Der Norden definiert „Nachhaltigkeit“
„Nachhaltigkeitszertifikate“ für Agrotreibstoffe sollen dem Anspruch nach a) zu einem umwelt- und sozialverträglichen Anbau der energetisch verwendeten Biomasse, b) zu einer Mindesteinsparung der Klimagas-Emissionen im Vergleich zu fossilen Kraftstoffen sowie c) mitunter auch zur Ernährungssicherheit beitragen.
Das aus internationalistischer Perspektive auffälligste Faktum aber ist: Die Zertifizierungssysteme werden im Norden entwickelt, von diversen privaten Initiativen und von Regierungen, so etwa in Großbritannien, in den Niederlanden, in Deutschland und auf der Ebene der Europäischen Union. In einzelnen Ländern wie der Schweiz und Schweden sind Agrosprit-Zertifizierungen bereits eingeführt worden.
Interessengruppen in Industriestaaten, vor allem Unternehmen und Regierungen, reklamieren damit die Definitionshoheit über das, was eine „nachhaltige“ Produktionsweise auszeichnen soll. Sie beauftragen Forschungseinrichtungen mit der Entwicklung von Methoden zur Nachhaltigkeitsbewertung von Agrotreibstoffen, die bei Biomasse-Importen zugrunde gelegt und zugleich als Referenz für internationale Standards dienen sollen.
Damit bestimmt der Norden nicht nur über die „Nachhaltigkeit“, sondern auch über die „Handelbarkeit“ von Agrar- und Forstprodukten, die er als größter Energieverbraucher und Klimasünder der Welt energetisch nutzen will. Unverblümt beansprucht etwa der deutsche Umweltminister Sigmar Gabriel, der Richter über die Nachhaltigkeit der brasilianischen Ethanolproduktion zu sein. Man müsse den Brasilianern „die Chance geben, uns durch Zertifikate zu beweisen, dass es machbar ist,“ meinte Gabriel bei seinem Brasilienbesuch im April dieses Jahres.“2 Es darf nicht verwundern, wenn diese gönnerhafte Attitüde in der brasilianischen Zivilgesellschaft auf wenig Gegenliebe stößt.