
[Auszug aus der Einleitung]
Gleichwohl zeugte der Sieg von Andrés Manuel López Obrador (AMLO) 2018 in Mexiko von einem regionalen Heterogenisierungsprozess. Lateinamerika wurde diverser und ließ sich weniger durch die Metapher irgendeiner „Welle“ charakterisieren. Dennoch kann man nicht von einer neuen progressiven Mehrheit sprechen. Heute gibt es in der Region die rechtsgerichtete Hybris von Javier Milei in Argentinien, den rechtsgerichteten Autoritarismus von Nayib Bukele in El Salvador, die wiedergewählte Rechte in Ecuador und andere mehr.
In diesem Kontext steht die Sexual- und Genderpolitik im Zentrum der Auseinandersetzungen, als eine Art „symbolischer Klebstoff“ aus dessen Innerem entscheidende politische Ausrichtungen der unterschiedlichen Regierungen entstehen, von welcher politischen Couleur sie auch seien. Die Mehrheit der Analysen über die Beziehungen von Feminismen und der Genderagenda mit den politischen Kräften an der Macht, fokussieren die Angriffslust der neoliberalen und/oder konservativen Rechten auf Demokratisierungsprogramme der Genderverhältnisse. Die Analysen über die Art und Weise, wie das linke Spektrum die feministische Agenda bearbeitet, sie integriert oder für sie streitet, sind rarer gesät. Aber das ist wichtig, aus unterschiedlichen Gründen.
Erstens ermöglicht eine Analyse der Sexual- und Genderpolitik der (neuen) progressiven Bewegungen, zumindest in Teilen, ein Verständnis dafür, wie genderfeindliche, antifeministische und konservative Ideen als Nährboden für die Rechten in der Region dienen. Zweitens gestattet es eine weniger verzerrte Analyse darüber, wie die politischen Linken sich von feministischen Agenden herausfordern lassen müssen und bis zu welchem Punkt sie dies getan haben, oder nicht. Drittens ermöglicht sie die Klärung einiger Dimensionen dessen, wie und warum Frauen die Rechte wählen, beziehungsweise progressive oder linke Optionen unterstützen. Viertens stellt eine Analyse der Beziehung zwischen der Linken, Genderpolitiken und Feminismen die fiktive Gleichung in Frage, linke Regierungen hätten feministische Agenden immer unterstützt, eher ermöglicht sie eine Neubewertung des Streitcharakters der Politik. Fünftens können solche Analysen die Diversität des feministischen Feldes selbst aufzeigen.
Dies ist die Herausforderung der folgenden Seiten: eine, noch vorläufige Analyse voranzubringen über die Beziehung zwischen der Genderpolitik der jüngsten progressiven Regierungen und Feminismen. Diese Analyse untersucht drei Fälle: Mexiko (Regierung von AMLO, 2018-2024), Argentinien (Regierung von Alberto Fernández 2019-2023) und Kolumbien (laufende Regierung von Gustavo Petro, 2022-2026). Obwohl die Auswahl auch eine andere hätte sein können, sind es aus folgenden Gründen diese drei Länder: es sind jeweils sehr unterschiedliche Erfahrungen, die verschiedene Teilregionen einbeziehen und deren Analyse uns eine Hypothesenbildung über die unterschiedlichen politischen Richtungsänderungen erlaubt, die die politischen Prozesse bisher hatten (nach rechts in Argentinien, hin zu linker Kontinuität in Mexiko und, im Falle Kolumbiens, erstmalig nach links).
Es wird auf einige Schlüsselthemen fokussiert, welche die Besonderheiten jedes einzelnen dieser Prozesse hervorheben und zeigen, wie komplex eine Analyse der Beziehungen zwischen progressiven Regierungen an der Macht und Feminismen ist.
Bei jedem Fall sind die Leitfragen: Welche Themen der feministischen Agenda gab es in den politischen Kampagnen, in welcher Form und mit welchen Inhalten? Was sind die politisch-institutionellen Konkretisierungen dieser anfänglichen Agenda und wie festigen sie sich im Hinblick auf die Gender- und Sexualitätspolitiken? Wie entwickeln sie sich und welche Reichweite haben sie im Fall ihrer Etablierung? Wie stellt sich das Verhältnis zu den diversen Feminismen während des Zeitraums dar? […]
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E-Mail: info@fdcl.org | Internet: www.fdcl.org
Autorin: Ailynn Torres Santana
In Zusammenarbeit mit Alina Herrera bei der Zusammenstellung der Informationen zu Mexiko, mit Olga Bracco für Argentinien und Lisbeth Moya für Kolumbien
Übersetzung: Marie Holthaus
Redaktion: Tininiska Zanger Montoya und Steffi Wassermann (FDCL)
Design: Ingrid Navarrete | www.ingrid-navarrete.de
Foto: Demonstration der Kampagne für legale, sichere und kostenlose Abtreibung. Quelle: © Kaloian Santos Cabrera
Druck: Hinkelstein | 10997 Berlin
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