöpfungsketten bei der Beschaffung landwirtschaftlicher Rohprodukte zur Verarbeitung innerhalb ihrer Grenzen verursacht werden.

Da die landwirtschaftliche Nutzfläche nicht beliebig vermehrbar ist, ist eine über die bereits bestehende Auseinandersetzung um „Teller, Trog oder Tank“ hinausgehende Vervielfachung der Zielkonflikte, die auf konkurrierenden Landnutzungsinteressen beruhen, vorprogrammiert: Der neue Kampf um den Zugang zu und die Kontrolle von Land wird sich – nicht nur aber zu einem großen Teil – im globalen Süden abspielen und absehbar schwerwiegende soziale und ökologische Folgewirkungen nach sich ziehen. Es ist bspw. mittlerweile erwiesen, dass die Nachfrage der EU nach Agrartreibstoffen den globalen Wettbewerb um Land angeheizt und das so genannte Land Grabbing in Afrika, Asien und Lateinamerika angetrieben hat, um agrarische Rohstoffe für den Export anzubauen.

Die Bioökonomie-Strategie der EU bspw. zielt auf einen „kohärenteren politischen Rahmen“, mit dem Synergien u.a. mit der Gemeinsamen EU-Agrar- und Fischereipolitik sowie in den Politikbereichen Umwelt, Gesundheit, Industrie-und Energiepolitik hergestellt werden sollen. Dieser neue Handlungsrahmen ist eingebettet in einen „globalen Ansatz“, einschließlich der Ermittlung von „Best Practices“, um neue Märkte zu erschließen. Bi-und multilaterale Handelsverträge werden dabei als ein Instrument gesehen, um die Versorgungssicherheit der hiesigen Wirtschaft mit Biomasse zu garantieren. Dies deutet darauf hin, dass die Bioökonomie-Politik die bereits vorhandenen Handels- und Rohstoffstrategien ergänzen dürfte, die von der EU und der Mitgliedstaaten in den letzten Jahren ins Leben gerufen worden sind, um die Versorgungssicherheit mit Rohstoffen zu garantieren. Das vielbeschworene Gebot der „entwicklungspolitischen Kohärenz“ der EU-Politiken gerät auch mit deren Bioökonomie-Strategie weiter unter die Räder – das in diesem Jahr begangene so genannte European Year for Development 2015 (EYD2015) wird daran nicht ändern.

Beispielhaft für die vorherrschende Ausrichtung der offiziellen Bioökonomie-Strategien ist die beim letzten Klimagipfel hoch gehandelte „Global Alliance for Climate-Smart Agriculture“. Diese verspricht einen “triple win”: höhere Erträge, Reduktion von Treibhausgasen und eine an den Klimawandel angepasste Produktion. Dominiert wird dieser Ansatz einer „klima-smarten Landwirtschaft“ jedoch offensichtlich von einem altbekannten industriellen Landwirtschaftsmodell, das auf Großbetriebe, hohen Düngemittel- und Pestizideinsatz sowie die Verwendung von gentechnisch verändertem Saatgut setzt – und maßgeblich verantwortlich ist für Klimawandel, ökologische und soziale Krise wie Ernährungsunsicherheit im Globalen Süden.

Zwar proklamiert die Bioökonomie die nachhaltige Umstellung der Weltwirtschaft auf eine biobasierte stoffliche Grundlage. Doch ist sie in ihrer vorherrschenden Diktion tatsächlich ein krisenverschärfendes Programm zur Verlängerung des fossilen Zeitalters, denn die Ausbeutung und Nutzung fossiler Rohstoffe wie Energieträger schreibt sich bruchlos fort. Die Fixierung auf technologische Lösungsansätze in Verbindung mit einer Fortschreibung des Wachstums- und Freihandelsparadigmas, zementiert die Konzentration wirtschaftlicher Macht transnationaler Konzerne und verschärft die globale ökologische Krise wie soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten. Die offiziellen Bioökonomie-Strategien bergen zudem das Risiko, sowohl die Kommerzialisierung und Monetarisierung der Natur als auch den weiteren Ausbau von in der Kritik stehenden Kohlenstoff-Projekten und der Ökosystemdienstleistungen massiv zu befördern. Das Ziel, den globalen Klimawandel einzudämmen, kann mit diesen marktbasierten Instrumenten nachweislich nicht erreicht werden.

Wirkliche Lösungen für eine dringlich notwendige globale soziale und ökologische Transformation und die Bekämpfung des Hungers werden damit blockiert. Diese können nur gefunden werden bei einer Abkehr vom Wachstumsparadigma, einer drastischen Reduktion des Ressourcenverbrauchs und einer demokratischen Kontrolle des Zugangs zu und der Nutzung von Land und natürlichen Ressourcen.

Woran es den offizielle Bioökonomie-Strategien insbesondere mangelt, ist eine Berücksichtigung der spezifischen zivilgesellschaftlichen Perspektive der Länder des Südens, die vor allem von dem neuen globalen Wettlauf um die Erschließung von Biomasse-Ressourcen betroffen sind. Auch daran müssen sich Alternativen und Problemlösungsstrategien maßgeblich orientieren. Diese können sich bspw. beziehen auf: Investitionen in kleinbäuerliche Landwirtschaft, Stärkung agrarökologischer Ansätze, Praktiken rund um klimaresistente Lebensmittelsysteme und zum Schutz der Agrobiodiversität, Konzepte und Politikansätze für eine an Nachhaltigkeitskriterien orientierte Landnutzung, Umsetzung sozial wie ökologisch nachhaltiger Lösungen im Bereich erneuerbare Energien, die Verkürzung von Versorgungsketten und Förderung global nachhaltiger Produktions- und Konsummuster.

Globale soziale und ökologische Verteilungsfragen und menschenrechtszentrierte Politikansätze haben in den Bioökonomie-Strategien bislang kaum Eingang gefunden – bestenfalls als folgenlose Lippenbenenntnisse. Doch zur Diskussion müssen schlussendlich alternative, handlungsorientierende Entwürfe stehen, die eine demokratische, menschenrechtsorientierte, sozial gerechte und ökologisch nachhaltige Transformation unseres Produktions- und Konsummodells auf den Weg bringen – und eben kein “weiter so, wie bisher”, bei dem der Turbo nur auf „grün“ und „bio“ gestellt wird. Erst wenn dieser Kurswechsel eingeleitet ist, können Elemente der Bioökonomie durchaus eine wichtige Rolle bei der Sicherung einer an globaler sozialer und ökologischer Gerechtigkeit orientierten zukunftsfähigen Entwicklung spielen, welche die Umsetzung und den Schutz der Menschenrechte in das Zentrum stellt.

FDCL, November 2015

 

Zur Kampagne „Hands on the Land for Food Sovereignty“

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