Berlin, 21.06.2022 | Rund 6.000 indigene Völker existieren weltweit und ihre verbrieften Rechte werden vielerorts verletzt. Zum Schutz der Rechte der indigenen Völker besteht nur ein einziges völkerrechtlich verbindliches internationales Abkommen: die Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO). In Brasilien droht der rechtsextreme Präsident Jair Bolsonaro mit dem Austritt seines Landes aus der ILO-Konvention 169 und schwächt somit die Bedeutung des Instruments. In Deutschland hingegen tritt die Ratifizierung am 23. Juni 2022 in Kraft, ein Jahr nach der Hinterlegung der Ratifizierungsurkunde bei der ILO. Mit dem Beitritt sendet Deutschland ein wichtiges Signal. Doch dem Beitritt mit großem Symbolgehalt müssen nun auch konkrete Taten folgen.
Der Koordinationskreis ILO 169 appelliert an die Deutsche Bundesregierung, noch in dieser Legislaturperiode eine ressortübergreifende Strategie zum Schutz der Rechte indigener Völker zu erarbeiten und konsequent umzusetzen. Eine solche Strategie muss alle betroffenen Ministerien einbinden. „Alle deutschen Projekte und Investitionen müssen den Schutz der Biodiversität und der Rechte der indigenen Völker grundlegend garantieren. Wir sind Inhaber von Rechten, keine Objekte politischer Narrative”, sagt Harol Rincón Ipuchima vom Dachverband der Indigenen Völker Amazoniens.
Global erleben wir eine beispiellose Eskalation geopolitischer, menschenrechtlicher sowie umwelt- und klimabedingter Konflikte und Krisen. Es tritt offen zutage, dass ein friedliches Miteinander direkt mit unserem Umgang mit natürlichen Ressourcen in Verbindung steht. „Vor diesem Hintergrund sind die Territorien indigener Völker und ihr traditionelles Wissen mehr denn je von herausragender Bedeutung für den Erhalt der biologischen und kulturellen Vielfalt und für das zukünftige Leben der Menschheit weltweit“, sagt Vicky Tauli-Corpuz von Tebtebba (Indigenous Peoples’ International Centre for Policy Research and Education, Philippinen).
Indigene Menschenrechts- und Umweltverteidiger:innen stehen im Zentrum der zunehmenden Konflikte um die weltweite Ausbeutung von Rohstoffen. Obwohl indigene Gemeinschaften nur 5 Prozent der Weltbevölkerung ausmachen, trafen laut der NGO Global Witness zwischen 2015 und 2019 mehr als ein Drittel aller tödlichen Angriffe auf Umwelt- und Menschenrechtsverteidiger:innen Angehörige indigener Völker. Das Inkrafttreten der ILO-Konvention 169 erfolgt zu einem Zeitpunkt, an dem die deutsche und die kolumbianische Regierung über eine Erhöhung von kolumbianischen Kohleimporten nach Deutschland verhandeln. Die zunehmende Kohleförderung stellt eine große Bedrohung für die indigenen Gemeinschaften der Wayuú dar, deren Menschenrechte seit Jahrzehnten durch die Mine El Cerrejón verletzt werden.
Die Bundesregierung muss jetzt nach dem Beitritt zur ILO-Konvention 169 ihre Verantwortung wahrnehmen und genau darauf achten, unter welchen Bedingungen importierte Rohstoffe abgebaut werden. Sie muss sich für die konsequente Anwendung der Konvention und zum Schutz der darin zugesicherten Rechte indigener Völker einsetzen. Dazu gehören etwa das Recht auf Erhalt der kulturellen Identität, das Recht auf Beteiligung an staatlichen Entscheidungen sowie das Recht auf Land und Ressourcen. „Es braucht mehr als internationale Solidarität, um indigene Völker und ihre Gemeinschaften weltweit zu unterstützen. Wir erwarten von Deutschland, dass es nach der Ratifizierung der ILO-Konvention 169 die Rechte indigener Völker voll respektiert und seiner Verantwortung nachkommt”, sagt Hindou Oumarou Ibrahim von der Vereinigung indigener Frauen und Völker im Tschad (AFPAT).
Der Koordinationskreis ILO 169 in Deutschland ist ein Zusammenschluss von deutschen zivilgesellschaftlichen Organisationen, Netzwerken und Expert:innen, die sich für die Stärkung der Rechte indigener Völker, der Menschenrechte sowie den Schutz der Regenwälder und den Klimaschutz einsetzen. 2019 gehörten weltweit 476 Millionen Indigene insgesamt 6.000 Völkern an. Sie bewahren 80 Prozent der globalen Biodiversität. 5 Prozent der Menschen weltweit sind Indigene. Gleichzeitig machen sie 15 Prozent der von Armut betroffenen Bevölkerung aus und sind überproportional vulnerabel durch extraktivistische Tätigkeiten internationaler Konzerne. Durch nicht-nachhaltige Entwicklungspolitiken werden ihre Lebensräume zerstört. Ihre vielfältigen Kosmovisionen und ihr Wissen sind Teil des immateriellen Weltkulturerbes.