Studien

Sojarepublik Paraguay ?

Konflikte um Land und Ernährungssouveränität

Paraguay zählt zu den in Lateinamerika am meisten von der Landwirtschaft geprägten Ländern: Fast 40 Prozent der Bevölkerung arbeitet in der Landwirtschaft, die mit 24,9 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt beiträgt. Dabei weist Paraguay mit etwa 80 Prozent der landwirtschaftlich nutzbaren Flächen im Besitz von nur 2 Prozent der Bevölkerung eine der höchsten Landkonzentrationen auf. Kleinbauern und Frauen sind die Hauptleidtragenden dieser Besitzkonzentration: Erhebungen zufolge beträgt der prozentuale Anteil von Land im Besitz von Frauen, bezogen auf die nominal gezählten Landtitel, gerade einmal zehn Prozent, ein Ausdruck der bestehenden patriarchalischen Strukturen in der Titelvergabe für Land. Paraguay liegt mit einem Wert von 0,757 an 91. Stelle des Human Development Index 2006 (HDI 2006) sowie mit einem HPI-1-Rank von 8,3 Prozent an 14. Stelle des Human Poverty Index for developing countries 2006 (HPI-1 ranks for 102 developing countries and areas). Die Armutsquote auf dem Land liegt bei 35 Prozent, die aber als Folge der massiven Landflucht seit 1997 von der Armut in städtischen Zonen übertroffen wird.

Die Sojabohne ist mit Abstand nicht nur das wichtigste Exportprodukt des Landes, sondern mit 38 Prozent der gesamten landwirtschaftlichen Produktion auch der zentrale Pfeiler der paraguayischen Wirtschaft. Paraguays hauptsächliche Sojaanbaugebiete liegen im Osten und Süden des Landes, sind somit direkt Teil des 50 Millionen Hektar umfassenden sogenannten „Sojagürtels Südamerikas“, der des weiteren den Süden Brasiliens, Nord-Argentinien sowie das östliche Bolivien umfaßt. Rund 90 Prozent der in Paraguay angebauten Soja besteht aus der gentechnisch veränderten Monsanto-Sorte Roundup Ready.

Das Land war gegen Ende des Sojazyklus‘ 2006/2007 mit ca. 6 Millionen Tonnen der weltweit sechstgrößte Produzent von Soja. Im Jahre 2007 wurde Paraguay mit annähernd 4,6 Millionen Tonnen exportierter Soja zum viertgrößter Exporteur von Soja, wobei sich durch den Export verarbeiteter Produkte der Exportanteil auf bis zu 80 Prozent des gesamten produzierten Sojas steigerte. Die Regierung Paraguays setzte bislang vor allem auf den Export der Soja, so im Nationalen Plan für landwirtschaftliche und ländliche Entwicklung (2004 bis 2008), der die oberste Priorität auf die Steigerung der Agrarexporte, vor allem Soja, setzt.

Das immense Interesse vor allem auch ausländischer Investoren an Land für Sojaanbau in Paraguay ist auch den dort vorteilhaften Böden zuzuschreiben: Der durchschnittliche Hektarertrag lag, vor allem im Osten und Süden des Landes, je nach Saison zwischen 1.700 kg/ha (2006) bis 2.600 kg/ha (2001), ca. 5-10 Prozent über den vergleichbaren durchschnittlichen Erträgen im benachbarten Argentinien. All diese Umstände sowie die bisherige Regierungspolitik, die mit aller Entschlossenheit darauf ausgerichtet war, massive Deviseneinahmen über den Export der Bohne zu generieren und dabei „Kolateralschäden“ wissentlich zu billigen bis politisch gewollt in Kauf zu nehmen, lassen Paraguay nicht zuletzt in den Augen ausländischer Investoren in ihrem Run auf Land wie ein „Paradies“ erscheinen.

Im Sojazyklus 2006/2007 wurde auf fast 2,5 Millionen Hektar Soja angebaut. Im Anbauzyklus 2007/2008 wurden auf annähernd 2,7 Millionen Hektar Soja angebaut. Davon sind 80% in ausländischer Hand, meistens deutschstämmiger Brasilianer, den so genannten brasiguayos. Diese wurden seit Mitte der 1970er Jahre zuerst im Departamento Alto Paraná von der Diktatur Stroessner angesiedelt, auch um die nach dem blutig niedergeschlagenem Aufstand der Bauernguerillas systematisch von der Diktatur vertriebene Landbevölkerung zu ersetzen.

Steigende Nachfrage nach Soja: Ausweitung des Anbaus und Infrastrukturausbau

Die weltweite Nachfrage nach Soja als Tierfutter und für Agrokraftstoffe treibt die Preise für Soja weiter nach oben. Soja-Unternehmen wandelten alleine im Jahr 2007 deshalb weitere 400.000 Hektar Land in Plantagen um. Die Soja-Lobby erwartet in den nächsten Jahren eine Ausdehnung der Sojanbaufläche auf 4 Millionen Hektar. Schätzungen des größten Sojaproduzenten des Landes, Colonias Unidas, zufolge, würden sich bis zu 7 Millionen Hektar landwirtschaftliche Flächen in Paraguay „problemlos“ für den Sojaanbau eignen.

Hinzu kommt, dass wegen des Sojabooms nicht nur die Sojafarmer und die Regierung Paraguays, sondern auch die benachbarten Staaten, allen voran Brasilien, den massiven Ausbau der Infrastruktur für den Transport der Ressourcen der „Wunderbohne“ vehement fordern und mittlerweile planen: Regelrechte Exportkorridore sollen trotz erheblicher ökologischer und sozialer Bedenken und Warnungen seitens der Zivilgesellschaft und sozialen Bewegungen eingerichtet werden durch den Ausbau von Straße und Schiene und vor allem der Wasserstraßen („Eje Rio Paraguay- Rio Paraná“ und „Eje Capricornio“ im Rahmen der interregionalen Infrastrukturinitiative Südamerikas IIRSA). Hinzu kommen Großprojekte wie der Ausbau der Inlandshäfen – wie der von Cargill in Asuncíon – und der Übersee-Exporthäfen im Süden Brasiliens bis hin zu dem von Ethanolfarmern erwünschten Anschluß an eine der geplanten neuen brasilianischen Ethanol-Pipelines, Maringá – Paranaguá, die dann im Rahmen der so genannten „Ethanol-Allianz“ mit Brasilien die ebenfalls rasant wachsenden Zuckerrohranbaugebiete im Osten Paraguays mit den südbrasilianischen Exporthäfen – und damit nicht zuletzt auch mit den Märkten europäischer Benzinschlucker verbinden soll. – Es steht zu befürchten, dass kleinbäuerliche Landwirtschaft diesen massiven Ausbauplänen entgegensteht.

A n die Wahl von Fernando Lugo zum neuen Präsidenten Paraguays knüpfen sich nun auch viele Hoffnungen der sozialen Bewegungen, dass dem Voranschreiten der Sojafront Einhalt geboten wird – und die kleinbäuerliche Landwirtschaft in ihrem Kampf um Ernährungssouveränität und gegen die Ausweitung der Sojafront, gegen Landvertreibung und Pestizidbesprühungen Unterstützung finde.

Das Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika – FDCL dokumentiert in dieser Studie des Autors Reto Sonderegger die seit Jahren massiv voranschreitende Sojafront in Paraguay und die sich mit dem Ausweiten der Sojamonokulturen ergeben- den Konflikte um Land und Ernährungssouveränität.

Der Autor, Reto Sonderegger, lebt seit einer Reihe von Jahren in Paraguay, arbeitet dort mit sozialen Bewegungen und lokalen Bauernorganisationen zusammen und kennt die vielfältigen Probleme der Kleinbauern aus nächster Nähe. Eindrucksvoll schildert Sonderegger die Konflikte im ländlichen Raum Paraguays und weist mit Nachdruck darauf hin, dass angesichts der dreifachen globalen Krise – Nahrungsmittel-, Energie- und Klimakrise – ein Paradigmenwechsel in der Landwirtschaft und der Restgesellschaft unumgänglich ist: in Paraguay wie überall auf der Welt.

Christian Russau

Inhalt

Vorworte des Herausgebers

„Sojarepublik“ Paraguay? Steigende Nachfrage nach Soja: Ausweitung des Anbaus und Infrastrukturausbau

Vorwort des Autors

I. Historische Heranführung

II. Die Ausdehnung des Sojaanbaus

III. Der kleinbäuerliche Lebensraum

IV. Das Auseinanderfallen der Gemeinden wegen des Eindringens der Soja

Arbeit außerhalb des kleinbäuerlichen Betriebes

Verpachten des Landes

Verkauf des Landes

V. Das Verschwinden von Gemeinden und die Zerstörung der Landschaft

Ein Wirtschaftsmodell, welches die Campesinos vertreibt

VI. Gesundheitsprobleme für Mensch und Umwelt

1. Fallbeispiel: Umweltgesundheitsdiagnose in Lote 8

2. Fallbeispiel: Der Todesfall von Silvino Talavera

VII. Soja bedeutet Gewalt gegen Bauerngemeinden

3. Fallbeispiel: Tekojoja, die Grenze zu „Sojalandia“?

Aktuelle Lage

VIII.Die Vertreibung

Lebensbedingungen und Schwierigkeiten der Vertriebenen

IX. Schlussfolgerung: Verletzung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte als Hauptfaktor der Landflucht

X. Ausblick

Endnoten

Impressum

Sojarepublik Paraguay ?
Konflikte um Land und Ernährungssouveränität
von Reto Sonderegger
© FDCL, Berlin, November 2008
1. Auflage
Herausgegeben von: Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika – FDCL e.V.
Gneisenaustraße 2a
D-10961 Berlin
Fon: +49-(0)30-693 40 29
Fax: +49-(0)30-692 65 90
Autor: Reto Sonderegger
Verlag: FDCL-Verlag, Berlin
Layout: Mathias Hohmann
Druck: agit Druck, Berlin
ISBN-10: 3-923020-42-2
ISBN-13: 978-3-923020-42-3

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Förderer

This publication was made possible through the financial support of the European Community. The opinions expressed therein represent the opinion of the author and do not represent the official opinion of the European Community.

This publication  was elaborated within the framework of the cooperation-project „Handel-Entwicklung-Menschenrechte“ of the Heinrich Böll Foundation (hbs), the Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika (FDCL), and the Transnational Institute (TNI). More information at:

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