Von Nikolas Böhlke

Am 17. Juli beendeten die Europäische Union (EU) und Ecuador ihre Gespräche über ein gemeinsames Handelsabkommen mit der vorläufigen Vertragsunterzeichnung. Vor Inkrafttreten der Vereinbarungen befindet sich das Dokument zur Zeit noch beiderseitig im Ratifizierungsprozess durch die Parlamente und zuständigen Gremien sowie in der rechtlichen Prüfung.

Anhand der am 23. September erstmals veröffentlichten Vertragstexte ist nun offensichtlich, dass sich die Befürchtungen eines reinen Freihandelsabkommen (FTA) nach dem Vorbild der bereits in Kraft befindlichen Vereinbarungen zwischen der EU, Peru und Kolumbien, bewahrheitet haben dürften.

Politische Entwicklung

Aus den ursprünglichen Verhandlungen zwischen der EU und den fünf Staaten der Andengemeinschaft (CAN) stieg neben Venezuela und Bolivien 2009 auch Ecuador aus. Präsident Rafael Correa verwies damals auf Bestandteile des Abkommens, welche das Recht auf eine nationale Wirtschaftsentwicklung beschnitten und auch die verfassungsmäßige Pflicht zum Schutz der Natur unterminieren würden. Er verkündete in der staatlichen Fernsehsendung „Enlace Ciudadano“ am 23. Mai 2009: „Die Europäische Union mag ihm hübsche Namen geben, aber die eingeschlagene Richtung soll uns zu einem Freihandelsabkommen führen und das akzeptieren wir nicht.“ In Folge dessen kam es zunächst nur zu dem FTA zwischen der EU, Kolumbien und Peru.

Bislang konnte Ecuador trotz des Ausstiegs aus den EU-CAN-Verhandlungen von den Bestimmungen des Allgemeinen Zollpräferenzsystems (GSP) profitieren, welches ärmeren Ländern Zollerleichterungen bei der Einfuhr von Waren in die Europäische Union ermöglicht. Im Bereich der nicht aus dem Erdöl stammenden Exporte mit einem Anteil am nationalen Haushalt von EUR 2,3 Mrd. (ca. 12,5%) ist die EU Ecuadors wichtigste Export-Zielregion.

Seit der Revision des GSP im Januar diesen Jahres wären zollvergünstige Exporte in die EU jedoch für Ecuador ab Ende Dezember 2014 nicht mehr möglich gewesen. Aufgrund der Handelskonkurrenz durch das bestehende Abkommen zwischen EU und den Nachbarstaaten Kolumbien und Peru, schien die ecuadorianische Regierung sich gezwungen gesehen, die Verhandlungen im Vergangen Jahr wiederaufzunehmen.

Während die Außenhandelspolitik Ecuadors in den vergangenen Jahren vor allem zum Ziel hatte, die Abhängigkeit im Rohstoffsektor (60% des Nationaleinkommens hängen vom Ölexport ab) und der Primärproduktion im Agrarbereich zu senken und verstärkt auf die Produktion höherwertiger Güter und Stärkung des Dienstleistungsmarktes zu setzen, markiert das Freihandelsabkommen mit der EU nun einen einschneidenden, politischen Wendepunkt.

Regelungen des Abkommens

Die nun vorgelegte Übereinkunft knüpft unmittelbar an die beiden bereits in Kraft befindlichen FTAs der Nachbarstaaten Peru und Kolumbien an. Diese enthalten Regelungen in den Bereichen sektoraler Marktzugänge, Einfuhrquoten, Exportbesteuerung und Zölle (für Güter und Dienstleistungen) sowie normative Bestimmungen zu Investitionen, freiem Kapitalverkehr und Patentrecht.

Wichtiger Verhandlungsgegenstand waren für Ecuador zunächst die Export- und Einfuhrbedingungen im Bereich der Agrarprodukte. Während einerseits graduell sinkende Einfuhrzölle beim Export in die EU festgelegt wurden, wird Ecuador zugleich seine Märkte für den Import europäischer Produkte öffnen. Die Liberalisierung der nationalen Gütermärkte (auch für verarbeitete Agrarprodukte) geschieht dabei für verschiedene Produktgruppen in unterschiedlichen Etappen und mit einigen, wenigen Ausnahmen (u.a. Rindfleisch, flüssige Milch, Butter, Hühner, Mais und Reis).

Von den künftigen Regelungen dürften im Agrarbereich insbesondere die Bananenproduzenten profitieren, da sie ihre Produkte langfristig zu gleichen Bedingungen, wie Konkurrenten in den Nachbarländern (v.a. Kolumbien), in die EU einführen können. Bananen sind mit einem jährlichen Handelsvolumen von EUR 281 Mio. (359 Mio. USD) Ecuadors wichtigstes Agrarexportgut. Sie werden mit 64% der Gesamtanbauflächen jedoch in erster Linie von Großproduzenten angebaut, die den Abschluss des Abkommens begrüßten.

Kritik trifft vor allem die Öffnung der Warenmärkte, in denen eine Großzahl Kleinproduzenten tätig ist. Besonders beim Gemüse- und Obstanbau, aber auch bei Milchprodukten ist die Furcht groß, dass der Binnenmarkt mit konkurrenzlos günstigen, weil subventionierten, EU-Produkten überschwemmt werden könnte.

Zugleich werden nicht nur die Konsumgütermärkte, sondern auch die u.a. Saatgut, Dünger und Pflanzenschutzmittel umfassenden Inputmärkte geöffnet. Hier gilt die Befürchtung einem zunehmenden Verlust an (Agro-) Biodiversität, einer möglichen Zunahme der Bodendegradation (etwa durch übermäßigen Düngemitteleinsatz) und letztlich dem Verlust der für eine souveräne Ernährung wichtigen fruchtbaren Ackerböden.

Ein erleichterter Zugang zu den ecuadorianischen Warenmärkten soll neben dem Agrarbereich auch für industriell gefertigte Güter geschaffen werden. Diese spielten aufgrund des geringen Anteils an Ecuadors Exporten in den Verhandlungen jedoch eine untergeordnete und weniger umstrittene Rolle.

Der erleichterte Import von Pharmazeutika dürfte allerdings entsprechend des geforderten, gestärkten Patentrechts (und Schutz geistigen Eigentums) eine finanzielle Mehrbelastung des Gesundheitssystems darstellen. Inwiefern jedoch mögliche Preisanstiege auch den Ausschluss insbesondere ärmerer Bevölkerungsgruppen treffen, ist z. Zt. nicht absehbar.

Wichtiger Verhandlungsgegenstand waren auch die Bestimmungen zum Dienstleistungshandel und Unternehmensrechten. Ein großes Interesse bestand seitens der EU vorwiegend im erleichterten Markteintritt für Europäische Unternehmen in den Bereichen Telekommunikation, Finanzen, Umwelt und Logistik. Dabei soll ausländischen Unternehmen in Ecuador der vollständige Zugang zu den öffentlichen Infrastrukturen sowie die Nutzung oder Ausbeutung von Energie, Transportwesen, nicht erneuerbaren Ressourcen, Raffinerie von fossilen Brennstoffen, Biodiversität, Genetischem Erbe und Wasser zugestanden werden.

Neben den weitgehenden unternehmerischen Freiheiten können allerdings die vollständige oder teilweise Übernahme von ecuadorianischen Firmen durch europäische Unternehmen durch die zuständigen Behörden gestoppt werden. Weitere durch die Ecuadorianische Regierung hervorgehobene ‚Kompromisse‘ seitens der EU betreffen starke Einschränkungen des Landerwerbs in Zonen nationaler Sicherheit (etwa der Grenzregion zu Kolumbien) und den Immobilienerwerb in Grenz- und Küstenregionen durch ausländische (juristische und natürliche) Personen. Diese Regelungen sind jedoch in Freihandelsabkommen üblich und stellen daher kaum wirkliche Verhandlungserfolge dar.

Wenn auch Gegenstand intensiver Diskussion, werden die zukünftigen Regelungen im Bereich der öffentlichen Beschaffung weitestgehend mit dem bisherigen Abkommen zwischen EU, Peru und Kolumbien korrespondieren: Dabei ist jedoch noch nicht endgültig klar, ob die durch die EU geforderten Gesetzesnormen von Transparenz und Gleichbehandlung umgesetzt werden – diese stehen den bisherigen Verfassungsregelungen zur Bevorzugung einheimischer Firmen (Art. 288) entgegen. Mit Ausnahme des Verteidigungssektors dürften diese Regelungen europäischen Firmen den Markt der öffentlichen Beauftragung öffnen. Dieser umfasst v.a. die Regierungsstellen, öffentliche Universitäten, Unternehmen und Banken.

Es ist ein „Frei“-handelsabkommen

Öffentlich bekundeten Präsident Correa und sein Außenhandelsminister Francisco Rivadeneira bis zuletzt, dass man sich nicht den Freihandelsbedingungen der EU ausliefern würde und mit Blick auf sensible Produktbereiche und vor allem rechtlichen Forderungen (etwa in der öffentlichen Beschaffung) ‚besser‘ als Peru und Kolumbien verhandelt hätte. Tatsächlich beinhaltet das neue Abkommen zwischen EU und Ecuador alle Charakteristika der bestehenden Freihandelsabkommen. Wenn auch in einigen der landesspezifischen Zusatzregelungen etwas bessere Quoten erzielt worden sein mögen, so bedeuten diese den gleichen Handel, nur zu einem besseren Preis (wie Edgar Isch anmerkte).

Zudem belegen die Anfang Oktober aufgetauchten geheimen Abhörprotokolle der Verhandlungen deutlich, dass die diese anders als zuvor von ecuadorianischer Seite behauptet, nicht auf Augenhöhe geführt wurden. Die EU setzte zur Durchsetzung der eigenen Forderungen gezielt auf Ecuadors Zugzwang zu einem erfolgreichen Abschluss, der in der der hohen Staatsverschuldung und der Exportkonkurrenz seiner Nachbarstaaten begründet liegt. So entgegnete der Europäische Handelskommissar Karel De Gucht auf Ecuadors Wunsch, ein Handelsabkommen mit Schutzklauseln abschließen zu wollen, damit, „[…] dass die EU nur FTAs verhandelt, dass Ecuador seine Verfassung reformieren muss und die kritische Haltung gegen bilaterale Investitionsabkommen überwinden sollte.

Das Ende der „Bürgerrevolution“?

Im Jahr 2006 trat Ecuadors Präsident Rafael Correa an, die politische, soziale und wirtschaftliche Lage des Landes im Rahmen seiner „Bürgerrevolution“ („Revolución Ciudadana“) zu verbessern und gerechter zu gestalten. Dabei sollte ein unabhängiger und starker Staat auf Basis der seit 2008 geltenden Verfassung den Mensch und die Umwelt in den Mittelpunkt stellen. Markt, Wachstum und die Bedienung der Interessen der alten Eliten sollten der Stärkung sozialer Programme, Infrastrukturen und einer gerechteren Umverteilung zugunsten der ärmeren Bevölkerungsteile weichen.

Wenn auch die wirtschaftliche Situation des Landes in den vergangenen gestärkt werden konnte (Steigerung des BIP um 4,2 % 2007-2013), sitzt die hohe Staatsverschuldung der Regierung nachwievor im Nacken. Die ecuadorianische Wirtschaftspolitik, die eine Finanzierung der nötigen sozial- und umweltpolitischen Maßnahmen zu einer langfristigen Entwicklung weg von der starken Rohstoffabhängigkeit zuließe, dürfte auch innenpolitische Spuren hinterlassen haben. Die schon länger gehegten Forderungen vonseiten konservativer (Wirtschafts-) Kräfte nach einer Neuausrichtung der Außenhandelspolitik und einer wirtschaftlichen Öffnung wurden durch den Abschluss des FTAs erfüllt. Nicht zuletzt deshalb kann das Ergebnis der Verhandlungen auch als warnendes Zeichen der Rückkehr einer politisch rechten Elite in Ecuador gedeutet werden. Obgleich die Ratifizierung durch das Parlament, die Nationalversammlung, in Ecuador noch aussteht, deutet sich mit diesem Abkommen u.U. eine politische Zeitenwende an.

Die Idee des ecuadorianischen Präsidenten Rafael Correa, eine souveräne, unabhängige Entwicklungsstrategie in Form der „Bürgerrevolution“ verfolgen zu können, welche sich nicht den Abhängigkeiten eines euphemistisch ‚Freihandel‘ genannten Handelsdiktats unter amerikanischer oder europäischer Führung ausliefert, hat angesichts des neuen De-Facto-FTAs mit der EU einen erheblichen Rückschlag erlitten.

Artikel als PDF Frei-Handelsabkommen EU-Ecuador_Böhlke