In den vergangenen 150 Jahren wurde das geistige Eigentum häufigen und weit reichenden Veränderungen unterzogen. Stets ging es darum, die Inhaberrechte zu stärken und zu erweitern; ihre Pflichten wurden dabei fast auf Null reduziert. Zu keinem Zeitpunkt wurde ein erfolgreicher Versuch unternommen, die Waagschalen zugunsten der Entwicklungsländer und ihrer Konsumenten ins Gleichgewicht zu bringen. (1982, nach fünf Verhandlungsjahren, scheiterte in Nairobi der Reformversuch, der eine differenzierte Behandlung der Entwicklungsländer in der PVÜ vorsah.) Nach einer Phase, in der die lokale Ausübung als Grundvoraussetzung für die Vergabe oder Gültigkeit von Patenten galt (wovon das Vereinigte Königreich, die Schweiz, Frankreich und die USA profitierten), wird dies zum gegenwärtigen Zeitpunkt als illegal bezeichnet: so geschehen, als die USA vor der WTO gegen Brasilien klagten, weil das Land entsprechende gesetzliche Bestimmungen hatte.

Nach einer Phase, wo der Verfall ein normales Instrument war, das ausreichte um die lokale Ausübung zu sichern, stehen wir vor einer Situation, wo die Zwangslizenz den Verfall verdrängt und in leere Worthülsen verwandelt hat, zum Wohle der Patentinhaber. Nach einer Phase, in der man uns die Zwangslizenz als ein Zwangsmittel gegen den Missbrauch von Inhabern präsentierte, haben wir jetzt eine infolge der grundlegenden Änderungen nicht ausschließliche, vergütbare Zwangslizenz. Nach einer Phase, in der jeder Staat eigene Gesetze über Geistiges Eigentum als wirtschaftspolitisches Instrumentarium erlassen und gezielt Monopole (einschließlich der jeweiligen Geltungsdauer und Bedingungen) für einzelne Sektoren ausweisen konnte, haben wir ein internationales Abkommen, in dem alle Wirtschaftsbereiche durch Patente geschützt werden müssen – das den Inhabern auf hohem Niveau standardisierte Rechte zuweist, ohne ihnen Bedingungen aufzuerlegen.

Schlimmer noch: die durchgeführten Veränderungen treffen die Entwicklungsländer am härtesten. Die Pflichtstandardisierung auf hohem Niveau berücksichtigte nicht das geringere Einkommen dieser Länder; dass in vielen dieser Länder neue Erfindungen keinen vergleichbaren Ersatz haben, was den Monopoleffekt verstärkt;. dass ihre Industrien und Forschungszentren nicht mit den Industrieländern vergleichbar sind, was den Abstand täglich vergrößert. Und dass ein Patentsystem ohne erforderliche lokale Ausübung dort eine Reservierung des Marktes zugunsten der Rechteinhaber bewirkt. Hinzu kommt, dass einige dieser Erfindungen Medikamente und Nahrungsmittel betreffen, die sich direkt auf das menschliche Leben und die Menschenwürde auswirken.

Der Text des TRIPS-Abkommens enthält Ziele, die die perversen Auswirkungen des Patentsystems auf die Entwicklungsländer eingegrenzt hätten, wenn sie beachtet worden wären. Als wichtigstes Ziel nennt Art. 7 neben der technologischen Innovation den Transfer und die Verbreitung von Technologie als Beitrag zum sozialen und wirtschaftlichen Wohlstand und zum Gleichgewicht zwischen Rechten und Pflichten. Doch dieses Ziel geht in den folgenden Bestimmungen – den Normen des Abkommens – unter.

Es steht fest, dass das Patentsystems nicht im Interesse der Entwicklungsländer ist, wenn die Erfordernis der lokalen Ausübung ausgeschlossen wird. Es steht fest, dass das System – ohne Flexibilität – den Entwicklungsländern schadet. Es ist unvernünftig, zwanzigjährige Monopole ohne jedwelche Gegenleistung zu erteilen, um des bloßen Prinzips der Erfindervergütung willen und um der Förderung von erfinderischer Tätigkeit zu dienen. Es spricht gegen alle Vernunft, Erzeugnissen, die nur als Importe ins Land gelangen, und keinerlei spezifischen Vorteil aufweisen, eine Marktreservierung einzuräumen. Daher fand Brasiliens Auftritt bei den Verhandlungen über Geistiges Eigentum so große Beachtung – und auch so breite Unterstützung. Die Einbeziehung der Entwicklungsdimension in die praktische Anwendung der Abkommen über Geistiges Eigentum zu fordern, bedeutet, das internationale System zum Schutz des Geistiges Eigentums mit am Leben zu halten. Bemühungen um die Umsetzung des Ziels Technologietransfer und Technologieverbreitung zu fordern, trägt dazu bei, dass TRIPS akzeptabel wird und die Entwicklungsländer weniger belastet werden. Die Auffassung, dass ein Staat, der ein Patent erteilt, die lokale Ausübung fordern darf, darf nicht als Entgleisung gelten. Paul Roubier lehrte in der Mitte des vorigen Jahrhunderts (Le droit de la Propriété Industrielle – 1952) dass „wenn der Staat akzeptiert, dem Erfinder ein Ausübungsmonopol einzuräumen, dann unter der Bedingung, dass dieses tatsächlich stattfindet“).

Die kommenden Jahre werden erweisen, ob TRIPS, ein so ungerechtes Abkommen auf einem so sensiblen und für die Entwicklungsländer so wichtigem Sektor wie dem der technologischen Innovationen, lange Bestand haben kann. Die Erfolgsgeschichte der Pariser Verbandsübereinkunft mit ihrer flexiblen Haltung gegenüber den Gesetzen der Mitgliedsstaaten veranlasst uns zur Annahme, dass TRIPS flexibler gestaltet werden muss. Zumindest in Bezug auf die Entwicklungsländer – damit alle von neuen Erfindungen profitieren können.

Inhalt

Inhalt
1. FREIHANDEL versus MONOPOLE

1.1. Die Pariser Verbandsübereinkunft und die eigenständige Gesetzgebung der Mitgliedsstaaten
1.2. Pflicht zur Offenlegung und zur lokalen Ausübung im Ursprung
1.3. Starke und schwache staatliche Kontrollinstrumente: Verfall bzw. Zwangslizenz
1.4. Das TRIPS-Abkommen: Starre Monopole in den Zeiten des Freihandels
1.5. Abschaffung des Verfalls und Einführung der schwachen Zwangslizenz

2. KONSEQUENZEN VON TRIPS FÜR ENTWICKLUNGSLÄNDER

2.1 Patente als Reservierung von Märkten zugunsten der Inhaber
2.2 Preise für nicht substituierbare Produkte
2.3 Ablehnung des Patentsystems im Zusammenhang mit der AIDS-Problematik

3. DIE POSITION BRASILIENS

3.1 Das Recht des Staates auf lokale Ausübung
3.2 TRIPS PLUS verhindern-Aktiv in der WTO für TRIPS-Modifizierung
3.3 Brasiliens WIPO-Initiative

4. SCHLUSSFOLGERUNGEN

Impressum

Diese Studie wurde mit finanzieller Unterstützung der Europäischen Gemeinschaft ermöglicht. Die darin vertretenen Standpunkte geben die Meinung des Autors wieder und stellen somit in keiner Weise die Meinung der Europäischen Gemeinschaft dar.

Zu weiteren Informationen zum Themenfeld Immaterialgüterrecht, Patente und Geistiges Eigentum beachten Sie auch unseren umfassenden Text-Reader zum Thema  „PATENTED NEW WORLD? – Geistiges Eigentum versus Entwicklung und Menschenrechte im Nord-Süd-Konflikt“, der anläßlich unserer gleichnamigen Konferenz in Berlin im Juni 2005 veröffentlicht wurde und über unser Archiv zu erwerben ist.

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