KoBra und FDCL haben gemeinsam mit weiteren Organisationen an zwei Aide-Memoire zur Situation der Menschenrechte in Brasilien und zum Fall der Deutschen Bahn im brasilianischen Bundesstaat Maranhão mitgewirkt, die anlässlich des Gesprächs des Forums Menschenrechte mit der Außenministerin Annalena Baerbock am 27. August 2024 zusammen mit 78 weiteren thematischen und länderbezogenen Aide-Memoire übergeben wurden.
1.)
Aide-Mémoire aus Anlass des Gespräches mit Außenministerin Annalena Baerbock am 27. August 2024: (Geplante) Beteiligung der Deutschen Bahn, via ihrer Tochterfirmen DB E.C.O.Group und DB Engineering & Consulting bei Infrastrukturprojekten in Brasilien und Mexiko
Organisation:
Gesellschaft für bedrohte Völker e.V. (GfbV) in Zusammenarbeit mit Rettet den Regenwald, FDCL (Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika), Kobra (Kooperation Brasilien e.V.) & Facing Finance
Querschnittsthema:
(Geplante) Beteiligung der Deutschen Bahn, via ihrer Tochterfirmen DB E.C.O.Group und DB Engineering & Consulting bei Infrastrukturprojekten in Brasilien und Mexiko
Rechte indigener Völker, Erhalt tropischer Regenwälder und Naturschutzgebiete, Verantwortung deutscher Konzerne, Lieferkettengesetz, ILO169
Beschreibung der Menschenrechtsproblematik:
1. Geplante Beteiligung der Deutschen Bahn in Brasilien:
Die Deutsche Bahn (DB E.C.O.Group und DB Engineering & Consulting) hat 2023 ein MoU zur Beratung und Planung des Baus einer 520 Kilometer langen Bahntrasse und eines Hafens im Munizip Alcântara des Bundesstaates Maranhão mit der brasilianischen Firma GPM unterzeichnet. Dieses Projekt in Amazonien birgt erhebliche menschenrechtliche und ökologische Gefahren. Besonders betroffen wären traditionelle Völker der Quilombolas und indigene Gemeinschaften, deren Territorien und Lebensweisen durch den Bau bedroht sind.
Laut aktuellen Planungen würde die Bahntrasse zwei Quilombola-Gebiete (Tanque de Valença und Alcântara) direkt durchqueren und ein drittes (Aguiar) tangieren. Die Bahnstrecke würde darüber hinaus durch 16 Agrarreformsiedlungen direkt hindurchführen, d.h. Gebiete des brasilianischen Staates, die ausschließlich für die produktive Tätigkeit von im Rahmen der Agrarreform angesiedelten Kleinbauernfamilien bestimmt sind.
Zudem wird die Bahnlinie voraussichtlich sechs traditionelle indigene Gebiete berühren, nämlich Awa, Caru, Pindaré, Alto Turiaçu, Arariboia und Akroá Gamella. Von denen weisen Awá, Caru, Alto Turiaçu und Arariboia jeweils mindestens eine offiziell anerkannte Gruppe in freiwilliger Isolation lebender Indigener auf. Durch den Bau würden zahlreiche relevante Naturschutzgebiete betroffen, was vor allem das Fortbestehen und die Lebensweise unkontaktierter Völker stark gefährdet. Bislang wurden weder die traditionellen Quilombola-, noch die indigenen Gemeinschaften in freier, vorheriger und informierter Konsultation miteinbezogen, noch eine Umwelt- und Sozialverträglichkeitsstudie durchgeführt.
Der Überseehafen soll für den Transport von Bergbau- und Agrarprodukten wie Eisenerz und Soja, oder künftig auch Wasserstoff genutzt werden. Solche Projekte gehen in der Regel mit tiefgreifenden Eingriffen und sekundären sozialen Folgeeffekten in die lokalen Ökosysteme und Lebensweisen der BewohnerInnen einher. Die DB geht dabei laut eigener Pressemitteilung von einem Potential von 80 Millionen Tonnen Agrarerzeugnissen im Jahr aus. Sowohl das Hafengebiet als auch Teile der Bahntrasse liegen in APA- und RAMSAR-Schutzgebieten. Das gesamte Projekt befindet sich im „Amazônia Legal“. Das geplante Alcântara Port Terminal liegt innerhalb des vom Bundesstaat per Dekret Nº 11.901 vom 11. Juni 1991 gegründeten APA Reentrâncias Maranhenses, welches Teil des wichtigen und weltweit größten Mangrovengebiets im Nordnordosten Brasiliens ist.
2. Beteiligung der Deutschen Bahn in Mexiko (Tren Maya):
Die Deutsche Bahn ist ebenfalls beim Bau des „Tren Maya“ in Mexiko involviert. Dieses Infrastrukturprojekt erstreckt sich über fünf mexikanische Bundesstaaten und verläuft dabei durch zahlreiche einzigartige Ökosysteme, Naturschutzgebiete und betrifft die Territorien zahlreicher indigener Gemeinden, vor allem der Maya. Neben der Militarisierung der Zone, die man kritisch betrachten muss, da es sich um eine der wichtigsten Migrationsrouten des Kontinents handelt, sind es vor allem die Missachtungen der Menschenrechte, die dieses Projekt von Anfang an begleiten:
Das Projekt wird seit Jahren von AnwohnerInnen, Menschenrechtsorganisationen, Umweltschutzorganisationen, NGOs oder UN-Institutionen wie dem UN-Hochkommissariat für die Nichteinhaltung der Menschenrechte kritisiert. Sie heben die massive und in Teilen nachweislich irreversible Zerstörung bedeutender Ökosysteme hervor, darunter mehrere Biosphärenreservate und Naturschutzgebiete. Dies hat kaum bezifferbare negative Auswirkungen auf die Artenvielfalt, das Weltklima und die Lebensweise der KleinbäuerInnen und indigener Gemeinden. Diese wurde dabei nicht angemessen über das Projekt und seine Folgen informiert, was ebenfalls einen Verstoß gegen das FPIC-Prinzip darstellt.
Trotz massiver Kritik und Proteste angesichts zahlreicher Probleme wird das Projekt vorangetrieben und soll sogar nach Guatemala ausgeweitet werden. Die Beteiligung der DB widerspricht Umweltschutz- und Klimazielen der weisungsbefugten Bundesregierung genauso wie Menschenrechtszielen.
Einhaltung rechtlicher und internationaler Normen – Die Bundesregierung muss beachten:
1. Extraterritoriale Verpflichtungen der Ratifizierung ILO169 für deutsche Regierung und ihre Durchführungsorgane: Auch Deutschland hat die ILO169 ratifiziert und ist somit eine Achtungsverpflichtung der Rechte indigener und anderer traditioneller Gemeinschaften eingegangen. Diese Achtungsverpflichtung des Staates schließt alle Durchführungsorgane wie bspw. Euler Hermes Exportkreditbürgschaften, KfW IPEX und DEG sowie die staatseigenen Betriebe wie die Deutsche Bahn ein: Die Unverletzlichkeit indigener Rechte macht nicht an der Grenze halt.
2. Umsetzung der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte und der OECD-Leitsätze für Multinationale Unternehmen: Unternehmen und Investoren sind gemäß den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte verpflichtet, die Rechte indigener Völker während der Projektentwicklung und nach Abschluss des Projekts zu achten. Dies erfordert eine angemessene Sorgfaltsprüfung, die sicherstellt, dass die FPIC-Prinzipien eingehalten werden.
3. Verpflichtung deutscher Unternehmen: Die Bundesregierung muss deutsche Unternehmen in die Pflicht nehmen, diese Sorgfaltsprüfungen lückenlos durchzuführen oder von Geschäftspartnern einzufordern. Das LkSG reicht dazu nicht aus. Die deutsche Bundesregierung muss sich folglich für eine starke EU-Richtlinie (CSDDD) einsetzen.
4. Rohstoffabbau und Infrastrukturprojekte unter Berücksichtigung von indigenen Rechten: Rohstoffabbau und Infrastrukturprojekte, wie in Brasilien und Mexiko, dürfen nur unter Berücksichtigung von internationalem Recht und insbesondere indigenen Kollektivrechten, wie dem FPIC, durchgeführt werden. Die deutsche Bundesregierung muss sich dafür einsetzen, dass diese Rechte durch eindeutige Überwachungs- und Umsetzungsmechanismen in internationalen Abkommen garantiert werden und in ihren Rohstoffpartnerschaften Beachtung finden.
5. Schutz Amazoniens: Das Schienen- und Hafenprojekt GPM und die Beteiligung der DB daran ist nicht mit dem Schutz des Amazonasregenwaldes vereinbar. Nicht nur dessen Bau bedroht die Natur, sondern bedeutet auch die mit dem Projekt geplante Ausweitung der Agrar- und Bergbauindustrie.
Konkrete Anfragen bzw. Empfehlungen:
• Die Deutsche Bahn (DB E.C.O.Group und DB Engineering & Consulting) und andere beteiligte Unternehmen müssen sicherstellen, dass die Prinzipien der freien, vorherigen und informierten Zustimmung (FPIC) strikt eingehalten werden.
• Die deutsche Bundesregierung sollte aktiv überwachen, dass die im LkSG und in der geplanten EU-Richtlinie (CSDDD) festgelegten Sorgfaltspflichten auch bei internationalen Projekten durchgesetzt werden.
• Die deutschen und internationalen Träger und Durchführungsorganisationen der Internationalen Zusammenarbeit und Entwicklungsfinanzierung müssen sicherstellen, dass ihre potentielle Beteiligung keine negativen, nicht-intendierten Effekte aufweisen und nach außen klar belegen, dass diese ihren selbstdefinierten Nachhaltigkeitskriterien und den SDGs entsprechen.
• Bei Infrastrukturprojekten und Rohstoffabkommen sollte die Bundesregierung darauf drängen, dass Umwelt- und Menschenrechte fest in den Vertragswerken verankert werden, inklusive klarer Überwachungs- und Umsetzungsmechanismen.
• Es sollten unabhängige Überprüfungen der Menschenrechtsauswirkungen dieser Projekte durchgeführt und mit der Öffentlichkeit geteilt werden, um sicherzustellen, dass die Rechte der indigenen Bevölkerung respektiert und geschützt werden.
2.)
Aide-Mémoire aus Anlass des Gespräches mit Außenministerin Annalena Baerbock am 27. August 2024: Situation der Menschenrechte in Brasilien
Organisation: Misereor, Gesellschaft für bedrohte Völker e.V., terre des hommes (in Zusammenarbeit mit Caritas international, FDCL e.V., Kobra e.V.)
Länderthema: Brasilien
Beschreibung der Menschenrechtsproblematik:
Menschenrechtspolitik der Regierung Lula: Trotz deutlichen Bemühens der Lula-Regierung, die Rückschritte in der Menschenrechtspolitik der Vorgängerregierung wettzumachen, zeigen sich noch sehr viele strukturelle Defizite, die auch mit einem Mangel an verfügbaren Haushaltsmitteln in den teilweise neu geschaffenen Ministerien zu tun haben. Begrüßenswert ist die Wiedereinrichtung von Beteiligungsmechanismen der Zivilgesellschaft in den fachlich-thematischen Conselhos (Räten) auf föderaler, bundesstaatlicher und kommunaler Ebene.
Land- und Territorialkonflikte: Laut der kirchlichen Fachstelle für Landfragen CPT wurde 2023 mit 2.203 die höchste Zahl von Landkonflikten seit Beginn der Erhebungen 1985 verzeichnet, (2022: 2.050). Bei den meisten registrierten Konflikten geht es um Land (1.724), gefolgt von Vorfällen von Sklavenarbeit auf dem Land (251) und Konflikten um Wasser (225). Von den Landkonflikten waren 950.847 Menschen betroffen. Laut Indigenenmissionsrat CIMI wurden im Jahr 2023 in mindestens 202 Indigenen Territorien in 22 Bundesstaaten 276 Fälle von Invasionen, illegaler Ausbeutung von Naturressourcen und Sachschäden registriert. In 411 Fällen kam es zu Gewalt gegen Personen, darunter 208 Morde und 17 Totschläge. Die Gewalt geht u.a. von organisierten paramilitärischen Gruppen aus, wie der im Mai 2023 gegründeten „Invasão Zero“, die u.a. an bewaffneten Angriffen auf Indigene und Landlose beteiligt ist und sich selbst enger Kontakte zu Kongressmitgliedern rühmt. Des Weiteren werden weiterhin Vertreter:innen indigener, Quilombola- und traditioneller Gemeinschaften von Holzfällern, Goldgräbern, durch Bergbauprojekte, durch Großgrundbesitzende und durch die Drogenmafia bedroht. Auch Infrastrukturprojekte wie Bahnlinien (z.B. GPM, Ferrogrão, Ferrovia do Pará, Fiol), Schifffahrtswege (z.B. Tocantins-Araguaia) oder Hafenanlagen (z.B. Cargill Abaetetuba, Porto Sul Ilhéus) verletzen die Rechte von traditionellen Gemeinschaften. Es gibt vermehrt Berichte über Missachtung der Landnutzungsrechte traditioneller Gemeinschaften auch durch Wind- und Solarparkbetreiber.
Gesetzes- und Verfassungsänderungsvorschläge bedrohen indigene Land- sowie Umweltrechte: Die Stichtagsregelung Marco Temporal bedroht die Rechtssicherheit der indigenen Gebiete. Sowohl das Gesetz 14.701/2023, die PEC 48/2023 als auch das Schlichtungsverfahren im Obersten Gerichtshof bergen die Gefahr, dass bei Verabschiedung des Marco Temporal 500 Jahre Landraub noch einmal legalisiert werden. Das Observatório do Clima warnt derweil vor 25 aktuellen Gesetzesvorhaben und drei Verfassungsänderungsvorschlägen, die „den brasilianischen Ökosystemen, den traditionellen Völkern, dem globalen Klima und der Sicherheit aller Bürger irreversible Schäden zufügen“ würden.
Situation von Menschenrechtsverteidiger:innen (MRV): Die UN-Sonderberichterstatterin für MRV hat nach ihrem Länderbesuch im April 2024 von „extremer Bedrohung“ für MRV in Brasilien gesprochen. Sie nennt als besonders betroffene Gruppen indigene und afrobrasilianische Aktivist:innen, Frauen, sowie Journalist:innen und soziale und kulturelle Aktivist:innen. Dies deckt sich mit der Analyse von Frontline Defenders, die für 2023 allein 30 Morde an MRV in Brasilien dokumentiert haben und zusätzlich die besonderen Risiken für LGBTIQ+-Aktivist:innen betonen. Neben Morden und physischen Angriffen sind Diffamierung und Kriminalisierung gängige Praxis gegen MRV, insbesondere im Umfeld von Protesten gegen wirtschaftliche und Infrastrukturprojekte. Die UN-Sonderberichterstatterin betont die Rolle, die Unternehmen als „Impulsgeber“ für die Konflikte haben, die den Hintergrund der Gewalt gegen MRV bilden. Hierzu gehören auch die Sprecher:innen der Opfer von Bergbauprojekten und -katastrophen. Im Umfeld der Organisierung der Opfer des Dammbruchs von Brumadinho von 2019 werden Sprecher:innen der Bewegung weiter bedroht und mussten teilweise das Land verlassen. Das verantwortliche Unternehmen „Vale“ und das zertifizierende Unternehmen „TÜV Süd“ sind bis heute nicht strafrechtlich verurteilt. Die nationale Schutzpolitik für MRV ist nach wie vor wenig effektiv. Das staatliche Programm zum Schutz von MRV (PPDDH) ist mit zu wenig Ressourcen ausgestattet. Wichtige Vorgaben internationaler Kontrollinstanzen harren immer noch der Umsetzung, wie etwa das Urteil des Interamerikanischen Gerichtshofs zum Fall Sales Pimenta und die darin enthaltene Verpflichtung für eine systematische Datenerhebung, oder die Empfehlung zur Ratifizierung und Umsetzung des Escazú-Abkommens. Die Straflosigkeit bei Übergriffen gegen MRV liegt weiterhin bei über 90%. Selbst in Fällen besonders hoher internationaler Aufmerksamkeit gelingt es nicht, die Auftraggeber der Aggressionen dingfest zu machen. Im Fall des Mordes an der afrobrasilianischen Stadträtin Marielle Franco, die 2018 in Rio de Janeiro erschossen worden war, fordern die Angehörigen nach wie vor die vollständige Aufdeckung der Auftraggeber und ihrer Verwicklungen mit den Sicherheitskräften.
Tötungsraten, Gewalt und Situation in Gefängnissen: Die allgemeine Mordrate ist 2023 im Vergleich zu 2022 um 3,4% und im Vergleich zu 2017 um 27,7% zurückgegangen, wobei sich eine geografische Verschiebung abzeichnet: Während São Paulo einen Rückgang der Tötungen verzeichnete, stiegen die Fälle beispielsweise in Amapá um 39,8% drastisch an. Zugenommen hat die Gewalt gegen LGBTQIA+: 214 Tötungen in 2023 bedeuten eine Zunahme von 42% gegenüber 2022. Es wurden 83.988 Vergewaltigungen von Frauen verübt, was einer Zunahme von 6,5% gegenüber 2022 entsprach. Brasilien hat mit über 830.000 die drittgrößte Gesamtzahl an Häftlingen weltweit. Der Strafvollzug in Brasilien hat eine starke Komponente rassistischer und sozialer Diskriminierung. Laut dem Jahresbericht für Öffentliche Sicherheit sind mehr als 68% der Gefängnisinsass:innen Afrobrasilianer:innen und aus ärmeren Bevölkerungsschichten. Die Zahl der Fälle von Folter in Gefängnissen ist ungebrochen hoch und die Überbelegung von über 30% wurde nicht abgebaut, wie es UN-Instanzen bereits mehrfach gefordert haben. Seit Anfang 2024 wird unter dem Titel „Gerechte Strafe“ ein nationaler Plan zur Überwindung der verfassungswidrigen Zustände in den Gefängnissen entwickelt, der aber noch nicht mit konkreten Umsetzungsschritten verbunden ist. Die Gewalt durch Sicherheitskräfte hat besorgniserregende Dimensionen mit ebenfalls starker rassistischer und sozioökonomischer Komponente. Über 6.000 Todesopfer von Polizeigewalt berichtet Human Rights Watch für 2023, bei denen der Anteil an afrobrasilianischen Personen bei den Opfern bei über 83% liegt. Viele stammen aus marginalen Stadtvierteln. Die IACHR spricht in ihrem Kommentar zum Fall von 16 Toten bei einer Polizeioperation vom Tatbestand systematischer außergerichtlicher Hinrichtungen. Jeder siebte vorsätzliche gewaltsame Tod eines Jugendlichen ist auf polizeiliche Eingriffe zurückzuführen. Hinzu kommt die Dimension strukturellen Rassismus: Die Mehrheit der Kinder, die Opfer von Polizeigewalt werden, sind afrobrasilianisch und machen 70,3% der Fälle aus, bei Jugendlichen sind es sogar 85,4%. In den Jahren 2020-2022 hat die deutsche Regierung dennoch Rüstungsexporte nach Brasilien im Wert von 360 Mio. Euro genehmigt, was ein klarer Verstoß gegen den Waffenhandelsvertrag ATT und den Gemeinsamen Standpunkt der EU zu Rüstungsexporten ist. Die Studie „Polizeigewalt gegen Kinder und Jugendliche in Brasilien und Waffenhandel“ belegt, dass deutsche und europäische Waffen bei vielen Gewalttaten eingesetzt wurden.
Konkrete Anfragen bzw. Empfehlungen:
• Die Bundesregierung sollte die Empfehlungen Deutschlands an Brasilien aus dem UPR-Verfahren in ihrer Umsetzung zu einer Priorität ihres Dialogs mit der brasilianischen Regierung machen, insbesondere im Bereich des Schutzes von MRV. Hierbei sollte auf die ausreichende Ausstattung des Schutzprogramms PPDDH mit entsprechenden Ressourcen hingewirkt werden.
• Programme der deutschen EZ, wie etwa der Amazonas-Fonds sollten mit Elementen des Schutzes für die in dieser Region betroffenen MRV begleitet werden, die für die sozialen Organisationen einfach zugänglich sind.
• Indigene und traditionelle Gemeinschaften müssen in Schutzprogrammen zu Amazonien und anderen Ökosystemen besonders berücksichtigt und Kontrollmechanismen innerhalb der Förderprogramme sollten ausgebaut werden, damit die geförderten Bundesstaaten ihre Aufgaben beim Waldschutz effektiv erfüllen.
• Die effektive Umsetzung der Verpflichtungen aus dem deutschen und dem europäischen LkSG und deren effektiven Schutz sollte besonders im Fall von kritischen Investitionsprojekten unter Beteiligung brasilianischen und deutscher Zivilgesellschaft erfolgen.
• Zur effektiven Umsetzung der ILO-Konvention 169 durch Brasilien und Deutschland sollte ein intensiver bilateraler Dialog erfolgen, um sicherzustellen, dass Produkte und Dienstleistungen aus beiden Ländern nicht gegen die Rechte indigener Völker und traditioneller Gemeinschaften verstoßen. Hier sind vor allem Maßnahmen für effektive Konsultationen von indigenen und traditionellen Gemeinschaften in FPIC-Verfahren, sowie ihre Beteiligung an sie betreffenden Gesetzgebungsverfahren vorzusehen.
• Der geplante Import von „grünem“ Wasserstoff darf nicht zu einer Verschärfung der Landkonflikte in Brasilien führen: Landnutzungsrechte traditioneller und bäuerlicher Gemeinschaften sind entlang der Lieferkette vollumfänglich zu respektieren.
• Das EU-Mercosur-Handelsabkommen sollte neu verhandelt und mit stärkeren Bestimmungen zu Menschenrechten und Nachhaltigkeit ausgestattet werden. Die Form einer Zusatzvereinbarung erscheint nicht zielführend. In seiner jetzigen Form schafft das geplante Abkommen Anreize für Entwaldung, Ausbreitung der extraktiven Industrien und Vertreibung von kleinbäuerlichen Familien, indigenen und traditionellen Gemeinschaften.
• Exporte von Rüstungsgütern nach Brasilien müssen aufgrund der schweren Menschenrechtsverletzungen durch Polizei und Militär dringend gestoppt werden. Der Endverbleib bereits gelieferter Rüstungsgüter, insbesondere von Kleinwaffen und Munition, muss kontrolliert werden. Die Bundesregierung sollte sich konsequent für Rechtsstaatlichkeit und das Ende der hohen Straflosigkeit in Brasilien, insbesondere bei Strafverfolgung staatlicher Akteure (Polizei, Militär), einsetzen.