Schutzschirm für Land Grabber?

Die neue Landnahme schafft neue Besitzverhältnisse. Internationales Recht spielt bei deren Absicherung eine wichtige Rolle und behindert notwendige Agrarreformen.

Die neue Landnahme (Land Grabbing) könnte langfristig eine Umkehr in der Agrarpolitik der betroffenen Länder verhindern oder erschweren. Da am Land Grabbing vor allem internationale Akteure beteiligt sind, spielen internationale Rechtsbestimmungen zur Absicherung von Investitionen eine bedeutende Rolle. Schutzklauseln für ausländische Investitionen finden sich in bilateralen Investitionsschutzabkommen (Bilateral Investment Treaties, BIT), aber auch beispielsweise in Freihandelsverträgen. Derartige Vereinbarungen sollen ausländischen Direktinvestitionen Sicherheit bieten und stehen über dem jeweiligen nationalen Recht. Dass damit zu rechnen ist, dass BITs im Kontext der neuen Landnahme mögliche Landreformen zukünftig erschweren oder verhindern könnten, zeigt ein Beispiel aus Paraguay. In dem südamerikanischen Land wurden Enteignungen deutschen Landbesitzes mit Bezug auf ein bestehendes Investitionsschutzabkommen verhindert.

Keine Enteignung: Deutsche Landbesitzer in Paraguay

Kein Staat des amerikanischen Kontinents weist eine höhere Landkonzentration auf. Auf ein Prozent der LandbesitzerInnen entfallen in Paraguay 77 Prozent des Landes, während 40 Prozent der unter fünf Hektar besitzenden Kleinbauern und -bäuerinnen insgesamt nur über rund ein Prozent des Landes verfügen1. Zwar ist Paraguay laut Verfassung und internationalen Abkommen dazu verpflichtet, eine Agrarreform durchzuführen und verfügt auch über die dazu erforderlichen Institutionen, wie das Landinstitut INDERT. Dieses kann für Landbesitz, der nicht seine „soziale und öffentliche Funktion“ erfüllt, eine Enteignung veranlassen. Allerdings muss der aus Abgeordnetenhaus und Senat bestehende Kongress jeder einzelnen Maßnahme zustimmen. Enteignungen unproduktiven Landbesitzes werden nur infolge oft jahrelang andauernder Landbesetzungen und des Drucks von Bauernorganisationen überhaupt debattiert.
Infolge früherer Landkäufe besitzen deutsche StaatsbürgerInnen einen beträchtlichen Teil paraguayischen Landes. Genaue Zahlen existieren nicht, da die Nationalität der LandbesitzerInnen in den Landtiteln nicht vermerkt ist. Viele Latifundien, die einst Deutsche erworben haben, liegen brach. Die BesitzerInnen haben sich oft seit Jahren nicht blicken lassen, verhindern jedoch erfolgreich, dass das entsprechende Land Kleinbauern und -bäuerinnen zur Landnutzung übertragen wird.
Mehrere in den letzten Jahren dem Kongress zur Entscheidung vorgelegten Fälle deutschen Landbesitzes wurden vom Senat jeweils mit der Begründung abgelehnt, eine Enteignung verletzte das 1998 zwischen Deutschland und Paraguay in Kraft getretene Investitionsschutzabkommen.
Im Jahr 2000 verhinderte der Senat Paraguays beispielsweise die Enteignung eines 694 Hektar großen Landstücks in der Verwaltungsregion Itapúa, das von 85 landlosen Familien besetzt worden war. Das Land erwies sich nach Prüfung als verlassen, der deutsche Eigentümer Johann Bollmann lebte außerhalb Paraguays und hatte das beanspruchte Land seit fünfzehn Jahren nicht mehr betreten. Dennoch wurden die Familien mehrfach gewaltsam von dem Gelände vertrieben. Kurz vor der entscheidenden Abstimmung im Senat tauchte ein Bevollmächtigter Bollmanns auf und forderte die Anwendung des Investitionsschutzabkommens. Sogar die deutsche Botschaft in Paraguay meldete sich zu Wort. Sie sei „sehr besorgt“ über die mögliche Enteignung, die dem zwischen Deutschland und Paraguay geschlossenen Investitionsschutzabkommen widerspreche. Der Senat lehnte die Enteignung daraufhin ab2.
In einem anderen Fall, ebenfalls im Jahr 2000, ging es um die mögliche Enteignung von Land in der Verwaltungsregion Ñeembucú. Auf 1.669 verlassenen Hektar hatten sich bereits seit 1996 etwa 100 zuvor landlose Familien niedergelassen. Als Besitzer des Latifundiums entpuppte sich der von Interpol wegen Betrugs gesuchte Joachim Leske, der Paraguay nach dem Ende der Diktatur des deutschstämmigen Alfredo Stroessner den Rücken gekehrt hatte. Der Senat lehnte die Enteignung im Juni 2001 zunächst ab, woraufhin die auf dem Grundstück lebenden Familien brutal vertrieben sowie ihre Häuser und Ernte zerstört wurden. Nachdem die betroffenen Familien das Grundstück daraufhin mehrfach neu besetzten und vertrieben wurden, kam es 2005 zu einem weiteren Versuch der Enteignung. Kurz vor der entscheidenden Abstimmung forderten einige Mitglieder des Senats die polizeiliche Akte sowie die Nationalität Leskes an. Als sich herausstellte, dass Leske die schwedische, nicht aber die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, stimmte der Senat einstimmig für die Enteignung. Die 100 Familien durften bleiben, weil das von ihnen beanspruchte Land nicht einem Deutschen gehörte3.
Der Fall der indigenen Gemeinschaft Sawhoyamaxa führte 2006 sogar zu einer Verurteilung Paraguays vor dem Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte. Die über 400 Personen umfassende Gemeinschaft beanspruchte ihr traditionelles Land von gut 14.000 Hektar im Chaco-Gebiet. Da sich das Landstück im Besitz des deutschen Großgrundbesitzers Heribert Rödel befindet, lehnte der Senat im Februar 2003 eine Enteignung ab. Auf Initiative der Sawhoyamaxa landete der Fall schließlich vor dem Menschenrechtsgerichtshof, der Paraguay am 29. März 2006 unter anderem dazu verurteilte, das beanspruchte Land innerhalb von drei Jahren an die indigene Gemeinschaft zu übergeben. In Bezug auf das Investitionsschutzabkommen stellte das Gericht fest, dass dieses „keine Rechtfertigung für einen Verstoß gegen staatliche Verpflichtungen aus der Amerikanischen Menschenrechtskonvention“darstelle4. Obwohl die Frist mittlerweile abgelaufen ist, wurde das Land nicht zurückgegeben, die Sawhoyamaxa erhielten lediglich einige finanzielle Hilfen. Erst nach Protesten in Deutschland stellte die Bundesregierung klar, dass das BIT Enteignungen im Rahmen der Landreform nicht grundsätzlich im Wege stehe. Denn Enteignungen sind laut dem Abkommen ausdrücklich möglich, sofern sie „im öffentlichen Interesse“ sind und eine Entschädigung gezahlt wird5. Die deutsche Bundesregierung ist zudem durch die aus dem von ihr unterzeichneten Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte dazu verpflichtet, eine Landreform in anderen Ländern nicht zu behindern, da sich aus dem Pakt extraterritoriale Staatenpflichten ableiten lassen6. Durch ihr Nicht-Handeln hat sie einer bewusst falschen Interpretation des bilateralen Investitionsschutzabkommens jahrelang Vorschub geleistet.

BITs könnten Land Grabbing absichern

Fälle wie in Paraguay könnten sich im Zuge der neuen Landnahme zukünftig wiederholen. Häufig werden große Agrarflächen im globalen Süden für bis zu 100 Jahre verpachtet oder verkauft. Würde nun eine zukünftige Regierung auf die Idee kommen, eine Landreform durchzuführen, bliebe ihr in vielen Fällen nichts anderes übrig, als Land zurückzukaufen, zu enteignen oder laufende Pachtverträge vorzeitig aufzulösen. Die Bedingungen dafür werden durch internationale Abkommen wie die BITs erschwert oder unmöglich gemacht.

Für Unternehmen stellen die BITs eine Art Versicherung gegen politische Risiken wie etwa Enteignungen dar. In der Regel verpflichten sich Staaten mit Unterzeichnung eines derartigen Abkommens zur Zahlung von Entschädigungen im Falle von Enteignungen sowie zur Nicht-Diskriminierung von ausländischen gegenüber einheimischen Investitionen. Verstößt ein Staat nach Ansicht eines Unternehmens gegen ein BIT, kann dieses Unternehmen in einem „Investor-Staat-Verfahren“ vor ein internationales Schiedsgericht ziehen, ohne dass zuvor der nationale Rechtsweg erschöpft sein muss. Die meisten dieser Verfahren landen gemäß den konkreten Bestimmungen der jeweiligen Abkommen beim Internationalen Zentrum für Investitionsstreitigkeiten (ICSID), dem Schiedsgericht der Weltbankgruppe. Auch andere Organisationen wie die Internationale Handelskammer (ICC) oder die Kommission der Vereinten Nationen für internationales Handelsrecht (UNCITRAL) bieten Schlichtungen bei Handelsstreitigkeiten an.

Die Ausgangsbedingungen der Kontrahenten sind dabei äußerst ungleich verteilt, da BITs in der Regel zwischen Industrieländern auf der einen und ärmeren Staaten auf der anderen Seite geschlossen werden. Die Interessen kleinerer und ärmerer Länder sind in diesen Verfahren kaum durchsetzbar. Die Industrieländer, allen voran Deutschland, setzen einen bedingungslosen Investorenschutz durch. Im Streitfall können die ärmeren Länder den juristischen Abteilungen großer Konzerne nichts entgegen setzen. Hinzu kommen die Androhung des Abzuges weiterer Investoren und des Verlustes von Arbeitsplätzen sowie die Signalwirkung für andere Unternehmen. Daher reicht in vielen Fällen bereits die Drohung aus, damit Regierungen präventiv auf etwaige Enteignungen verzichten, selbst wenn diese „zum Wohl der Allgemeinheit“ und gegen „angemessene“ Entschädigung (Marktwert) möglich sind. Gewichtige Gründe, die jeweils für Enteignungen sprechen können, gibt es indes viele. So könnte beispielsweise nicht genutztes Land wieder bebaut werden sowie die Ernährungssituation der Bevölkerung und insbesondere der Kleinbäuerinnen und -bauern verbessert werden. Gerade fehlende Perspektiven für die kleinbäuerliche Landwirtschaft führen häufig zur Migration in die Armenviertel der Städte oder andere Länder.

Da die Versuche, ein multilaterales Investitionsschutzabkommen abzuschließen, gescheitert sind, haben bilaterale Investitionsschutzabkommen in den letzten Jahrzehnten an Bedeutung gewonnen. Weltweit existieren heute mehr als 2.600 BITs7. Deutschland hat mit über 140 Staaten derartige Abkommen geschlossen, mehr als jedes andere Land8. In der Regel ist die Laufzeit dabei unbegrenzt, ein Abkommen kann jedoch aufgekündigt werden. Der Investitionsschutz gilt für bereits getätigte Investitionen je nach BIT jedoch für bis zu mehrere Jahrzehnte nach Auflösung eines Abkommens. Mit Inkrafttreten des Lissabon-Vertrages der Europäischen Union am 1.Dezember 2009 ging die Kompetenz zur Aushandlung von BITs von den einzelnen Mitgliedstaaten zur EU-Kommission über9. Eine Aufnahme von Pflichten für Investoren in die bestehenden oder neuen Abkommen, wie etwa die Einhaltung internationaler Arbeitsnormen oder Richtlinien der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) ist nicht vorgesehen. Die deutsche Regierung und deutsche Wirtschaftsverbände fordern, dass bei der Vereinheitlichung der bisherigen BITs unter dem Dach der EU-Kommission das investorenfreundliche deutsche Muster-BIT als Vorlage dient10.

Landreformen sind notwendig

Landreformen sind zwar kein Zaubermittel, aber in den Ländern mit höchst ungleicher Bodenverteilung die conditio sine qua non, um den kleinbäuerlichen Sektor zu stärken und mehr Menschen ein Auskommen und Nahrung zu ermöglichen. Die reine Verteilung von Land reicht dabei keineswegs aus. Damit eine Landreform erfolgreich verläuft, sind weitere Anstrengungen seitens der Regierung wie Infrastrukturmaßnahmen, Kredite und Unterstützungszahlungen für die Bäuerinnen und Bauern nötig. Bilaterale Investitionsschutzabkommen spielen eine wichtige Rolle in der Absicherung von Landinvestitionen und der Verhinderung möglicher Landreformen. Allein durch die Tatsache, das BITs in der Regel die Höhe der bei Enteignungen zu zahlenden „angemessenen“ Entschädigungen deutlich über das Niveau hebt, dass nach jeweiligem Landesrecht beziehungsweise finanziellen Möglichkeiten einer Regierung möglich wäre, behindern sie massiv die Durchführung von Landreformen. Denn das dafür nötige Geld fehlt im Zweifelsfall an anderer Stelle, zum Beispiel um den Agrarsektor finanziell zu unterstützen. Unternehmen haben stets die Möglichkeit, mit dem Gang vor ein internationales Schiedsgericht zu drohen, schon wenn sie die Höhe der Entschädigung für nicht angemessen halten.

Das Beispiel aus Paraguay zeigt auch, dass die BITs leicht als vorgeschobenes Argument gegen eine Enteignung ins Feld geführt werden und zugunsten von Landbesitzern instrumentalisiert werden können. Ebenso wie sich in diesem Fall alteingesessene Großgrundbesitzer auf den bilateralen Investitionsschutz berufen, ist damit zu rechnen, dass die im Zuge des Land Grabbings erscheinenden neuen Akteure bei Bedarf dasselbe tun werden. Da der in BITs festgeschriebene Investorenschutz meist selbst bei Aufkündigung noch mehrere Jahre oder sogar Jahrzehnte lang gültig bleibt, werden die Durchführung von demokratisch legitimierten Landreformen stark erschwert und demokratische Gestaltungsmöglichkeiten zugunsten von Investorenrechten für lange Zeit eingeschränkt.

Zukünftig von der EU-Kommission ausgehandelte BITs müssen dem öffentlichen Interesse einen größeren Gestaltungsspielraum gewährleisten. Um soziale, Umwelt- und Arbeitsrechte zu stärken bedarf es dazu breiter gesellschaftlicher Debatten. Die Klagemöglichkeiten privater Konzerne müssen reformiert werden, so dass sich ärmere Staaten oder von Land Grabbing betroffene Bevölkerungsgruppen effektiv gegen die Interessen von Investoren zur Wehr setzen können11.

Die Bundesregierung scheint sich mit den negativen Folgen des Land Grabbing und einer möglichen Mitverantwortung bei der Absicherung von Landinvestitionen bisher nicht auseinander gesetzt zu haben. Auf eine kleine Anfrage zum Thema Land Grabbing, die von einigen Abgeordneten der Fraktion Die Linke im August dieses Jahres eingebracht wurde, konnte sie kaum Informationen liefern. Über eine Beteiligung deutscher Firmen am Land Grabbing sei der Bundesregierung nichts bekannt, hieß es in der Antwort.

Autor: Tobias Lambert

Quellen:

1Vgl.: Brot für die Welt, eed, FIAN und Misereor: Wie deutscher Landbesitz in Paraguay effektive Hungerbekämpfung verhindert, November 2007, S.2, download unter: http://www.fian.de/online/index.php?option=com_remository&Itemid=160&func=startdown&id=126, aufgerufen am 2.September 2010.

2Ebd. S.9 ff.

3Ebd. S.11 ff.

4Ebd. S.5 ff.

5Ebd., S.4.

6Ebd., S.5

7Vgl.: UNCTAD: Recent Developments in International Investment Agreements (2008-June2009), in: IIA Monitor No.3, 2009, unter: http://unctad.org/en/docs/webdiaeia20098_en.pdf, aufgerufen am 1.September 2010

8Eine Auflistung sämtlicher von Deutschland geschlossener BITs findet sich unter: http://www.bmwi.de/BMWi/Redaktion/PDF/B/bilaterale-investitionsfoerderungs-und-schutzvertraege-IFV,property=pdf,bereich=bmwi,sprache=de,rwb=true.pdf, aufgerufen am 01.September 2010.

9Vgl.: Marc Maes: The Lisbon Treaty and the new EU Investment Competence, in: Seattle to Brussels Network (S2B): EU Investment Agreements in the Lisbon Treaty Era. A Reader, S.12f., unter: http://www.s2bnetwork.org/fileadmin/dateien/downloads/eu_investment_reader.pdf , aufgerufen am 3. Dezember 2010.

10Vgl.: Pia Eberhard: The corporate investment agenda, in S2B, S.14 f. und Ross Eventon: Future forms of EU investment competence. The German modell BIT as a minimum level of protection, in: S2B, S.22 f.

11Vgl.: S2B, S.49 ff.