Dossier

LETZTE AUSFAHRT BELÉM?

Die COP30 in Amazonien als klimapolitischer Scheideweg

// GOOD COP, BAD COP?
Die Faktenlage war noch nie so eindeutig: Die zivilisatorische Krise mit ihren Auswirkungen auf Klima und Natur zerstört die Lebensgrundlagen auf unserem Planeten. Historisch und bis heute maßgeblich dafür verantwortlich sind die Industrien des Globalen Nordens mit ihrem immensen Verbrauch an Rohstoffen. Extraktiviert wird im Globalen Süden, wo die Ausbeutung der Natur einher geht mit der Zerstörung von Ökosystemen wie den tropischen Regenwäldern, die essenziell für das Gleichgewicht des Planeten sind, und Unternehmen erhebliche Menschenrechtsverletzungen begehen.
Die COP30 in Belém ist mit Erwartungen aufgeladen. Vielen gilt sie als letzte Chance, die globale Klimapolitik zu retten. Zwar ist die Erkenntnis gewachsen, dass eine Umsetzung der Pariser Klimaziele einer grundlegenden sozial-ökologischen Transformation bedarf (siehe S. 15). Klimagerechtigkeit müsste jedoch damit einhergehen, dass nach dem Verursacher*innenprinzip die Regierungen des Globalen Nordens einerseits in der Pflicht stehen, Unternehmen in Richtung einer drastischen Reduktion des Ressourcenverbrauchs zu regulieren und andererseits für die Folgen der globalen Umweltkrise einzustehen. Beispielweise durch Unterstützung für Anpassungsmaßnahmen der Länder im Globalen Süden. Denn diese haben am wenigsten zur Krise beigetragen, sind schon heute am stärksten davon betroffen. Doch nach wie vor sind die Verhandlungen bei den UN-Klimakonferenzen von Konflikten zwischen verschieden positionierten Regierungen geprägt. Bei der bloßen Anerkennung des Problems, sowie bei Interessenskonflikten zwischen Ländern des Globalen Nordens und Südens: Viele der letzteren erachten die Finanzierungsziele und -zusagen in Anbetracht der historischen Verantwortung der imperialen Industrienationen als viel zu niedrig (siehe S. 22).
Doch die Kritik der Basisbewegungen, die sich zur COP30 wieder auf den Straßen versammeln, geht deutlich weiter. Seit Jahren problematisieren Aktivist*innen, dass Klimakonferenzen nicht über die Verabschiedung von Scheinlösungen hinauskommen, die die zugrundeliegenden Systemfehler des kapitalistischen, extraktivistischen Wirtschaftsmodells nicht angreifen (siehe S. 11). Ein exemplarisches Thema ist der internationale Emissionshandel, der es Verursacher*innen von CO2-Emissionen ermöglicht, diese durch den Kauf von CO2-Reduktionen bspw. durch Wiederaufforstung an einem anderen Ort zu kompensieren statt sie zu reduzieren. Gemeinden, die im Umsetzungsgebiet solcher Projekte in Amazonien leben, wehren sich gegen diese „Kompensation“. Denn damit gehen oft Landnahmen und Entrechtung einher – zusätzlich zu den vielfältigen Bedrohungen wie der fortschreitenden Zerstörung ihrer Territorien durch illegalen Goldbergbau oder den Bau von Staudämmen (siehe S. 43 und 46).
Für die brasilianische Regierung unter Präsident Lula ist die COP30 eine Gelegenheit, sich als Klimavorreiterin und Verteidigerin Amazoniens international zu profilieren. Die Erschließung neuer Offshore-Ölfelder vor der Mündung des Amazonas und der ungebrochene Einfluss der extraktiven Industrien und des mächtigen Agrobusiness in Brasilien sprechen eine andere Sprache (siehe S. 6 und 34). Ob der formulierte Anspruch einer „inklusiven COP“ eingelöst wird, die die Belange der Amazonasregion und ihrer Bevölkerungen ins Zentrum stellt, bleibt fraglich. In Kontrast und Widerstand zur Agenda der verhandelnden Staaten formulieren zivilgesellschaftliche Organisationen, Indigene und soziale Bewegungen ihre eigenen Forderungen an einen sozial-ökologisch gerechten Wandel, der Mensch und Natur gegenüber Kapitalinteressen priorisiert – und schaffen eigene Partizipationsräume, wie die Cúpula dos Povos („Gipfel der Völker“, siehe S. 11 und 36). Die dort diskutierten Alternativen zeigen, dass es auch anders geht und geben Hoffnung, dass die „letzte Ausfahrt Belém“ nicht in einer Sackgasse endet. Sie stellen klar, dass der erste Schritt aus der zivilisatorischen Krise sein muss, grundlegende Veränderungen des Systems nicht weiter von Unternehmensinteressen und den für sie einstehenden Regierungen blockieren zu lassen.

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Inhalt

6   Brasiliens Führungsanspruch // Zwischen Amazonas, Erdöl und Gegenwind aus den USA
8   Eine COP und viele Perspektiven // Belém bekommt globale Aufmerksamkeit
11   Die Stimmen des Amazonas // Basisbewegungen organisieren sich, um die Klimadiskussion auf die Straße zu bringen
15   Wer definiert die „Just Transition”? // In Belém verschärft sich die Aushandlung über einen sozial-ökologisch gerechten Wandel
18   Der Streit ums Geld geht weiter // Die zögerliche Haltung des Globalen Nordens dämpft die Erwartungen an verbindliche Finanzierungszusagen und eine faire Lastenverteilung
22   Klimagerechtigkeit in der Sackgasse // Warum Marktmechanismen uns nicht zum Ziel führen und wie Indigene Völker zu einer nachhaltigeren Lösung beitragen können
25   Der Wald ist nicht käuflich // Was die COP30 in Belém ändern muss
28   Schutzmaßnahmen auf dem Papier // REDD+-Projekte nutzen vor allem Unternehmen 31 Milliardenfonds zum Schutz tropischer Wälder // Brasiliens Vorschlag stößt auf geteilte Reaktionen
34   Brasiliens fossiles Dilemma vor der COP30 // Widersprüche kurz vor dem Treffen in Belém
36   „Priorität ist die Demarkierung der Indigenen Gebiete“ // Munduruku verteidigen erfolgreich ihre Autonomie
40   „Dies ist unser Land!“ // Über den langen Kampf um die offizielle Kennzeichnung Indigener Territorien
43   Im Widerstand gegen die Großprojekte // Der Kampf der von Staudämmen betroffenen Gruppen in Brasilien
46   Giftiges Gold // Quecksilber, illegaler Goldbergbau und organisierte Kriminalität: Eine dringende Herausforderung für den Amazonas auf dem Weg zur COP30
48   Die fliegenden Flüsse des Amazonas-Regenwaldes // Illustrationen für die Umweltbildungsarbeit mit Kindern
50   Amazonien schützen – Indigene Gemeinden unterstützen! // Berliner Initiative für langfristige Partnerschaft mit den Munduruku

Impressum

// LETZTE AUSFAHRT BELÉM? Erscheint als Dossier Nr. 22 innerhalb der LN 619 (November 2025)

// Herausgeber und Verlag Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika (FDCL e.V.), Lateinamerika Nachrichten e.V. in Kooperation mit Lateinamerika-Forum Berlin e.V. und IGLA (Lateinamerika Anders)
// Druck Hinkelsteindruck, 10997 Berlin
// Redaktion Redaktionskollektiv der LN, Lateinamerika Anders, Lateinamerika-Forum Berlin e.V. und FDCL e.V.
// V.i.S.d.P. Jan Dunkhorst, Martin Schäfer, John M. Shorack, Hermann Klosius, Leo Gabriel
// Redaktionsschluss 08.09.2025

// MIT FREUNDLICHER UNTERSTÜTZUNG DER LEZ BERLIN
// Für den Inhalt dieser Publikation ist allein das FDCL e.V. verantwortlich; die hier dargestellten Positionen geben nicht den Standpunkt der LEZ Berlin wieder.

 

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