Der Dachverband Indigener Völker Brasiliens APIB kündigt Verfassungsklage beim Obersten Gerichtshof STF an, sollte Brasiliens Nationalkongress bei der für nächste Woche anstehenden gemeinsamen Sitzung seiner zwei Kammern – Abgeordnetenhaus und Senat – mit der dafür erforderlichen einfachen Mehrheit die von Präsident Lula im Oktober mit Veto belegten Punkte des Gesetzes 14.701/2023 zur sogenannten Stichtagsregelung „Marco Temporal“ seinerseits wieder als gesetzmäßig deklarieren. Der Text der Verfassungsklage von APIB ist bereits fertig und wurde vom Nachrichtenportal „Amazônia Real“ eingesehen und zitiert. Diese Eile ist auch dringend geboten, denn sollte der Kongress nächste Woche mit einfacher Mehrheit die Vetos zum „Marco Temporal“ von Präsident Lula kippen, würden die Punkte binnen 48 Stunden in Kraft treten. Einzige Möglichkeit, die Stichtagsregelung „Marco Temporal“ dann noch aufzuhalten, wäre eine entsprechende Entscheidung des Obersten Gerichtshofes STF über die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes 14.701/2023. Im September hatte der STF den mehrjährigen Entscheidungsfindungsprozess seiner elf Richter:innen in einer Grundsatzentscheidung eigentlich abgeschlossen und die „Marco Temporal“-Regelung als verfassungswidrig erklärt. Daraufhin hatte der Kongress im offensichtlichen Hauruck-Verfahren das Gesetz 14.701/2023 in beiden Kammern verabschiedet und somit seine legislative Macht in Fragen der Stichtagsregelung in direktem Konflikt mit dem STF klarzustellen versucht. Noch ist unklar, wie sich diese Verfassungskrise zwischen den Gewalten der Legislative, Judikative und Exekutive weiter entwickeln wird.

Von Christian Russau

APIB will gegen die Stichtagsregelung klagen. [Symbolbild: APIB-Delegation 2019 auf Delegationsreise in Berlin, Foto: Christian Russau]

APIB will gegen die Stichtagsregelung klagen. [Symbolbild: APIB-Delegation 2019 auf Delegationsreise in Berlin, Foto: Christian Russau]

Der Dachverband der indigenen Völker Brasiliens APIB wird eine direkte Verfassungsklage – eine sogenannte ADIN – beim Obersten Bundesgerichtshof STF einreichen, wenn die Senator:innen und Abgeordneten mit ihrer agrobusinessfreundlichen „ruralista“-Mehrheit die von Präsident Lula beim sogenannten „Marco Temporal“-Gesetz 14.701/2023 mit Veto belegten Punkte wieder in Kraft setzen. Die mächtigste Fraktion in beiden Kammern des brasilianischen Nationalkongresses, die sogenannte Parlamentarische Front der Agrarindustrie FPA droht damit explizit. Das zuvor im Hauruck-Verfahren in beiden Kammern im Kongress verabschiedete Gesetz war im Oktober mit insgesamt 34 Vetos von Lula belegt worden, aber von ihm nicht als ganzes, wie vom Indigenen Dachverband gefordert, abgelehnt worden. Daher ist das Gesetz seit 23. Oktober in Kraft, nun will die agrobusinessfreundliche Mehrheit in beiden Kammern das Gesetz als ganzes, inklusive der vom Präsidenten mit Veto belegten Punkte, durchbringen. Das Gesetz 14.701/2023 regelt die Anerkennung, Abgrenzung, Nutzung und Verwaltung von indigenem Land. Die Anwälte des Dachverbands APIB werden im Rahmen ihrer Verfassungsklage ADIN eine einstweilige Verfügung beim Obersten Gerichtshof beantragen, dessen Richter:innen ja schon im September bereits in einem Grundsatzurteil entschieden hatten, dass die sogenannte Stichtagsregelung „Marco Temporal“ verfassungswidrig ist.

Die Abstimmung im Kongress ist nun für den 14. Dezember vorgesehen, nachdem sie auf zwei zuvor dafür anberaumten Sitzungen (am 7. Dezember und am 23. November) verschoben worden war. Das Gesetz 14.701 geht auf den zuvor PL 2903 genannten Gesetzesentwurf des brasilianischen Abgeordnetenhauses zurück.

Der juristische Koordinator des Indigenendachverbands APIB, Maurício Terena, sagte gegenüber dem Nachrichtenportal Amazônia Real, dass die Organisation bereits davon ausgeht, dass der Kongress Lulas Vetos kippen werde. Sollte dies der Fall sein, werden sie die Klage sofort einreichen, da die dann durch Lula zuvor mit Veto belegten Punkte ansonsten innerhalb von 48 Stunden in Kraft treten würden. Es gilt allgemein als sicher, dass Lulas Vetos im Kongress gekippt werden. Denn die einfache Mehrheit dazu hätten die mehrheitlich agrobusinessfreundlichen Abgeordneten und Senator:innen auf jeden Fall. Die parteiübergreifende Fraktion der sogenannten „ruralistas“ der FPA (Frente Parlamentar da Agropecuária) stellt 300 der 513 Abgeordneten im brasilianischen Abgeordnetenhaus, und in der zweiten Kammer des Nationalkongresses, dem Senat, zählt die FPA nach eigenen Angaben 47 der 81 Senator:innen. Die agrobusinessfreundlichen „ruralistas“ stellen somit derzeit die mächtigste parteiübergreifende Fraktion im Nationalkongress dar. Etliche Senator:innen hatten bereits in den Debatten der vergangenen Monate um die zuvor PL 2.903 genannte Gesetzesinitiative zum gleichen Thema erklärt, dass sie diese mit ihrer Mehrheit in den zwei Kammern verabschieden würden und dass sie – und nicht der Oberste Gerichtshof STF – die Herrschaft über die Legislative ausüben würden. Am Mittwoch, dem 6. Dezember, veröffentlichte diese parlamentarische Agrobusiness-Fraktion eine Erklärung, so zitiert Amazônia Real, in der es heißt, dass die Gruppe „bereit ist, die Vetos gegen die Stichtagsregelung in der Sitzung des Kongresses zu kippen, wann immer es eine solche gibt“. Der Fraktion zufolge ist „die Reform der Rechtsprechung unter Umgehung der Entscheidungen der Legislative eine tiefe Missachtung der Bundesverfassung und nährt Spaltungen, die unserer Nation nur schaden“. Auf ihrer Nachrichten-Webseite gibt die FPA sich selbst sehr selbstgewiß und kündigt ihren Erfolg, die Vetos von Präsident Lula in Kürze zu kippen, bereits an.

Dagegen will der Dachverband der Indigenen Völker APIB Widerstand leisten. „Dieses Gesetz verstößt gegen mehrere Grundrechte der indigenen Völker“, sagte Maurício Terena gegenüber Amazônia Real. Das Gesetz, das er als „Genozid-Gesetz“ beschreibt, beabsichtige, „die Stichtagsregelung durch die Legislative einzuführen, obwohl der Oberste Gerichtshof ihn bereits im Urteil der außerordentlichen Berufung für verfassungswidrig erklärt hat. Aber neben der Stichtagsregelung gibt es noch andere Punkte, die für die indigenen Völker äußerst schädlich sind“, so Terena.

Der Indigenendachverband APIB hat eine Liste erstellt der Punkte des Gesetzes, das zuvor unter der Nummer 2.903/2023 im Abgeordnetenhaus lief und im Senat unter der Nummer 14.701/2023, die Präsident Lula mit Veto belegt hatte und welche Punkte des Gesetzes er akzeptiert hatte. Hier die Zusammenfassung auf Englisch (Das portugiesischsprachige Original findet sich hier)

Which aspects of Bill 2.903/2023 were vetoed by Lula?
– Time Frame: the thesis that Indigenous Peoples need to prove their presence on their ancestral lands on the date of the promulgation of the Federal Constitution on October 5, 1988, to be entitled to recognition and demarcation as Indigenous Land, was overturned. The Time Frame thesis had already been declared unconstitutional by the Supreme Federal Court (STF) on September 27, 2023.
– Compensation for invaders and illegal occupants of recognized Indigenous territories.
– Annulment of the demarcation of an Indigenous Land and expropriation due to the “alteration of cultural characteristics” of the Indigenous community.
– Installation of equipment and communication networks, as well as the construction of infrastructure in Indigenous Lands, such as roads and transportation routes.
– Cultivation of genetically modified organisms in Indigenous Lands.
– Forced contact with Indigenous peoples in voluntary isolation.
– Permission to establish military bases, units, military posts, or military interventions in Indigenous Lands.
– Exploitation of resources for energy generation, energy projects in general, and extraction of natural resources without prior, free, and informed consultation of affected communities or the competent federal Indigenous agency.

Which measures were not vetoed and are threatening Indigenous Peoples and the fight against the climate crisis?
PL 2903 has already come into effect as Law 14,701/2023 with the provisions that were not vetoed by President Lula. Among them, there are still various threats to Indigenous Peoples, biodiversity, and the guarantee of climate balance provided by Indigenous Lands. Among the non-vetoed points, two are critical as they open the door to violations of Indigenous rights:
– Article 20 states that exclusive use of Indigenous Land does not override the interest of defense and national sovereignty policy.
– Article 26 deals with cooperation between Indigenous and non-Indigenous people for the exploitation of economic activities, which can increase pressure from third parties to relax the rights of Indigenous Peoples to exclusive enjoyment of their lands.

We assert that Article 20 is dangerous, as it could similarly provide a loophole to mitigate exclusive use, based on the generic concept of “defense policy interest,” justifying military interventions in the territories. It is also relevant to consider that there are already 96,000 hectares of overlapping areas with Indigenous lands illegally, and this supposed cooperation between Indigenous and non-Indigenous people will not be peaceful or free from high costs to the autonomy and preservation of Indigenous ways of life. Furthermore, we reinforce that Indigenous Peoples are protected by Article 231, §6o, of the Constitution, which stipulates that the relevant interest of the Union should be determined by a Complementary Law, not an Ordinary Law, as is the case with Law 14,701/2023.
Quelle: https://apiboficial.org/2023/10/26/the-stuggle-continues-lulas-partial-veto-does-not-represent-a-victory/?lang=en

In der für voraussichtlich in der nächsten Woche einzureichenden Klageschrift bezeichnen die Anwält:innen von APIB das Gesetz 14.701 als „offensichtlichen parlamentarischen Revanchismus“. „Das fragliche Gesetz wurde, obwohl es ursprünglich 2007 vorgeschlagen wurde, im Eiltempo durch beide Parlamentskammern geschleust, mit dem Ziel, die Stichtagsregelung in das brasilianische Rechtssystem einzufügen, die bereits vom STF für verfassungswidrig erklärt worden war“, heißt es in einem Auszug aus dem ADIN, aus dem Amazônia Real in ihrem Bericht zitiert.

Maurício Terena, einer der Kläger in der geplanten Eilverfassungsklage, betonte, dass „die Rechte der Indigenen nicht durch ein gewöhnliches Gesetz geändert werden können, wie es der Nationalkongress tut“. Zu den besorgniserregendsten Entscheidungen zählte der Anwalt u.a. die Lockerung der Politik des Kontakts zu in freiwilliger Isolation lebenden indigenen Völkern, die Genehmigung zum Anbau transgener Pflanzen auf indigenem Land und die wirtschaftliche Öffnung von indigenen Gebieten.

Grundsätzlich verstießen diese Punkte „gegen das Recht auf eine freie, vorherige und informierte Konsultation der indigenen Völker, indem die Verfassung durch ein einfaches Gesetz geändert wird, obwohl es richtig wäre, eine Verfassungsänderung vorzunehmen. Es gibt mehrere Bedenken, die sich darin widerspiegeln, nahe am Völkermord, denn dies wird sich direkt auf das Leben anderer indigener Völker in verschiedenen Bereichen auswirken“, sagte Maurício Terena gegenüber Amazônia Real. Die Anwälte von APIB warnen auch davor, dass der Text des Gesetzes 14.701/2023 „einseitig von Parlamentariern der Agrobusiness-Fraktion verfasst wurde und die indigenen Völker zu keinem Zeitpunkt das Recht hatten, sich im Vorfeld zu den Maßnahmen zu äußern, die ihre verfassungsmäßig garantierten Rechte betreffen“.

Die geplante Verfassungsklage ADIN setzt einen Kontrapunkt zur Verabschiedung des Gesetzes, das nach Ansicht des Indigenendachverbands APIB einen Rückschritt in Bezug auf die Rechte der indigenen Völker darstellt. Für Maurício Terena gibt es ein politisches Moment, auf das man aufmerksam machen muss. „Wir betreten ein etwas nebulöses Gebiet. Der Kongress versucht, eine Agenda der Exekutive zu untergraben, nämlich den Schutz der indigenen Völker. Wir […] sind sehr besorgt darüber, weil es ein politisches Signal ist“, erklärte er gegenüber Amazônia Real.

Das Gesetz 14.701 wurde nach der Verabschiedung noch als Kei 2.903 in der Abgeordnetenkammer zunächst in der Landwirtschaftskommission CRA des Senats erörtert und durchlief einen Prozess, der mit der Verabschiedung dann im Plenum des Senats auffällug schnell endete. Der Gesetzentwurf befasst sich nicht nur mit der heftig umkämpften Stichtagsregelung, sondern ermöglicht auch den Bau von Infrastrukturen in indigenen Gebieten ohne vorherige Konsultation der betroffenen Gemeinschaften sowie die Möglichkeit, Produktionsverträge zwischen Landwirten wie dem Agrobusiness und indigenen Völkern abzuschließen, was laut Kritiker:innen der fortschreitenden Lebensraumzerstörung indigener und anderer traditioneller Völker und Gemeinschaften in Brasilien massivst Tür und Tor öffnen würde. Vor allem der Punkt der Gefährdung des Rechts indigener Völker auf freie, vorherige und informierte Konsultation zu Belangen, die sie und ihr Territorium betreffen, stellt eine schwere Verletzung der von Brasilien 2022 ratifizierten und im Jahre 2004 in Brasilien in Kraft getretenen ILO Konvention 169 zum Schutze der Rechte der Indigenen Völker dar.

Stichtagsreglung „Marco Temporal“: worum geht es? (Eine längere Zusammenfassung gibt es auch hier)
Mit neun zu zwei Stimmen hatten die Richter:innen des Obersten Gerichtshofes STF die These der Stichtagsregelung „Marco Temporal“ zurückgewiesen, die besagt hätte, dass nur jene indigenen Territorien das verfassungsgemäße Recht auf Demarkation und Homologation hätten, bei denen hätte bewiesen werden können, dass die Indigenen auf genau jenem Gebiet zum Tag des Inkrafttretens der brasilianischen Verfassung – Stichtag 5. Oktober 1988 – lebten. Dieser Nachweis hätte bei vielen Indigenen Territorien und vor allem bei vielen der noch nicht demarkierten Gebiete nicht beigebracht werden können und in Konsequenz – so Kritiker:innen des „Marco Temporal“ – hätte die Gefahr bestanden, dass durch eine solche Stichtagsregelung nachträglich 500 Jahre Landraub und Vertreibung noch einmal legalisiert werden.

Unter dem Motto „Unsere Geschichte begann nicht erst 1988!“ versuchen die Zusammenschlüsse der indigenen Völker Brasiliens seit Jahren, auf die Absurdität der Stichtagsregelung „Marco Temporal“ in Medien und Öffentlichkeit hinzuweisen. So sieht der nationale Zusammenschluss der indigenen Völker APIB die juristische These des „Marco Temporal“ als verfassungswidrig an, da dieser die Vertreibungen, Zwangsumsiedlungen und die Gewalt, die Angehörige verschiedener indigener Gemeinschaften vor 1988 erlitten haben, ignoriert und einfach den Stichtag als Grundlage des neuen Gesetzes anerkennt. Darüber hinaus werde die Tatsache ignoriert, dass es bis zum Inkrafttreten der Verfassung von 1988 für Indigene gar keine rechtliche Grundlage gab, um eigenständig ihre Rechte vor Gericht einzufordern, da sie qua Gesetzbuch unter staatlicher Vormundschaft – tutela – standen, was erst die neue Verfassung von 1988 beendete. Hinzu kommt, dass der Nachweis der Nutzung eines Gebiets am 5.Oktober 1988 für viele indigene Gemeinschaften schwierig ist. In ihrer besonderen Beziehung zu ihrem Territorium ist nicht nur das Land identitätsstiftend, auf dem sie tatsächlich leben, sondern auch Gebiete, die eine kulturelle und spirituelle Bedeutung haben, die aber nicht bewohnt werden.

Das Urteil des STF ging im Konkreten um den Fall des Gebietes Ibirama La Klãnõ der indigenen Xokleng aus dem südlichen Bundesstaat Santa Catarina, die gewaltsam, äußerst brutal und menschenverachtend ab den 1850er Jahren bis in die 1930er Jahre vertrieben wurden. Dies war auch eine direkte Folge der massiven deutschen Einwanderung in den Süden Brasiliens.

Die Landesumweltbehörde des Bundesstaates Santa Catarina forderte vor Gericht die Räumung des 80.000 Quadratmeter großen Gebietes, auf dem heute indigene Xokleng, Kaingang und Guarani leben und das angrenzt an das im Jahre 1958 vom Staat ausgewiesene (aber noch nicht abschließend demarkierte) Gebiet der Terra Indígena Ibirama La Klãnõ. Das historisch von den Xokleng und den angrenzenden Kaingang und Guarani bewohnte Gebiet wurde Ende der 1980er Jahre noch durch den Bau des Staudamms Barragem Norte beeinträchtigt, so dass die Indigenen wiederum nur ein kleineres Gebiet beanspruchen konnten.

Die Landesumweltbehörde von Santa Catarina argumentierte, dieses Gebiet sei ein Naturschutzgebiet und die Indigenen müssten dieses daher räumen. Auf dem Gelände befinden sich heutzutage aber auch Tabakfarmer:innen und es sind dort Holzfirmen aktiv. Im Jahr 2000 reichten die Farmer:innen sowie eine Holzfirma Klage ein und argumentierten im Sinne einer Stichtagsregelung. Die Landesregierung von Santa Catarina argumentierte, dass die Indigenen das Gebiet illegal besetzt hielten und die Anerkennung als indigenes Territorium nicht rechtens sei, da die Indigenen am Stichtag, dem 5. Oktober 1988, auf dem Gebiet nicht anwesend waren. Daher gelte die Stichtagsregelung des „Marco Temporal“. Im Jahr 2013 wandte das Bundesgericht der 4. Region (TRF-4) im Bundesstaat Santa Catarina das Kriterium der Stichtagsregelung an, indem es der Landesumweltbehörde die Entscheidungshoheit über das Gebiet Ibirama La Klãnõ zusprach. Nach dieser Entscheidung des TRF-4 legte die Indigenenbehörde des Bundes, FUNAI, beim Obersten Gerichtshof STF Berufung gegen die Entscheidung des Bundesgerichts TRF-4 ein. Im Jahre 2019 entschied der Oberste Richter Alexandre de Moraes, dass dieser Fall strahlende Rechtskraft grundlegender Natur habe, so dass das hier im STF zu entscheidende Urteil Grundsatzcharakter für die bis zu 200 aktuell noch anstehenden Rechtsentscheidungen in Bezug auf Indigene Territorien Brasiliens entfalte. So wurde diese Klage eigentlich zur entscheidenden Verfassungsklage zur Frage der Stichtagesregelung „Marco Temporal“.

Die Vertreter:innen der Xokleng argumentieren stets, dass sie gewaltsam aus ihren Gebieten vertrieben wurden, viele ihrer Vorfahren ermordet wurden und dass ihnen ja erst die Verfassung von 1988 das Recht auf ihr angestammtes Gebiet (in der Theorie) gab und sie erst ab dann schrittweise ihre historischen Gebiete wieder in den Blick nehmen konnten. „Wenn wir 1988 nicht in einem bestimmten Gebiet waren, dann heißt das nicht, dass es Niemandsland war oder dass wir nicht dort waren, weil wir es nicht wollten. Die Stichtagsregelung verfestigt eine historische Gewalt, die bis heute ihre Spuren hinterlässt“, so der indigene Sprecher Brasílio Priprá von den Xokleng im Jahre 2020.

Dem folgte der STF im September 2023 grundsätzlich, aber das Thema Stichtagsregelung war und ist damit noch nicht vom Tisch der politischen Agenda. Nun wird sich wohl in Kürze dieser Konflikt – sich zuspitzend auf einen Verfassungskonflikt zwischen Legislative, Exekutive und Judikative – einer Entscheidung nähern, die grundsätzlich sein wird und die Situation sowie den Bestand der indigenen Territorien in Brasilien für die Zukunft entscheiden wird.

// Christian Russau