Die offiziellen Bioökonomie-Strategien – u.a. die der EU und Deutschlands – finden nicht nur bereits seit Jahren ihren Niederschlag in entsprechenden Schwerpunktsetzungen der Forschungslandschaft, sondern beginnen auch verschiedene Politikbereiche signifikant zu beeinflussen und zu steuern. Im Globalen Süden wie im Globalen Norden haben Umweltgruppen und soziale Bewegungen bioökonomische Strategien zum Gegenstand ihrer kritischen Interventionen gemacht. Doch erst seit kurzem taucht das Stichwort Bioökonomie auch in den Diskussionen und Reflexionen entwicklungspolitischer Gruppen hierzulande auf. Die kritische Debatte zu und die Beschäftigung mit der neuen Welle von Bioökonomie-Strategien, die sich im aktuellen Kontext der Klimakrise und, damit verbunden, der ansteigenden Popularität einer „Green Economy“ entwickeln, stecken noch in den Anfängen. So deutlich es auch wird, dass Bioökonomie eine wichtige und problematische Strategie wirtschaftlicher und politischer Akteur*innen darstellt, so unklar ist, welche Handlungsoptionen daraus erfolgen.
Vor diesem Hintergrund will das Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika e.V. (FDCL) mit diesem Thesenpapier die Problembeschreibung und Perspektiven für politische Interventionen aus einer entwicklungspolitischen Perspektive heraus skizzieren und dergestalt zu einer weiteren gemeinsamen, vertiefenden Diskussion über das Handlungsfeld Bioökonomie anregen.
Bioökonomie bezeichnet im weitesten Sinne eine Ökonomie, die auf Biomasse – und eben nicht auf fossilen Rohstoffen – beruht. Tatsächlich gibt es verschiedene Definitionen von Bioökonomie und sie alle leiden darunter, dass das Konzept weit gefasst und nicht deutlich abgrenzbar ist. Die OECD definiert Bioökonomie folgendermaßen: „From a broad economic perspective, the bioeconomy refers to the set of economic activities relating to the invention, development, production and use of biological products and processes.“
Das schließt auch jegliche Form von Landwirtschaft ein, auch die ökologische Landwirtschaft. Aber es sind nicht diese weitgefassten Definitionen, die die Aktualität und die steile Karriere des Konzepts in den letzten Jahren begründen. Die OECD definiert drei Hauptelemente für die Zukunft der Bioökonomie: „advanced knowledge of genes and complex cell processes, renewable biomass, and the integration of biotechnology applications across sectors.“
Seine Bedeutung gewinnt das Konzept aus dem politischen und ökonomischen Kontext, in dem es entwickelt wird.
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Inhalt
Einleitung: Biomasse für die Green Economy: Thesen zum Handlungsfeld: Bioökonomie im entwicklungspolitischen Kontext
I. Der politisch-ökonomische Kontext
1. Bioökonomie ist ein Programm für die Überwindung des fossilen Zeitalters
2. Bioökonomie als zentraler Baustein globaler Klimapolitik
3. Bioökonomie als Teil einer grünen Wachstumsstrategie
4. Technologische Innovation als Schlüssel für die Zukunft
5. Bioökonomie für die Wettbewerbsfähigkeit
6. Auf die Größe komm es an oder: Big is Beautiful
7. Primat der Ökonomie
II. Bioökonomie als Narrative und Paradigma
1. Neudefinition von Natur
2. „Die Welt schreitet vorwärts, die Zukunft ist glänzend“
III. Zentrale Baustellen
1. Agrartreibstoffe reloaded
2. Synthetische Biologie – Neuerfindung von Natur
3. Bioökonomie als Antwort auf den Hunger
IV. Blinde Flecken
1. Gerechtigkeit
2. Macht, Struktur und Herrschaft
3. Biodiversität
4. Indigene Völker und lokale Gemeinschaften
V. Entwicklungspolitische Bedeutung der Auseinandersetzung mit Bioökonomie
1. Der globale Süden als Biomasse-Gigant
2. Verstärkung der Reprimarisierung der Wirtschaft
3. Expansion eines auf Gentechnologie und hohen Inputs beruhenden Agrarmodells
in neuem „grünen Gewande“
4. Bioökonomie fördert Konzentration und Monopolbildungen
VI. Einige vorläufige Schlussfolgerungen
1. Bioökonomie interessiert sich für Produktion und Effizienz, nicht aber für Rechte
2. Bioökonomie ist keine abgehobene Forschungsagenda, sondern eine Neuausrichtung
gesellschaftlicher Naturverhältnisse mit praktischen Konsequenzen
Impressum
Herausgeber: Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika e. V. – FDCL
Gneisenaustraße 2a, D -10961 Berlin, Germany
Fon: +49 30 693 40 29 / Fax: +49 30 692 65 90
eMail: info@fdcl.org / Internet: http://www.fdcl.org
Autor: Thomas Fatheuer
Titelbild: Kurt Damm. Transport von geschnittenem Zuckerrohr, Nordostbrasilien
Layout und Grafik: Christian Russau
FDCL Verlag, Berlin, November 2015
Zur Kampagne „Hands on the Land for Food Sovereignty“
Herausgeber
Förderer
Mit freundlicher Unterstützung der LEZ Berlin, gefördert von Engagement Global im Auftrag des BMZ und mit finanzieller Unterstützung der Europäischen Union.
Für den Inhalt dieser Publikation ist allein das FDCL e.V. verantwortlich; die hier dargestellten Positionen geben nicht den Standpunkt des/der Zuwendungsgeber
wieder.