Klimawandel, Biotreibstoff und neue Akteure – Wandel und Nicht-Wandel in der Entwicklungszusammenarbeit
Erschienen in den Lateinamerika Nachrichten 396/Juni 2007
Christian Russau, Jan Dunkhorst, Juliane Schumacher
Unruhe macht sich breit. Die fossilen Rohstoffe neigen sich ihrem Ende entgegen, die Klimakatastrophe rückt näher. Auch weite Teile von Politik und Wirtschaft werden offensichtlich von Unbehagen ergriffen, von Bildzeitung bis zur G8 fordern Akteure auf allen Ebenen „neue Ansätze und Wege“ – eine historische Chance, das herrschende Produktionssystem und die bestehenden Ungleichheiten zu überwinden?
Dem ist nicht so. Die Debatte um eine nötige „Umkehr“ findet innerhalb des bestehenden Analyserahmens statt, zugrunde liegende Muster werden nicht hinterfragt. Es scheint im Gegenteil, dass die aufgeregten Forderungen nach Klimaschutz nur die tatsächlichen Interessen verschleiern, die den Maßnahmen zugrunde liegen. Der Klimawandel ist zum neuen „Hauptwiderspruch“ geworden – der freilich in der öffentlichen Debatte keinen Widerspruch darstellt zum herrschenden Wirtschaftssystem, sondern, im Gegenteil, innerhalb desselben bearbeitet und nutzbar gemacht wird.
Die aufgeregte Debatte um Klimaschutz, die nun hektisch Maßnahmen fordert, macht auch entwicklungspolitisch vieles wieder machbar, was zuvor bereits in die Kritik geraten war. Nun werden sie auf einmal als Chance gefeiert: gewaltige Infrastrukturprojekte, die in Monokultur „Bio“-Rohstoffe für den Weltmarkt produzieren; das ökologisch und sozial äußerst zweifelhafte Greenwashing durch Zertifizierung vermeintlich „nachhaltiger“ Produkte; die Einführung von Gentechnik, deren Hemmschwelle in der öffentlichen Wahrnehmung sinkt, wenn es doch „nur“ um Produkte geht, die ohnehin dem Verbrennungsmotor zugefügt werden.
Neue Herausforderungen, alte Strategien
Die Entwicklungspolitik, keine Frage, hat die neuen Herausforderungen angenommen: Klimawandel und Ressourcensicherheit sind wichtige Themen in der aktuellen Debatte. Und auch die Verschiebungen im globalen Machtgefüge geraten zunehmend in den Blick. Länder wie China, Indien und Brasilien sind längst selbst zu bedeutsamen Akteuren geworden – auch in der Entwicklungszusammenarbeit.
Doch bei ihrer Bearbeitung wird auf die Strategien zurückgegriffen, die sich bereits in der Vergangenheit als wenig effektiv erwiesen haben: auf Privatisierung und Regulierung durch den Markt. Bis 2015 sollten die Milleniumsziele umgesetzt sein, die unter anderem vorsehen, die Zahl der in Armut lebenden Menschen zu halbieren und allen Kindern weltweit eine Grundschulausbildung zu ermöglichen. Bis 2015 bleiben noch acht Jahre – es zeichnet sich bereits ab, dass die Ziele um ein weites verfehlt werden.
Die Ausrichtung der Entwicklungspolitik und ihre Effekte werden angesichts dieser Entwicklung nicht hinterfragt. Stattdessen werden der Diskurs von win-win-Situationen fortgeführt und die Inwertsetzungpolitik auf neue Bereiche ausgedehnt.
So geraten auf der Suche nach Finanzquellen für Entwicklung auch neue „private“ Akteure in den Blick, wie z.B. MigrantInnen. Als auf der Weltkonferenz für Entwicklungsfinanzierung in Monterrey im Jahr 2002 Finanzierungsmöglichkeiten für Entwicklung zusammengetragen wurden, tauchten die remesas, die Geldsendungen der MigrantInnen in ihre Herkunftsländer, noch nicht auf.
Inzwischen haben die Entwicklungsinstitutionen sie als lohnenden Kapitalfluss in die Länder des Südens entdeckt, den es nun zu kanalisieren gilt. Die EmpfängerInnen sollen das vorhandene Kapital effektiv umsetzen und in ihre „Zukunft“ investieren – die Verantwortung für die eigene soziale Situation wird einmal mehr dem Individuum übertragen.
Chancen durch Biotreibstoff?
Auch was die Inhalte von Entwicklungspolitik betrifft, werden bekannte Pfade beschritten. So setzt die deutsche Entwicklungspolitik weiterhin einen Schwerpunkt auf Infrastruktur und die Förderung von Rohstoffen. Vor dem Hintergrund der zuletzt stark gestiegenen Ölpreise und der Debatte um Klimawandel spielen dabei zunehmend neue „Rohstoffe“ eine Rolle: so beispielsweise Treibstoff aus nachwachsenden Rohstoffen.
Biokraftstoffe werden von der EU im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit massiv gefördert. Die Europäische Union beabsichtigt laut ihrer Biokraftstoff-Richtlinie, bis 2020 zehn Prozent der konventionellen Kraftstoffe durch alternativen Treibstoff zu ersetzen. Diese Zielmarken können beim derzeitigen Verbrauch an Energie allein über Eigenproduktion nicht erreicht werden – so dass die EU-Staaten auf Importe angewiesen sind. Und hierfür kommen aus klimatischen und finanziellen Gründen vor allem Länder des Südens in Frage. Die alte Arbeitsteilung zwischen Nord und Süd – zwischen Verarbeitung und Export von Rohstoffen, zwischen Konsumenten und Primärproduzenten – setzt sich ungebrochen fort.
Zwar spielt die hiesige Entwicklungszusammenarbeit bei der Ausgestaltung des globalen Bioenergiemarktes derzeit nur eine Nebenrolle, doch ist das Bemühen offensichtlich, sich bei diesem Thema als Partner ins Spiel zu bringen. Dem Credo folgend, Innovation brauche Partnerschaft, wird der Anbau und Handel mit Biokraftstoffen als große Chance für Entwicklungs- und Schwellenländer bejubelt.
Weitere Artikel der LN-Ausgabe:
Juliane Schumacher: Das Grüne Einfallstor – Der Boom von Biokraftstoffen gibt den BefürworterInnen der Gentechnik Aufwind LN396_Gruenes Einfallstor
Thomas Fritz: Zertifiziertes Raubrittertum – Wie Nichtregierungsorganisationen dem Welthandel mit Biomasse auf die Sprünge helfen LN369_Raubrittertum
Martin Ling (Interview mit Klemens Laschefski): „Der Klimaschutz ist nur vorgeschoben“ – Biotreibstoff stimuliert das Agrarbusiness und die Umweltzerstörung LN396_Biotreibstoff und Klimaschutz
Erstellt von: FDCL e.V., in Kooperation mit Lateinamerika Nachrichten
Gefördert von: Inwent, Stiftung Umverteilen
Erschienen im Rahmen des Kooperationsprojekts mit: Heinrich Böll Stiftung, Transnational Institute Alternative Regionalisms (TNI)