Dossier

Das Gleiche in Grün

Perspektiven von oben und Perspektiven von unten

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EDITORIAL: NICHT ALLES, WAS GRÜN IST, GLÄNZT

Endlich ein Gespräch auf Augenhöhe: Im Juni 2024 empfing der 1 Meter 70 große Bundeskanzler Olaf Scholz den nur wenige Zentimeter größeren argentinischen Präsidenten Javier Milei zur Unterredung abseits der Presse. Ein umstrittenes Treffen, nicht zuletzt, weil der selbsterklärte Anarchokapitalist dem eigenen Land ein Sparprogramm verordnet hat, das seinesgleichen sucht. Was den Sozialdemokraten Scholz mit dem Ultraliberalen Milei verbindet, ist vor allem die Handels- und Wirtschaftspolitik. Scholz will für die deutsche Industrie in Wasserstoff und Lithium investieren und Milei bietet die natürlichen Ressourcen Argentiniens zum Ausverkauf an. „Sie bringen den Kapitalismus aus der Defensive“, lobte der Vorsitzende der Hayek-Gesellschaft Milei wenige Stunden vor dessen Aufwartung bei Scholz. Seit einigen Jahren stellen sich westliche Staaten auf eine Produktion mit weniger fossilen Energien ein, denn das Verbrennen von Kohle, Gas und Erdöl ist einer der größten Treiber der globalen Klimakatastrophe. In Zukunft sollen fossile Energieträger durch nachhaltige Energiequellen ersetzt werden. Die „grüne Transformation“ wird mit Solar- und Windparks, Elektroautos und anderen Technologien vorangetrieben. Mit dem Umbau der Energieproduktion geht ein erhöhter Bedarf an metallischen Rohstoffen einher. Kupfer und Lithium, Kobalt und Seltene Erden, sie alle sind für den Ausbau der erneuerbaren Energien unverzichtbar.

Grün und erneuerbar soll die Energiewende sein. – und gerecht. Deutsche Politiker*innen versprechen ihren Partner*innen aus dem Globalen Sü- den eine Transformation auf Augenhöhe. Wir erleben insofern eine diskursive Neuaufstellung der globalen Handels- und Wirtschaftspolitik, die deutliche Spuren der ursprünglich linken Nachhaltigkeits- und entwicklungspolitischen Debatten trägt. Umso dringender ist es, eine Kritik zu entwickeln, die die Perspektive der vom Rohstoffabbau betroffenen Bevölkerung ins Verhältnis zu Nachhaltigkeitsdebatten in Deutschland setzt.

In diesem Dossier unternehmen wir den Versuch, verschiedene Facetten der sich neu ausrichtenden deutschen Industriepolitik und ihrer Auswirkungen auf die Länder Lateinamerikas kritisch zu beleuchten. Eine Energiewende, die bei einem Wechsel des Brennstoffs verbleibt und ein „Weiter-So“ propagiert, verschiebt Umweltprobleme – und schafft neue. Das betrifft unter anderem die Frage, woher die Rohstoffe kommen, die für Windräder, Solarpaneele und Elektromobilität benötigt werden. Für die als „strategisch“ oder gar „kritisch“ eingestuften Rohstoffe ist die deutsche Industrie fast vollständig auf Importe angewiesen. Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine und dem Ende der russischen Gaslieferungen ist Deutschland weltweit auf der Jagd nach neuen Energiezulieferern. Dabei setzen deutsche und europäische Politiker*innen weiterhin auf heimische, energieintensive Produktion, während sie besorgt den Erneuerbaren-Boom in China verfolgen. Die Entwicklungen dort und in den USA scheinen zu bestätigen: Der Umstieg auf klimaneutrale Energien ist zum Wettlauf um die wirtschaftliche Vorherrschaft geworden.

Auch Lateinamerika steht dabei zunehmend im Fokus der Investor*innen. Von Feuerland im Süden bis zur Sonora-Wüste im Norden: Der Kontinent verheißt ein enormes Potenzial, was die Erzeugung von Wind-, Solar-, oder Wasserkraft anbelangt. So überrascht es nicht, dass Regionen in Lateinamerika zur Investitionsfläche der immer selben Unternehmen werden, die bisher kaum für ihr „grünes“ und „nachhaltiges“ Wirtschaften bekannt sind: Pan American Energy, Uniper, Glencore, RWE, aber auch Mercedes-Benz, Volkswagen und BMW. Es ist das transnationale Agieren dieser Unternehmen, die die Beiträge dieses Heftes verbinden, ebenso wie der Widerstand gegen sie (siehe Seite 8).

Die Unternehmen werden von Regierungen tatkräftig unterstützt. Auch die deutsche Regierung möchte für die heimischen Konzerne weltweit ein positives Investitionsklima für Projekte erneuerbarer Energien schaffen. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf dem Wasserstoff, das „Gas der Zukunft“, das mithilfe von erneuerbaren Energien erzeugt werden soll und künftig den Flugverkehr oder energieintensive Industrien „ergrünen“ lassen könnte. Milliarden von Euro werden von Deutschland über den H2Global Mechanismus zum Markthochlauf investiert und Energiepartnerschaften mit Brasilien, Argentinien, Chile, Kolumbien und Uruguay abgeschlossen, um sich Zugänge zum Energiemarkt zu sichern (siehe Seite 12). Die Investitionen in Wasserstoff, dessen Transport über den Atlantik ein ungelöstes Problem darstellt, sind ein noch größeres Unternehmerrisiko als auf den Kettensägen-Mann Milei zu setzen. Unabhängig davon werden die Projekte vorangetrieben und deutschen sowie europäischen Unternehmen lukrative neue Investitionsfelder eröffnet, unterstützt von der deutschen Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) oder im Rahmen der Global Gateway-Initiative der EU (siehe Seite 16).

Für die betroffenen Gemeinden macht es indes wenig Unterschied, ob ihr Zuhause einem Solarpark zur Gewinnung von grünem Wasserstoff weichen muss oder der Abbau von Kohle oder Kupfer ihre Lebensgrundlagen bedroht. Für viele Menschen wiederholen sich koloniale Ausbeutungsmuster, die auf die Aneignung von Territorien und Ausbeutung der Rohstoffe für die Lebensweise der Menschen anderswo abzielen – das Gleiche wie bisher, nur jetzt in grün.

Der Widerstand gegen neue extraktivistische Projekte steht vor enormen Herausforderungen. Stellen sich Betroffene doch nun gegen eine Entwicklung, die als „grün“, also vermeintlich gut fürs Kima und die nachhaltige Entwicklung, etikettiert ist. Der Druck durch die Kürzung von Sozialleistungen und der Liberalisierung des Arbeitsmarkts rauben der betroffenen Bevölkerung zudem oft die Zeit, sich über die Großprojekte vor ihrer Haustür auch nur zu informieren (siehe Seite 30). „Wir alle müssen mindestens acht Stunden am Tag arbeiten und trotzdem ist nicht genug Geld da, um die Familie zu ernähren“, sagt Carla Wichmann aus dem argentinischen Feuerland. „Für Fragen, wie ‚Wie sollen wir ohne Gas heizen?‘ braucht es Zeit und Informationen. Doch es wird immer schwieriger einfach mal innezuhalten und zu sagen ‚Nein, ich steige aus diesem Zug aus‘“, so die Aktivistin.

Sozial und ökologisch tragfähige Lösungen für die vielen Herausforderungen der Energiewende zu finden, ist nicht einfach. Es ist aber höchste Zeit, sich auf die Suche zu begeben. Einige davon gibt es in Lateinamerika, in konzeptionellen Überlegungen, in konkreten Widerständen und praktischen Ansätzen: Die Bewegung Parque para Penco in Chile (siehe Seite 61) beweist, dass Bergbauprojekte durch die Mobilisierung der lokalen Bevölkerung erfolgreich bekämpft werden können. Sie setzt dem grün angestrichenen Entwicklungsparadigma andere Konzepte wie das buen vivir oder Körper-Territorium entgegen. Initiativen wie Terramar in Brasilien (siehe Seite 42) oder Bäuer*innen in Tecomaxtlahuaca, Mexiko (siehe Seite 63), zeigen, wie Energiewende breiter gedacht werden kann. Sie besinnen sich auf traditionelle Technologien der Nutzung von Meer und Land mittels Kreislaufwirtschaft. All diese Widerstände haben die Forderung nach einem grundlegenden Umdenken in Wirtschaft und Politik gemeinsam. Statt nur die ausgebeutete Energieform umzustellen und das extraktivistische Kapitalismusmodell beizubehalten, bestehen Aktivist*innen auf dem ganzen Kontinent darauf, dass die Verhältnisse grundlegend verändert werden müssen – mit gerechter Beteiligung aller Menschen von der Basis aus (siehe Seite 54). In einem ersten Schritt gehört dazu, die von extraktivistischen Projekten betroffenen Gemeinden in Entscheidungsprozesse einzubinden. Doch auch arbeitsrechtlich muss viel erreicht werden, sowohl für jene, deren Arbeitsplätze im Rahmen der Energiewende verschwinden, als auch für die, die in neuen, oftmals schnell aus dem Boden gestampften und unter Preisdruck stehenden Wasserstoffanlagen arbeiten (siehe Seite 27 und Seite 39). Ein gerechter Übergang kann, so die Aktivist*innen von Terramar, nur mit Menschlichkeit und Selbstbestimmung funktionieren.

Jene emanzipatorischen Beispiele sind umso bedeutender, da konservative Kritik an den Erneuerbaren zunehmend Verbreitung findet. Längst popularisieren AfD und Co. die vermeintlich fatalen Auswirkungen der erneuerbaren Energien auf den Lebensstil einiger Weniger im Globalen Norden, um ein „Weiter-So“ der Fossilen zu erreichen. Dieses „Weiter-So“ widerspricht den realen Verhältnissen gleichzeitig weniger, als die gängigen Transformationsversprechen suggerieren. Auch wenn alle Segel auf Erneuerbare gesetzt zu sein scheinen: Die globale Nachfrage nach fossilen Energieträgern ist weiterhin hoch, bei Kohle ist sie laut der International Energy Agency (IEA) in den letzten Jahren sogar noch angestiegen. Solange kein endgültiges Aus für Fossile durchgesetzt wird, werden Unternehmen daher auch die letzten Reserven in den entlegensten Winkeln der Erde fördern. Während andere also den Kapitalismus aus der Defensive holen, muss eine internationalistisch denkende Zivilgesellschaft in die Offensive gehen.

Inhalt

3 Nicht alles, was grün ist, glänzt // Editorial

8 Das heilige Buch der Energiewende // In Lateinamerika formt sich international agierender Widerstand

ENERGIEWENDE VON OBEN

12 Mehr Schein als Sein // Deutsche Energieaußenpolitik in Lateinamerika

16 Neue Geschäftsmöglichkeiten für europäische Unternehmen // Die EU-Initiative Global Gateway soll den eigenen Energiebedarf absichern

FALSCHE LÖSUNGEN

18 „Grüne“ Konflikte // 363 sozialökologische Konflikte im Kontext der Produktion erneuerbarer Energien

19 Bloß nicht zurückschauen // Ohne historische Verantwortung keine Just Transition bei den Kohlekonzernen

22 Abholzen für die Energiewende // Im kolumbianischen Amazonas soll eine Kupfermine entstehen

27 „Prodeco betrügt uns immer wieder“ // Interview mit Gewerkschafter*innen über die Rückgabe von Kohleschürfrechten in El Cesar

30 Bis in den letzten Winkel // Im äußersten Süden Lateinamerikas geht die Jagd nach fossilen und erneuerbaren Energien Hand in Hand

34 Salinas Grandes unter Druck // Kolla kämpfen im Norden Argentiniens gegen Lithiumunternehmen

39 Privatisierung statt gerechterTransformation // Interview mit dem Gewerkschafter Jhony Saldivia über Energiewende und grünen Wasserstoff in Uruguay

42 Von wegen „sauber“ // Windparks im Nordosten Brasiliens bedrohen Mensch und Umwelt

WIDERSTAND UND ALTERNATIVE ANSÄTZE

45 Wege zur sozial-ökologischeTransformation // Lateinamerikanische Alternativen für die Selbstbestimmung über Territorien, Ernährung und Energie

49 Translokal gegen Greenwashing // Von Lithiumabbau betroffene Gemeinden vernetzen sich über Kontinente hinweg

52 Transatlantischer Widerstand gegen Lithiumextraktivismus // Länder, in denen gegen den Mineralabbau mobilisiert wird

54 Wayuu im Spannungsfeld // Eher Extraktivismus als gerechte Energiewende in La Guajira

57 Saubere Zukunft mit dreckigen Metallen? // In Peru zeigt sich die Schattenseite der globalen Energiewende

61 „Soziale und ökologische Gerechtigkeit für alle“ // In Penco ist der Widerstand gegen ein Bergbauprojekt erfolgreich

63 Die tote Erde wiederbeleben // Landwirt*innen kämpfen gegen die Abhängigkeit von künstlichen Energiespritzen durch fossilbasierte Dünger

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